Heute läuft der vierte Teil der Piratensaga “Fluch der Karibik“ in den deutschen Kinos an. Er ist wieder eine große Bühne für Johnny Depp.
Hamburg. Gefühlt sind doch schon alle Abenteuer erlebt, alle Schätze gefunden und Meere überquert. Und doch ist davon auszugehen, dass mit dem vierten Teil von "Fluch der Karibik - Fremde Gezeiten" der Unterhaltungsdampfer aus dem Hause Disney zuverlässig auf den nächsten Zuschauerrekord zuschippert. Nicht nur, weil an Deck kräftig geschrubbt wurde, sondern vor allem, weil sich einer über vier Folgen treu geblieben ist: Jack Sparrow, der Oberpirat der Serie.
Rund 2,7 Milliarden Dollar Umsatz haben Produzent Jerry Bruckheimer und der Disney-Konzern bisher mit den ersten drei Teilen eingespielt. Das Piraten-Epos ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte. In der Regel sind die Sequels von Blockbustern eine Enttäuschung, in denen der Geist des ersten Teils ausgewrungen wird. Bei der "Fluch der Karibik"-Reihe ist das anders: Die Teile zwei und drei aus den Jahren 2006 und 2007 waren sogar weitaus erfolgreicher als der erste Teil aus dem Jahr 2003.
Doch was macht den Erfolg der kalkulierten Verfilmung einer Disneyland-Attraktion aus? Schließlich kann kaum ein Zuschauer den Inhalt der ersten Teile wiedergeben. Die Handlung ist nebensächlich. Es ist das Phänomen Jack Sparrow, das begeistert. Der Wahnsinn dieses linkischen Piraten, den Johnny Depp selbst erschaffen hat und kongenial verkörpert. Als eine Kreuzung aus Rockstar des 18. Jahrhunderts und romantischem Stinktier beschreibt der 47-Jährige selbst die Figur, mit der die Disney-Bosse anfangs ihre Probleme hatten. "Zu schwul, zu betrunken und zu bekifft", soll ihr Urteil gewesen sein. Heute sind dies genau die Attribute, die den Erfolg Sparrows ausmachen und es schafften, das tot geglaubte Genre Piratenfilm zu reanimieren.
Johnny Depp machte den Film zu seiner Bühne. Er gibt den gesetzlosen Freak mit Lidstrich, der wirkt wie eine überzogene Karikatur - und doch keine ist. Weil es einen wie ihn zuvor im Kino nicht gegeben hat. Depp definiert den Begriff des Helden völlig neu, Millionen Seemeilen entfernt vom klassischen Seeräuber, wie ihn Burt Lancaster zu Beginn der 50er-Jahre in "Der rote Korsar" dargestellt hat. Jack Sparrow ist eine hysterische Quasselstrippe, immer bester Laune, auch wenn sein Schicksal ausweglos erscheint. Der Antiheld der Meere hat eine Vorliebe für Rum und oftmals ein verstörendes Desinteresse am anderen Geschlecht. Wenn er kämpft, dann tänzelt er und scheint zu schweben - auch über den Dingen. Er ist mehr Anarchist als Freibeuter, mehr Hippie als Pirat. Und Sparrow trifft den Nerv der Zeit, weil er sich selbst nicht zu ernst nimmt. Selbstverliebt ist er, auf seinen eigenen Vorteil bedacht, aber im Grunde ein guter Kerl. Wer wäre nicht gerne wie Sparrow? Oder anders gesagt: Wer wünscht sich nicht von Zeit zu Zeit etwas sparrowsches Stehvermögen im Alltag?
Drohten sich die Autoren Ted Elliott und Terry Rossio im zu überladenen dritten Teil noch in der Plot-Takelage zu verheddern, bieten sie nun wieder die perfekte Bühne für die Sparrow-Show und rücken die Hauptfigur weiter in den Vordergrund. Auch dadurch, dass mit Penélope Cruz als feurige Piratenbraut Sparrows verflossene Geliebte auftaucht und eine völlig neue Seite an ihm freigibt. Regie führte in "Fremde Gezeiten" nicht mehr Gore Verbinski, sondern Rob Marshall, der für die Musicalverfilmung "Chicago" fünf Oscars bekam und in dem 200 Millionen Dollar teuren Spektakel Sparrow, Oberfiesling Captain Blackbeard (grandios: Ian McShane) und den reaktivierten Captain Barbossa (Geoffrey Rush) auf die Suche nach einem Jungbrunnen schickt. Dass Keira Knightley und Orlando Bloom nicht mehr mitsegeln, fällt kaum auf. Sie waren eh nur Staffage für Jack Sparrows großen Auftritt. Dafür gehören die blutrünstigen "Twilight"-mäßigen Meerjungfrauen zu den Höhepunkten des vierten Teils.
Der fünfte und sechste Teil sind übrigens bereits in Planung. Einer wie Jack Sparrow scheint eben nicht unterzukriegen zu sein.