Nach dem Krieg entdeckte der Dirigent auch durch zeitgenössische Musik Bedeutung und Größe dieses Klassikers.

"Mein Mendelssohn" wurde er, als ich sicher war, dass ich Musiker werden wollte. Mir wurde klar, wie wenig ich von ihm wusste. Vor dem Zweiten Weltkrieg und bis 1945 wurde Mendelssohn von den Nazis totgeschwiegen. Deutsche Musiker vermieden, seine Werke aufs Programm zu setzen. Ja, selbst einer der berühmtesten britischen Dirigenten kurz vor dem Krieg auf Tournee in Leipzig nahm ihn vom Programm, als ihm dies von irgendwelchen Parteibonzen nahegelegt wurde. Zivilcourage war sehr kleingeschrieben.

Also "mein Mendelssohn" begann in München nach dem Krieg. Das musikalische München dieser Tage war im Rausch der Musik des 20. Jahrhunderts. Karl Amadeus Hartmann organisierte "musica viva"-Konzerte in der Stadt. Wir Musikstudenten waren begeistert. Über Erlebnisse mit neuer Musik erlebten wir auch die Musik der Vergangenheit neu. Auch Mendelssohn war für uns neue Vergangenheit.

Felix' Vater, der die Familie bald nach der Geburt seines Sohnes nach Berlin brachte, erzog Felix und seine Schwester Fanny im christlichen Glauben; sie wurden selbstverständlich getauft. Es ist das ostentativ Christliche, das mir anfangs einige Stücke schwer zugänglich machte. Die Musik trug den christlichen Glauben, wie ich fand, zu sehr "on the sleeves". So war, als ich später alle Sinfonien mit den Wiener Philharmonikern aufnahm, die 2. Sinfonie "Lobgesang" für mich problematischer als die anderen.

Mendelssohn war nie "modern", dazu ist er zu einzigartig, Mode war er auch nie. Ver-modern, wie Strauss das genannt hätte, konnte er somit nicht.

Der vergessene Bach hatte ihn schon in jungen Jahren fasziniert. Die von ihm wiederentdeckte Matthäuspassion führte er in Berlin auf. In Berlin wurde er später nicht glücklich. Er ging nach Leipzig und machte diese Stadt zur blühenden Musikstadt. Gute Zeiten! Schumann war dort. Mendelssohn, Clara und Robert Schumann verbunden, unterrichtete am Konservatorium. Neben vielen anderen Novitäten dirigierte Mendelssohn die Uraufführung der großen C-Dur-Sinfonie von Schubert.

Mendelssohn war jemand, der so viel fand, dass er das Suchen nicht lernen musste. Einer der ersten bedeutenden Komponisten, die sich als Interpret leidenschaftlich für Werke anderer einsetzten. Ein neuer Typ Musiker war geboren. Star als Komponist, Dirigent und Solist, bis heute wenigen Musikerpersönlichkeiten vergleichbar. Die Welt umarmte ihn. Er arbeitete ohne Einhalt. Trotz seines unbegrenzten Talents oft bis an die Grenze totaler Erschöpfung.

Das Ende kam erschreckend plötzlich. Seine geliebte Schwester starb. Der von Musik und Glück Verwöhnte fand keinen Trost, keinen Ausweg aus der Trauer. Ein Nervenschock, ein geplatztes Blutgefäß. Mendelssohn starb, so heißt es, auch am Tod der Schwester.

Er und seine Musik haben absurden Rassismus und Vorurteile jeder Art überlebt. In Hamburg geboren, gehörte er bald der Welt.