Die Kapitäne Simon von Utrecht und Berend Karpfanger schützten einst die Handelswege der Pfeffersäcke. Noch heute kann man ihnen begegnen.
"Junkens, wie sieht es aus, noch einen Mexikaner?" - "Joh, du." - "Sicher, Digger." Jeden Donnerstag treffe ich mich mit Simon und Berend im "Lunacy" auf dem Hamburger Berg. Die beiden Herren sind zwar schon etwas älter, weit über 400 Jahre, aber trotzdem fühlen sie sich sehr wohl in der leicht abgeranzten Rockkneipe. Der Mexikaner, ein Tomaten-Likör, ist günstig und an das Unterlippen-Tattoo der Bardame ("F ... You") haben sie sich gewöhnt. Wichtig: Die DJs würden sich lieber einbetoniert in die Elbe rollen lassen als Freddy Quinn aufzulegen. Da können Simon und Berend nicht so drauf.
Überhaupt haben die Jungs nicht immer gute Laune. Ganz schlimm war es bei unserer ersten Begegnung vor drei Wochen. Ich stand am Kicker und spielte gegen den einzigen besiegbaren Gegner in der ganzen Stadt: mich. Und wie ich versuchte, eine Szene aus dem Film "Absolute Giganten" nachzuspielen (Torwart-Tor mit der Hacke) und Eigentor auf Eigentor versenkte, da tauchten diese beiden schemenhaften Geister auf. Simon so: "Ey, mach dich weg hier, Alder." Berend so: "Hier ist unser Stammplatz, Digger." Ich so: "Was seit ihr denn für welke Fleischwürste? Wenn ich Pflegefälle betreuen will, mach ich wieder Zivildienst." Und sie so: "Weissu, mit wem du redest?"
Das wusste ich nicht. Ich kannte Simon und Berend nicht. Die wenigsten Hamburger kennen sie, dabei waren die beiden mal sehr prominent in der Hansestadt. Ich habe mal bei Wikipedia nachgeschaut: Der Niederländer Simon von Utrecht erhielt hier im Jahr 1400 das Bürgerrecht und zahlte diese Ehre zurück, in dem er die Nordsee 30 Jahre lang von Piraten säuberte. Unter anderem fiel ihm ein gewisser Klaus Störtebeker in die Hände, aber dieser Seeräuber ist heute ebenso vergessen wie Simon von Utrecht, der 1437 starb und in St. Nikolai bestattet wurde.
Auch Berend Jacobsen Karpfanger hatte 250 Jahre später etwas übrig für Seeräuber: Kanonenkugeln. Als Kapitän des Hamburger Admiralitätskollegiums eskortierte er erfolgreich Handelskonvois über die Weltmeere, bis irgendein Trottel auf Karpfangers Flaggschiff "Wapen von Hamburg" 1683 vor Cádiz heimlich auf dem Abtritt paffte. Oder so. Jedenfalls flog die "Wapen von Hamburg" mitsamt Berend Jacobsen Karpfanger in die Luft.
Die vierte Welle Mexikaner rollt an und Simon kommt in Brass: "Ohne uns wären die Pfeffersäcke nur halb so reich geworden. Wahrscheinlich gäbe es ohne uns keinen Hafen und keinen Hafengeburtstag mehr. Und wie wurde es uns gedankt? Am Arsch die Seeräuber." Ich weise ihn darauf hin, dass ihm zu Ehren immerhin eine Straße auf St. Pauli benannt wurde. Und beide, Simon und Berend, wurden mit hübschen Statuen an der Kersten-Miles-Brücke verewigt.
"Ja und?", brüllt Berend und knallt sein leeres Glas gegen die Wand, "was war 1985? Da haben sie der Statue vom Simon die Rübe abgeschlagen. Wie einem hundsgemeinen Piraten. Wenn ich die erwische, doh!"
Jetzt sind sie richtig in Fahrt. Pöbeln unter Vollzeug. "Und der Hafengeburtstag, doh. Schlimm is das! Nur Gedränge und Geschiebe, Hans Albers und Freddy Quinn. Der Hans hat den Seemann doch nur gespielt und Freddy war Österreicher. Die Ösis! Die haben doch nicht mal eine Flotte!" Ich versuche, die Lage zu entspannen. Die Leute am Tresen gucken schon komisch, weil ich scheinbar Selbstgespräche führe: "Das ist so nicht ganz richtig, Berend. Österreich hatte eine lange Marinetradition. Und in der Seeschlacht gegen die Dänen 1864 vor Helgoland haben sie sich tapfer geschlagen. Da gibt es sogar ein Denkmal in der Palmaille im Altonaer Elbpark. Na, ja. Noch einen Mexikaner?" - "Joh, du." - "Sicher, Digger."
Hamburger Hafengeburtstag 2011 Fr 6.5. bis So 9.5., Hafen Hamburg (U/S Landungsbrücken), www.hamburg.de/hafengeburtstag