25 000 Anhänger der Schwarzen Szene werden am 11. und 12. August beim M'era Luna Festival erwartet. Nur: Was ist die Schwarze Szene?

Leipzig/Hildesheim. „Hotte! Dein Hund frisst aus meinem Napf.“ Hotte winkte mit der Bierdose in der Hand ab und zog an der Leine. „Komm, Taxi, lass gut sein, das ist dem Carlos sein Teller.“ Am Morgen waren Hotte und Carlos, Punks aus Hamburg, in Leipzig gestrandet. Jetzt saßen sie in der Grimmaischen Straße vor „Auerbachs Keller“ und schnorrten Kleingeld für Bier und Brekkies. Was Taxi, eine reinrassige Punkertöle, so an Katzenfutter begeisterte, war immer ein Rätsel geblieben.

„Samma, Hotte, was is hier eigentlich los?“, fragte Carlos. Vor ihnen zogen Frauen in Netz-Catsuits vorbei, Männer in Ledermänteln, Dickmadams in Spitzen-Korsagen mit hervorquellender Auslage, Figuren aus Manga-Comics, düstere Dandys und glatzköpfige Draculetten. Ein Riese mit schwarzer Brokat-Robe und Zylinder ließ mit aristokratischer Geste einen Fünf-Euro-Schein in Hottes Pappbecher flattern. „Danke, Alder. Sach ma, weißt du, was der Zirkus hier soll?“, fragte Hotte. Der Riese, der sich als Nü – „kurz für Parvenü“ – vorstellte, lachte: „Nun, hier trifft sich die Schwarze Szene.“

Carlos stellte seinen Napf zur Seite und fragte kauend: „Schwarze Szene? Was ist das denn?“ Nü hielt den beiden seinen Spazierstock mit vergoldetem Knauf hin. „Ich zeige es euch.“ Sie fuhren (schwarz) mit der Straßenbahn zum Agra-Messegelände. „Boah, alles schön dunkelbunt hier, wie im Darkroom bei Stromausfall“, staunte Hotte, während Taxi ein Katzenwesen anbellte. „Ja, das ist das Wave-Gotik-Treffen“, murmelte Nü, breitete eine Samtdecke über einer Bank aus und begann zu erzählen.

„Seit 1992 treffen sich in Leipzig jährlich Anhänger der Schwarzen Szene zum kulturellen Austausch, wobei diese Szene sich schwer festlegen lässt. Romantik, Agonie, Melancholie, Okkultismus oder Fetischismus sind nur einige bemühte Stichworte, um die Unbeschreiblichen zusammenzufassen. Das Gleiche gilt auch für ihre Musik. Dark Wave, EBM, Gothic Metal, Horror-Punk, Neofolk, Industrial. Alles ist dabei. Aber wir sind alle Individuen.“ „Ich nicht!“, grölte Carlos.

„Taxi!“, schrie Hotte, „Wie, wollt ihr schon gehen?“, fragte Nü. „Nein, der blöde Hund dreht durch hier.“ Nur mit Mühe konnten sie Taxi davon abhalten, eine Schildkröte zu begatten, die von einem Elfen an der Leine geführt wurde.

„Die Schwarze Szene ist sehr heterogen“, führte Nü weiter aus und jonglierte mit seiner Zigarettenspitze, „man gibt sich betont extrovertiert und möchte von außen als äußerst außergewöhnlich wahrgenommen werden. Aber: Jeder Beweis der Popularität der Szene, zum Beispiel die jährlichen 20 000 Besucher in Leipzig, gilt als Zeichen des Ausverkaufs von Idealen.“ „Das ist ja wie beim Punk“, bemerkte Hotte. „Ja, es ist wie bei jeder Subkultur, mein Freund. Schau dir Unheilig an. Schon mehrfach spielte der Graf beim Wave-Gotik-Treffen, aber jetzt, wo er die Charts dominiert, ist er in Teilen der Szene Persona non grata. Nun denn, ich muss zum Konzert von Schattenerbe. Gehabt euch wohl, Freunde.“ Seinen Stock schwingend, reihte sich Nü in das dunkle Defilee ein. Hotte erhob sich, „lass uns weiter trampen. Taxi!“

Nach wenigen Gehminuten erreichten sie die B2 und hielten die Daumen hoch, bis ein mattschwarzer Chevrolet Camaro anhielt, am Steuer ein Latex-Sklave mit Gasmaske. „Fährst du nach Hamburg?“, fragte Hotte. „Nöpf, Hildöpfheimpf“, kam es dumpf aus dem Rüssel zurück. „Auch gut.“ Sie stiegen ein. Auf der Autobahn nahm der Latex-Sklave die Maske ab: „In Hildesheim trifft sich übrigens jährlich die Schwarze Szene beim M’era Luna Festival.“ „Schwarze Szene? Was ist das denn?“, fragte Carlos auf der Rückbank. Hotte wusste: Das wird eine lange Autofahrt.

M'era Luna Festival 2012 Sa/So 11./12.8., Flughafen Hildesheim-Drispenstedt, 31134 Hildesheim, Karten ab 79,- im Vorverkauf; www.meraluna.de