Zum siebten Mal lädt das Festival blurred edges zur Entdeckung neuer Hörwelten
Kurz- oder Weitsichtige brauchen bloß die Brille abzunehmen, schon haben sie den Effekt, den der Verband für aktuelle Musik Hamburg (vamh) seit sechs Jahren mit seinem Festival "blurred edges" verfolgt. Alles verschwimmt, die Scharfsicht schwindet. Brillenträger wissen: Das ist ein ganz angenehmer Zustand, manchmal. Die Welt erscheint als Weichbild, und wir erkennen: Sie existiert auch ohne unser allzeit angestrengtes Unterscheidungsvermögen.
Hört die Musik auf, wo das Geräusch beginnt (oder umgekehrt), und wann genau ist das? Läuft das noch unter Musik oder ist es schon etwas anderes (und wenn, was), wenn Klang sich untrennbar mischt mit der Erfahrung des Raums? Solche Fragen mögen sich dem aufdrängen, der manche der Konzertereignisse des 2006 begründeten Festivals besucht, das vom 4. Mai an gut zwei Wochen lang an mehr als 20 markanten Orten der Stadt - vom Golden Pudel Club über das Westwerk, diverse Spielstätten im Gängeviertel bis zu Kirchen und der Hochschule für Musik und Theater - seinen Beitrag gegen die uncoole Neigung zur Trennschärfe leistet.
Die Veranstalter, die sich allenfalls als Koordinatoren der Ereignisse sehen, möchten die Vielgestalt "ästhetischer Positionen aktueller Musik" zeigen. Am Eröffnungswochenende gibt es einen kleinen Schwerpunkt zur Musik von Chris Newman und Nikolaus Gerszewski: zuerst eine Klaviersoiree mit dem großartigen Outsider Frank Abbinanti aus Chicago (4.5., 19 Uhr, Christianskirche), tags darauf einen Liederabend, bei dem Abbinanti für Natalia Pschenitschnikova den Klavierbegleiter gibt (5.5., 19 Uhr, Christianskirche). Das Trio Kipp/Klammer/Neumann tritt mit Musik in der Reihe Ton-Wort-Bild auf; jeder der drei steuert auch etwas Visuelles zum Gelingen des Abends bei (4.5., 20.30 Uhr, Linker Laden).
Bei einer "Night of the Living Duet" (6.5., 21 Uhr, Frappant, Zeiseweg 9) präsentieren drei Duos "brandneue Forschungsergebnisse instrumentaler Obskuranz zwischen Konzept-Noise und Hightech-Kitsch, Minimalismus und seriellem Volldampf, Lounge und Folterkeller, sowohl elektronisch als auch urwüchsig handmodelliert: energisch, unberechenbar und wunderschön". So animierend jedenfalls verspricht es das Programmheft.
Die vielfach ausgezeichnete Raumklangkünstlerin Katja Kölle hatte in einer Unterführung unter die A 7 in Bahrenfeld eine musikalische Inszenierung geplant, dort, wo seit Jahrzehnten um die Überdeckelung der Autobahn gerungen wird. Das Tiefbauamt habe ihr das untersagt, teilen die Veranstalter mit. Was Kölle dort vorhatte, lässt sich am 15.5. (16 Uhr) in der Christianskirche entdecken. "Grolle nicht" lautet der Titel ihrer Installation. Wer mag, hört nun aus dem Verkehrslärm an und unter der A 7 seine eigene Musik heraus.
"blurred edges" Fr 4.5.-Sa 19.5., Interpreten, Spielorte, Preise: www.blurrededges.de