Hermann Rauhe fasziniert an Mendelssohn vor allem sein Multitalent als Musiker, Maler, Mittler, Manager, als Komponist, Pianist, Organist, Bratscher, Dirigent, Orchestererzieher und Musikpädagoge. Während seiner 26-jährigen Tätigkeit als dienstältester Hochschulpräsident Europas beschäftigte er sich intensiv mit Mendelssohn und koordinierte jetzt mit Kurt Masur und Jürgen Ernst die rund 300 Veranstaltungen des Mendelssohn-Jahres.

Mendelssohns Musik empfing mich bei meinem Eintritt in die Welt: Der Chor meines Heimatdorfes, in dem mein Vater mitsang, probte einen Chorsatz von Mendelssohn im Klassenzimmer der Dorfschule, während ich im darüberliegenden Schlafzimmer meiner Eltern geboren wurde.

Meine Mutter war Klavierlehrerin und nebenamtliche Organistin. Sie spielte neben ihrem Lieblingskomponisten Frederic Chopin vor allem Mendelssohn. So begleiteten die "Lieder ohne Worte" und die Phantasiestücke von Mendelssohn meine vorgeburtliche und frühkindliche Entwicklung. Dass diese Entwicklung besonders von musikalischen Eindrücken und Aktivitäten geprägt ist, stellte schon Zoltan Kodaly fest. Er betonte sogar, dass die pränatale (vorgeburtliche) Musikerziehung die wichtigste sei.

Mein Musiklehrer Kurt Bergmann vom Amandus-Abendroth-Gymnasium Cuxhaven, der vorher als Musikdirektor in Arnstadt/Thüringen gewirkt hatte, vertiefte meine Liebe zu Bach und zu Mendelssohn und zeigte die Verbindungen beider Komponisten auf.

An der Hochschule für Musik in Hamburg prägten mich besonders mein Klavierlehrer Rudolf Hauschildt und der erste Direktor der Hochschule Philipp Jarnach: Beide waren Busoni-Schüler und verehrten Mendelssohn ganz besonders. Bei Rudolf Hauschildt erarbeitete ich viele Werke von Mendelssohn, und zu meinem Examensprogramm gehörten als wichtigstes Werk die "Varíations serieuses". Sie behandelte ich auch als Referendar am Wilhelmgymnasium. Im Mittelpunkt meiner Examenslehrprobe standen Heine-Vertonungen von Mendelssohn: In den 44 Jahren meiner Tätigkeit als Musikwissenschaftler an der Hochschule beschäftigte ich mich immer wieder mit Mendelssohns Schaffen, das mich umso mehr faszinierte, je intensiver ich mich in das Werk und Wirken dieses einzigartigen Komponisten, Pianisten, Organisten, Dirigenten und Pädagogen einarbeitete.

Tief beeindruckte mich ein Konzert in der Laeiszhalle, in dem Yehudi Menuhin das e-Moll-Violinkonzert von Mendelssohn spielte: Das Werk und seine kongeniale Interpretation senkten sich tief in mein Herz hinein. Ebenso berührte mich die mitreißende und sensible Interpretation dieses Werkes durch Augustin Hadelich beim Konzert der Camerata am 5. Februar 2009 unter der Leitung von Claus Bantzer.

Ich freute mich, bei der Gründungsversammlung der Internationalen Felix Mendelssohn Bartholdy-Gesellschaft 1992 den Festvortrag zum Thema "Felix Mendelssohn Bartholdy, ein musikalischer Landschaftsmaler" halten zu dürfen. Dass eine Reihe prominenter Persönlichkeiten wie Kurt Masur, Peter Ruzicka, Justus Frantz, Will Quadflieg, Friedrich Schütter, Ivar Buterfas und Loki Schmidt an dieser Veranstaltung teilnahmen, war eine Ermutigung für die Arbeit der neu gegründeten Gesellschaft. Zur Präsidentin wählten wir Hannelore Greve, die seitdem mit großem persönlichen Engagement und erheblicher finanzieller Unterstützung die Gesellschaft prägt. Die in der Satzung formulierten Ziele der Gesellschaft entsprechen der Persönlichkeit Mendelssohns und der Vielseitigkeit seines Wirkens. Im Sinne Mendelssohns will die Gesellschaft einen Beitrag zur Verständigung von Menschen und Völkern leisten. In unseren Vorträgen und Diskussionsveranstaltungen spielen Themen eine Rolle, die der geistigen und kulturellen Verständigung dienen, z.B. "Mendelssohn und die Synagogale Musik", eindrucksvoll vermittelt vom Direktor des Europäischen Zentrums für jüdische Musik der Musikhochschule Hannover.

Ein weiteres Ziel ist es, das Leben und Wirken Felix Mendelssohn Bartholdys im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern. Diesem Ziel dient die Gedenktafel in der Eingangshalle der Hauptkirche St. Michaelis. Die künstlerische Gestaltung dieser Gedenktafel korrespondiert mit dem Denkmal für Felix Mendelssohn Bartholdy, das von unserer Gesellschaft zum 150. Todestag des Komponisten aufgestellt wurde, zusammen mit einem Denkmal für Felix’ Schwester Fanny, gestiftet von Hannelore Greve. Beide Denkmäler stehen auf der dem Michel gegenüberliegenden Straßenseite der Ludwig-Erhard-Straße in unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem das Geburtshaus der Geschwister Mendelssohn stand. Der Weg hinter den beiden Denkmälern trägt die Bezeichnung "Geschwister- Mendelssohn-Stieg".

Das musikalische Schaffen von Mendelssohn Bartholdy soll auch in Hamburg stärker gepflegt werden. Deshalb unterstützte unsere Gesellschaft die Aufführung des Oratoriums "Paulus" im Michel unter Leitung von Kurt Masur im Sommer 1993. Die vielen Veranstaltungen des begonnenen Mendelssohn-Jahres in Hamburg und in vielen anderen Orten Mitteleuropas in Absprache mit Kurt Masur, Jürgen Ernst, dem Direktor des Mendelssohn-Hauses Leipzig, und mir konnten dadurch rechtzeitig koordiniert werden, dass unsere Gesellschaft eine Kulturmanagementabsolventin finanziert. Sie sorgt seit einem Jahr für die Abstimmung der vielfältigen Aktivitäten der insgesamt 24 Mendelssohn-Gesellschaften, -Institutionen und Organisationen im Jubiläumsjahr 2009.

Die Vorträge und kommentierten Konzerte der Internationalen Mendelssohn-Gesellschaft Hamburg sind in den vorliegenden zwei Bänden unter dem Titel "Hamburger Mendelssohn-Vorträge", herausgegeben von Hans-Joachim Marx, publiziert und über unsere Gesellschaft erhältlich (Geschäftsstelle: Osterbekstraße 90 b, 22085 Hamburg, Fax-Nr. 27890-409, Dr. Jürgen Simon).

Ein "Großer Mendelssohn-Abend" mit Werken von Mendelssohn und befreundeten Zeitgenossen findet statt am Mittwoch, dem 18. Februar 2009, um 18.30 Uhr, im Atrium des NewLivingHome, Julius-Vosseler-Straße 40 (U-2 bis Station "Hagenbecks Tierpark").

Die übernächste Veranstaltung ist ein Familienkonzert am Sonntag, dem 1. März 2009, 15.00 Uhr, in der Laeiszhalle unter dem Thema "Ein Sommernachtstraum Schauspielmusik von Felix Mendelssohn Bartholdy nach Shakespeare". (Konzerteinführung: 14.15 Uhr).

Besonders interessant ist eine neue Veranstaltungsreihe unter dem Thema "Mendelssohn Musiksalon", die diesen besonderen Veranstaltungstypus aufgreift und weiterentwickelt, ein Praxisprojekt des neu gegründeten Masterstudiengangs Musikvermittlung der Hochschule. Die erste Veranstaltung findet am Donnerstag, dem 23. April 2009, um 18.00 Uhr, statt im Raum 12 des Budge-Palais der Hochschule (der von Hannelore Greve großzügig und liebevoll restaurierten alten Bibliothek). Das Thema lautet: "Das verborgene Band: Fanny und Felix Mendelssohn". Die Leitung hat Prof. Dr. Beatrix Borchard. Weitere Termine sind der 28. Mai, 25. Juni und 9. Juli 2009, jeweils donnerstags um 18.00 Uhr am selben Ort.

Eine weitere Aufgabe der Internationalen Mendelssohn-Gesellschaft Hamburg ist die Förderung junger hochbegabter Künstler durch Vergabe von Mendelssohn-Stipendien an jene Studierenden, die sich besonders für Mendelssohn engagieren. Darüber hinaus führt die Gesellschaft von Zeit zu Zeit internationale Musikwettbewerbe durch: erstmals 1994 für das Fach Klavier. Durch die Höhe des Preisgeldes und das Preisträgerkonzert in der Hamburgischen Staatsoper mit dem Philharmonischen Staatsorchester unter Leitung des jeweiligen Generalmusikdirektors konnten wir internationale Maßstäbe in der Förderung von Spitzentalenten setzen. Darüber hinaus finden regelmäßig Konzerte mit Nachwuchstalenten im Mendelssohn-Saal der Hochschule für Musik und Theater, in der Hauptkirche St. Michaelis und seit fünf Jahren vor allem im Atrium des NewLivingHome in der Julius-Vosseler-Straße 40 statt.

Auch die Vortragsveranstaltungen der Gesellschaft werden stets durch besonders begabte Studierende der Hochschule für Musik und Theater umrahmt, die jeweils Werke Mendelssohns, seiner Schwester Fanny und seiner Zeitgenossen vortragen. Auch die Produktion einer CD mit Musik Felix Mendelssohn Bartholdys, interpretiert durch Nachwuchskünstler der Hochschule, diente der Umsetzung der genannten Ziele der Mendelssohn-Gesellschaft.

Der Bedeutung Mendelssohns entsprechend, erhielt der von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz veranstaltete Wettbewerb der deutschen Musikhochschulen den Namen "Mendelssohn-Wettbewerb". Während meiner 26-jährigen Amtszeit als Hochschulpräsident hatte ich die Freude, diesen Wettbewerb als Jury-Mitglied zu begleiten.

Was mich persönlich an Mendelssohn fasziniert, ist sein Multitalent als Musiker, Maler, Mittler, Manager, als Komponist, Pianist, Organist, Bratscher, Dirigent, Orchestererzieher und Musikpädagoge. Nach Auffassung des Mendelssohn-Biographen Eric Werner erscheint Mendelssohn als "der letzte Universalist der Musik". All seine verschiedenen Tätigkeiten dienten seinem Ziel, Deutschland zum musikalischen Zentrum Europas zu machen, was ihm durch sein Wirken als Gewandhauskapellmeister in Leipzig seinerzeit auch gelang.

Seine Zeitgenossen man denke nur an Goethe und Schumann waren fasziniert von der Persönlichkeit Mendelssohns. Vielseitig begabt und gebildet, aufgeschlossen, liebenswürdig im Umgang mit Menschen, überzeugte er schon in jugendlichem Alter durch die Klarheit seines Blicks für Musik, Menschen und Situationen sowie die Unbestechlichkeit seines Urteils.

Mendelssohn war großzügig und souverän, dabei von demutvoller Hingabe an die Musik. Eitelkeit war ihm fremd. Er pflegte Freundschaften, weckte Vertrauen und Sympathie durch seine Integrität, Lauterkeit, Güte und Herzenswärme.

All diese Eigenschaften wurden nicht nur in seinem künstlerischen Handeln deutlich, sondern auch in seiner Tätigkeit als Organisator in folgenden Bereichen, die sich naturgemäß überschneiden: Nachwuchsförderung, Konzertorganisation, Festivalmanagement, Reform des Chorwesens, Wiederentdeckung historischer und Förderung zeitgenössischer Musik, Fundraising durch Organisation von Benefizveranstaltungen (z.B. zum Wiederaufbau des abgebrannten Hamburger Michels), Leitung eines Orchesters (z.B. des Gewandhausorchesters, das er zu einer nie dagewesenen Blüte führte), Neuorganisation des Musiklebens (z.B. für König Friedrich Wilhelm IV. in Berlin) und last but not least: Gründung der ersten deutschen Musikhochschule zusammen mit Robert Schumann. Eine ausführliche Darstellung von Mendelssohns Wirken als Kulturmanager findet sich in meinem entsprechenden Beitrag im Band 1 der Hamburger Mendelssohn-Vorträge.

Durch diese einzigartige Vielseitigkeit war Mendelssohn für mich persönlich nicht nur ein Vorbild als Künstler, sondern eben auch als Organisator, Manager, Hochschulleiter und Pädagoge.

"Mein Mendelssohn" hat mich also von Geburt an in allen meinen Tätigkeiten begleitet und mich als ganz großes Vorbild immer wieder inspiriert und geprägt. Umso glücklicher bin ich, dass nun auch eine privat gestiftete kostbare romantische Orgel, die in der Krypta des Michels wieder aufgebaut wurde und die dort stattfindenden Gottesdienste und Konzerte prägt, auf meine Anregung hin den Namen "Felix Mendelssohn Bartholdy-Orgel" trägt.