Der finnische Komponist und Dirigent Esa-Pekka Salonen gastiert heute und am Sonntag in Hamburg beim NDR Sinfonieorchester.

Hamburg. Er könnte auch Sportlehrer sein, dieser jungenhafte 53-Jährige mit dem dunkelblonden Popperschnitt und dem schwarzen T-Shirt. Standbein, Spielbein. Esa-Pekka Salonen probt in Andeutungen, verknappt, chiffriert, aber die Musiker verstehen sie sofort. Von Stargehabe keine Spur, dabei ist Salonen, ehedem Chefdirigent des Los Angeles Philharmonic Orchestra, einer der gefragtesten Dirigenten weltweit - und dazu ein bedeutender Komponist. Für sein Violinkonzert hat er kürzlich den renommierten Grawemeyer Award gewonnen. Heute dirigiert er das Werk in der Laeiszhalle mit dem Solisten Thomas Zehetmair und dazu Bruckners 4. Sinfonie.

Hamburger Abendblatt:

Herr Salonen, sprechen wir mit dem Dirigenten oder mit dem Komponisten?

Esa-Pekka Salonen:

Heute kann ich da nicht unterscheiden. (lacht) Ich sehe mich nicht als zwei Persönlichkeiten. Wenn ich ein Stück lerne, versuche ich die Schritte des Komponisten zurückzuverfolgen. Warum hat er dies gemacht, welcher Prozess hat zum Ergebnis geführt? Manchmal habe ich im Konzert das Gefühl, ich hätte das Werk geschrieben. Das ist natürlich nur ein schöner Traum, aber es funktioniert.

Egal ob es Bruckner, Mozart oder Stockhausen waren?

Salonen:

Ich versuche das bei jedem Stück. Bei Mozart oder Ravel ist es aber schwierig. Man sieht nur das perfekte Ergebnis und nicht die Arbeit, die dahintersteckt. Sie sind perfekt wie ein Ei, man kommt nicht dran. Aber eine Bruckner-Sinfonie ist nie so perfekt. Ich dirigiere nur noch Musik, die mir sehr wichtig ist. Da gehört eine Menge Einfühlung dazu, aber auch Liebe.

Zur Musik oder zur Person?

Salonen:

Na ja, die Personen ... Manche von denen waren keine Supertypen. Wagner muss furchtbar gewesen sein! Und Beethoven war eigenwillig und faszinierend - aber niemand, mit dem ich gern ein Bier trinken gegangen wäre.

Schüchtert Sie ein Genie wie Beethoven beim Komponieren ein?

Salonen:

Wir haben doch alle gute und schlechte Tage. Wenn ich einen schlechten Tag habe, denke ich, wir brauchen nicht noch mehr Musik auf der Welt. Wir haben doch schon die h-Moll-Messe und die "Eroica". Was mache ich hier? Aber dann gibt es Tage, da denke ich: Nur ich kann meine Musik schreiben. Anders geht es nicht. Das hat etwas mit unserer Spezies zu tun. Wir können unsere Umwelt verändern, so wie wir es tun. Deshalb sind wir auch dabei, sie fast zu zerstören. Aber ich glaube, dass es in unseren Genen liegt, Dinge herzustellen. Das ist bei jedem anders ausgeprägt. Meine Materie ist der Klang. Also will ich Objekte herstellen, die aus Klang bestehen. Das gehört zu meinem Menschsein.

Drängen die aufs Papier? Oder müssen Sie sich hinsetzen und auf die göttliche Eingebung warten?

Salonen:

Ich sammle Material in einem Skizzenbuch. So umgehe ich die Angst vor dem weißen Blatt. Die meisten dieser Bruchstücke sind nicht besonders nützlich, aber manche haben Substanz. Das ist ein bisschen, wie wenn man Butter stampft, haben Sie das mal gesehen? Da passiert lange Zeit gar nichts, aber plötzlich finden sich kleine Teile, und dann wird die Butter schnell fest. Wenn sich bei mir erst einmal verschiedene Elemente zusammenfügen, nimmt die Musik schnell Gestalt an.

Wie verteidigen Sie solche Auszeiten gegen das Dirigieren?

Salonen:

Das ist ein dauernder Kampf. Über das Dirigieren wachen Agenten, PR-Leute, Plattenfirmen und Orchestermanager. Aber das Komponieren hat keine solche Struktur. Niemand schützt meine Komponierzeiten!

Hamburger Abendblatt:

Wo ist denn Ihr Studio?

Salonen:

Ich habe eins in London und eins in Finnland, auf dem Land, ganz nah an der Ostsee. Ich bin gern am Meer. Deshalb mag ich Hamburg so gern, es ist mir vertraut. Es hat etwas Skandinavisches, diese Nähe zum Meer.

Die Leute spotten ja gern über die Finnen, die angeblich kein Wort über die Lippen bringen. Ärgert Sie das?

Salonen:

Ich bin stolz darauf! Ich habe 17 Jahre in einer sehr geschwätzigen Kultur gelebt. Als ich in L.A. ankam, war ich verschlossen wie eine Muschel. In Amerika muss man aber viele Worte benutzen. Wenn man nur sagt, etwas war gut, fragen die Leute fast besorgt, was ist los? Man muss schon sagen: Es war unglaublich! Dann sind sie zufrieden.

Eben in der Probe haben Sie auch nicht gerade viele Worte gemacht.

Salonen:

Das ist etwas anderes. Orchester wollen keine langatmigen Erklärungen. Die wollen spielen. Und für mich läuft die beste Kommunikation über Gesten, das ist fast wie Telepathie. Man spürt sich gegenseitig. Das genieße ich. Ich glaube, das ist der Grund, dass ich immer noch dirigiere.

Salonen dirigiert Salonen: Sonntag, 11.00, Laeiszhalle; Karten: 0180/178 79 80