Thomas Krug, Geschäftsführer der GPD Nordost, im Expertenporträt.

Psychische Erkrankungen sind stigmatisiert und eine gesellschaftliche Aufgabe, die weit über das individuelle Schicksal hinausgeht. Erfahrungsberichte von Betroffenen und Fachkräften aus dem Hilfesystem zeigen Herausforderungen, aber auch die Möglichkeiten der Unterstützung in der sogenannten Assistenz in der Sozialpsychiatrie (ASP) – einer wichtigen Unterstützungsleistung zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit psychischen Erkrankungen in Hamburg.

Der ist psychisch krank“ – Dieser Satz löste bei den meisten Menschen sofort eine Lawine an Vorurteilen aus. In unserer Vorstellung ist eine psychische Erkrankung oft gleichbedeutend mit Aggressionen gegen andere. Die Folge ist, dass wir uns zurückziehen, einen Bogen machen um den Mann, der an der Straßenecke laut mit sich selbst redet. Wissenslücken und Unsicherheiten spielen eine große Rolle beim gesellschaftlichen Umgang mit psychisch Erkrankten Menschen.

Mit dem Wort Schizophrenie verbinden die meisten beispielsweise die Vorstellung von einem Menschen mit zwei verschiedenen Persönlichkeiten, einer bösen und einer guten. Dabei hat die Schizophrenie ganz unterschiedliche Ausprägungen. Eine gespaltene Persönlichkeit allerdings ist keine davon.

Thomas Krug ist Geschäftsführer der GPD Nordost. Eine gemeinnützige Einrichtung in Hamburg, die seit fast 50 Jahren Menschen in Krisen und mit psychischen Erkrankungen unterstützt. „Auch wenn das Thema mentale Gesundheit in den letzten Jahren mehr in den Fokus gerückt ist, ist noch ganz viel Aufklärungsarbeit notwendig, wenn es um die Arten, Symptome und Auswirkungen von seelischen Beeinträchtigungen geht“, betont Krug.

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„Die Vorurteile und Stigmata in Bezug auf seelische Erkrankungen sind in unserer Gesellschaft nach wie vor enorm. Heute hat ein großer Teil der Menschen zwar ein Verständnis dafür oder zumindest ein bestimmtes Bild davon, was es heißt depressiv zu sein. Was es aber bedeutet, mit einer Persönlichkeitsstörung zu leben, psychotische Phasen zu haben, nicht arbeiten zu können, weil man Stimmen hört und starke Medikamente nehmen muss und was das für den Alltag und das Leben der Erkrankten und ihrer Angehörigen heißt, das wissen die wenigsten. Dazu kommen die Scham und Angst der Betroffenen selbst“, so Krug.

Dabei kann eine psychische Erkrankung jeden treffen. Allein in Deutschland ist heute jede:r Dritte im Laufe seins Lebens von einer psychischen Erkrankung betroffen – unabhängig von Alter, Geschlecht, sozialem Status oder Lebensumständen.

„Der Zulauf von Menschen mit einem Hilfebedarf ist ungebrochen und wird durch Krisen wie Kriege oder Corona und die daraus resultierenden Ängste immer größer.“ Die Aufklärung wächst aber nicht proportional mit. Deshalb ist es uns so wichtig, zu informieren. Auch darüber, welche Möglichkeiten und Rechte psychisch erkrankte Menschen und ihre Angehhörigen haben, um sich Hilfe zu suchen.“

Individueller Bedarf – individuelle Leistungen

Traumatische Erlebnisse wie der Tod eines Familienangehörigen, große finanzielle Sorgen, Trennungen oder Überlastungssituationen können Menschen in Krisen stürzen und kurz- und mittelfristig einen Hilfebedarf schaffen. Andere Betroffene sind aufgrund von psychischen Erkrankungen nicht mehr in der Lage, ihre Wohnung zu verlassen und können ihren Alltag teilweise oder gar nicht (mehr) selbstständig organisieren. Wieder andere haben Schwierigkeiten, ihre Freizeit zu gestalten und soziale Kontakte zu pflegen. Ängste oder Depressionen machen es unmöglich, einkaufen zu gehen, die Post zu regeln oder Arzttermine zu vereinbaren. Diese Einschränkungen führen oft zu Isolation, Überlastung und Vereinsamung. Die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit ist in den meisten Fällen eingeschränkt oder nicht (mehr) möglich.

„Einige Menschen erleben im Laufe der Zeit eine Verbesserung ihrer psychischen Gesundheit, während andere ein Leben lang mit ihrer Erkrankung kämpfen. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass ihre Teilhabe am gesellschaftlichen Leben stark eingeschränkt ist. Im Gegensatz zu Menschen ohne psychische Erkrankungen, fehlt ihnen oft die Möglichkeit, vollständig an der Gesellschaft zu partizipieren. Sobald dies der Fall ist, haben Betroffene einen rechtlichen Anspruch auf Eingliederungshilfe. Diese Unterstützung richtet sich nicht nur an Menschen mit körperlichen Einschränkungen, sondern auch an jene mit psychischen Erkrankungen. Ziel der Eingliederungshilfe ist es, die gesellschaftliche Teilhabe zu fördern und die Betroffenen in ihrem Alltag zu unterstützen,“ klärt Krug auf.

Im Rahmen der Eingliederungshilfe gibt es die sogenannte Assistenz in der Sozialpsychiatrie, kurz ASP. In Hamburg leisten verschiedene soziale Träger ASP – aufgeteilt nach Bezirken. Die GPD ist im Hamburger Nordosten tätig: in Hamm, Marienthal, Barmbek-Süd/Eilbek, Dulsberg und Winterhude.

Je nach Bedarf der Betroffenen, bietet die ASP präventive Leistungen wie psychosoziale Beratung oder personenorientierte Leistungen zur langfristigen Unterstützung im Alltag. Art und Umfang der Leistungen sind dabei individuell verschieden.

Psychosoziale Beratung: Anlaufstelle in der Krise

Stephan B. kämpft seit Jahren mit finanziellen Problemen und hat bereits erhebliche Schulden angehäuft. Die Situation belastet ihn sehr und einen Ausweg sieht er nicht. Vor seiner Familie hat er diese Schwierigkeiten verheimlicht, was zu einem enormen psychischen Druck führte und Aggressionsprobleme auslöste, die seine Ehe ernsthaft gefährdeten. „Mir ging es unglaublich schlecht. Ich habe keinen Weg mehr gesehen, wie ich da rauskommen soll. Bei meinem Hausarzt lag dann ein Flyer von der GPD und ich habe die psychosoziale Beratung angerufen und direkt für die kommende Woche einen Termin in der Nähe gekriegt. Es tat gut, endlich mit jemandem zu sprechen“, erzählt Herr B. Eine Mitarbeiterin half ihm, eine Schuldnerberatung zu finden und erste Strategien zu entwickeln, wie er seine Emotionen besser kontrollieren kann. Zudem empfahl sie eine Familienberatung, die der gesamten Familie Orientierung und Unterstützung bieten kann.

Carolin Vagt, Sozialpädagogin und Beraterin in der GPD erzählt: „Zu uns kommen Menschen mit ganz verschiedenen Problemlagen. In manchen Fällen reicht es schon aus, wenn jemand sich endlich anvertrauen und mit einer außenstehenden Fachperson sprechen kann. Wir sind außerdem mit dem gesamten Hilfesystem in Hamburg gut vernetzt und unterstützen dabei, bedarfsgerechte Lösungen zu finden. Die Beratung kann auch eine gute Überbrückung sein, um lange Wartezeiten für eine Psychotherapie zu überbrücken.“

Termine sind zeitnah möglich, kostenlos und auf Wunsch anonym. „Wir bieten die Beratung auch telefonisch oder per Video-Call an. Wenn man will, kann man auch mit uns chatten. Buchbar ist alles online. Natürlich kann man aber auch immer bei uns anrufen und einen Termin abmachen“, berichtet Vagt. Ganz wichtig ist es ihr zu betonen: „Wir sind nicht nur Ansprechpartner für Betroffene selbst. Auch Angehörige oder Freunde können zu uns kommen. Meistens sind vor allem enge Bezugspersonen selbst stark belastet und wünschen sich Unterstützung.“

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© GPD

Wenn plötzlich nichts mehr geht

Manchmal reichen „ein paar Gespräche“ mit einer objektiven Fachkraft aus, um wieder Orientierung zu finden. Oft ist der Hilfebedarf aber höher. Auch Marina T. kam in die psychosoziale Beratung der GPD. Die 43jährige leidet  schon ihr Leben lang an Depressionen. Von heute auf morgen verschlechtert sich ihr Zustand drastisch. „Ich war ständig krankgeschrieben und irgendwann schaffte ich es einfach nicht mehr zu arbeiten. Es fühlte sich an, als hätte jemand den Stecker gezogen,“ berichtet sie. Die Situation führte zu schweren Angstzuständen und zwanghaften Verhaltensweisen, die sie sehr belasteten und schließlich in Suizidgedanken mündeten. Nach einer stationären Behandlung und anschließender Psychotherapie stellte sich heraus, dass eine Erwerbstätigkeit für sie nicht mehr in Frage kam. Ihre sozialen Ängste und Zwänge isolierten sie zunehmend. „Ich habe Essen beim Supermarkt bestellt und hatte keine Probleme damit, mich um behördliche Angelegenheiten zu kümmern. Phasenweise war es schwierig, aber es klappte irgendwie. Ich konnte aber nicht in ein öffentliches Verkehrsmittel steigen oder zum Beispiel ins Kino gehen. Wegen meiner Medikamente habe ich stark zugenommen. Dafür habe ich mich geschämt. Aber ein Sportverein kam nicht in Frage. Das hätte ich nicht geschafft. Mein soziales Umfeld ist zum großen Teil weggebrochen – glücklicherweise wohnt meine Schwester in der Nähe und wir verstehen uns gut“, berichtet T.

Auf Anraten ihres Therapeuten wandte sie sich an die GPD Nordost. Dort vereinbarte sie erstmal einen Termin für die psychosoziale Beratung. Es kristallisierte sich jedoch schnell heraus, dass Frau T. mehr Unterstützung benötigte. Gemeinsam mit ihrer Schwester ließ sie sich vom Info- und Aufnahmebüro der GPD beraten und entscheidet sich dazu, ASP für sich in Anspruch zu nehmen.

ASP und Eingliederungshilfe

Die ASP (Eingliederungshilfe) ist eine Leistung für Menschen, die an einer psychischen Erkrankung leiden oder von ihr bedroht sind. Diese Unterstützung ermöglicht es den Betroffenen, wieder am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, indem sie Hilfestellungen in verschiedenen Lebensbereichen wie Arbeit, Wohnen, Freizeitgestaltung und sozialen Kontakten bietet. Ziel der ASP ist es, Betroffenen dabei zu helfen mit ihrer Erkrankung umzugehen und zu leben, die eigene Fähigkeiten weiterzuentwickeln sowie im eigenen sozialen Umfeld selbständig und möglichst unabhängig zurechtkommen. Erreicht wird das mit Leistungen zur Vorbeugung einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes, deren Milderung oder Beseitigung der Krankheitsfolgen.

Dabei ist es gesetzlich verankert, dass jeder Anspruch auf diese Hilfen hat. Die Grundlage bildet hierbei das Bundesteilhabegesetz (BTHG).

Anspruchsberechtigung und individuelle Bedarfsprüfung

Ob Anspruch auf Eingliederungshilfe besteht, wird zunächst durch eine Bedarfsprüfung ermittelt. Diese erfolgt durch die zuständigen Behörden gemäß den Vorgaben des BTHG. Hierbei wird die individuelle Lebenssituation der Erkrankten eingehend betrachtet: Wie wohnen sie? Wie beeinflusst die Krankheit ihren Alltag? Können sie am gesellschaftlichen Leben teilnehmen? Auf dieser Basis werden gemeinsame Ziele definiert, um die Teilhabe zu fördern. Entscheidend ist hierbei nicht nur der Grad der Erkrankung, sondern auch das Ausmaß der Beeinträchtigung der gesellschaftlichen Teilhabe.

Thomas Krug erklärt: „Um Eingliederungshilfe zu erhalten, muss ein Antrag gestellt werden. Welche Behörde dafür zuständig ist, variiert je nach Bundesland. In Hamburg beispielsweise ist das Fachamt für Eingliederungshilfe verantwortlich. Diese Leistung ist für Menschen über 21 Jahre unabhängig von anderen Sozialleistungen wie dem Bürgergeld und erfordert daher einen separaten Antrag. Bei Menschen zwischen 18 und 21 ist das Jugendamt zuständig. „Wer Unterstützung bei der Stellung des Antrags benötigt, dem helfen wir natürlich. Wir können auch zum Termin beim Fachamt begleiten.“

Die Kosten der Eingliederungshilfe werden in der Regel vom Staat getragen, abhängig von der individuellen Einkommenssituation der Antragstellenden. Gegebenenfalls muss ein Eigenanteil geleistet werden.

Konkrete Unterstützung

Nach Bewilligung des Antrags bekam Marina T. zwei feste Bezugsassistenzen. Eine Besonderheit der GPD Nordost: hier wird immer in sogenannten „Tandems“ zusammengearbeitet. Diese langfristige und persönliche Assistenz ermöglicht eine kontinuierliche Unterstützung und Begleitung im Alltag. Gemeinsam mit Frau T. wurde ein bedarfsgerechter Hilfeplan entwickelt. Er umfasste Einzel- und Gruppenleistungen, die sie bei der Erreichung ihrer persönlichen Ziele unterstützen sollen.

Carolin Vagt erklärt: „Je nachdem, was jemand braucht, unterstützen wir beispielsweise dabei, geeignete Therapien oder Ärzte zu finden, wichtige Termine wahrzunehmen, finanzielle Angelegenheiten zu klären, rechtlichen Beistand zu vermitteln, wichtige Behördenangelegenheiten oder Postbearbeitung zu erledigen, die Freizeit zu gestalten, eine neue Wohnung zu suchen oder Haushaltstätigkeiten wie den Einkauf zu organisieren und zu strukturieren.“

Neben der individuellen Assistenz können (während der Öffnungszeiten) die sechs Zentren der GPD aufgesucht werden, um sich dort aufhalten, mit Mitarbeitenden oder anderen Besucher:innen zu sprechen, den PC zu benutzen oder Gesellschaftsspiele zu spielen.

Dazu kommt eine große Anzahl an Gruppenleistungen (Kreatives, Sport, Freizeit, Begegnung, Ernährung) – die je nach individuellem Bedarf und Ziel in Anspruch genommen werden können: Fotowerkstatt, Fahrradgruppe, Sozialkompetenz-Training, Backen oder Tischtennis sind nur ein paar Beispiele aus dem Wochenplan der GPD.

Auch alle, die keine Bezugsassistenz in Anspruch nehmen, können einfach vorbeikommen. Die Nutzung der Zentren und ein großer Teil der Gruppenleistungen sind kostenlos (auch ohne ASP-Bewilligung) möglich.

Heute sitzt Daniel C. im GPD Zentrum in Marienthal und trinkt Kaffee. „Ich komme oft her. Mindestens zweimal in der Woche während der Öffnungszeiten. Es ist immer irgendwer da, den ich kenne. Manchmal spielen wir Karten. Und ich gehe – wenn es mir gutgeht – mit meinem Hund zur Hunde-Gruppe. Wir gehen wöchentlich zusammen spazieren. Diese Treffen geben mir eine Struktur. Das ist für mich sehr wichtig.“

Aktiv- und Tätigwerden

Seit einiger Zeit nimmt Herr C. auch die Beratung des „Büro für Aktion“ in Anspruch. Eine Einrichtung innerhalb der GPD, die sich speziell an Menschen richtet, die Interesse daran haben, wieder einer Tätigkeit nachzugehen. Dabei geht es nicht darum, ihnen einen Job auf dem Arbeitsmarkt zu vermitteln. Zuerst wird überhaupt erstmal gemeinsam überlegt, wie ein Schritt in Richtung Beschäftigung aussehen kann: langsam, nach den eigenen Fähigkeiten und Wünschen. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass man zweimal in der Woche die Blumen im Zentrum gießt. Es geht darum, sich in kleinen Tätigkeiten und in einem geschützten und strukturgebenden Rahmen zu erproben.

Inzwischen gibt es in der GPD viele Stellen, an denen das möglich ist: zum Beispiel beim Postdienst, als Hausmeisterhilfe oder beim Autowaschen.

Zahlreiche Gruppen werden inzwischen von Nutzer:innen selbst organisiert und geleitet: seien es Kreativ- und Literaturgruppen, Fahrradwerkstatt oder Unterstützung bei Problemen mit Smartphone und PC.

Langfristige Begleitung 

Marina T. geht es heute besser. Sie hat die Bezugsassistenz bei der GPD nach drei Jahren wieder beendet. Zwar kann sie immer noch nicht arbeiten, aber sie hat ihren Alltag besser im Griff und nimmt weiterhin regelmäßig an Aktivitäten und Gruppenleistungen teil. Besonders das jährliche Sommerfest der GPD ist für sie ein Highlight, das sie sich nie entgehen lässt.

Auch ihre Schwester ist froh, dass Frau T. Unterstützung gefunden hat. „Ich war wirklich überrascht, dass es sowas wie die ASP für Menschen mit psychischen Problemen überhaupt gibt. Irgendwie fand und finde ich es auch schlimm, dass nicht mehr Leute davon wissen. Bevor sich die Situation mit meiner Schwester so zugespitzt hat, habe ich mir darüber aber auch nie Gedanken gemacht. Für mich gab es immer nur Psychotherapie und stationäre Unterbringung. Aber was mit den Menschen passiert, die aus dem Krankenhaus zurück in ihre Wohnung kommen oder wie sich ihr Leben in den zwei Wochen bis zur nächsten Therapiesitzung gestaltet: da habe ich nie drüber nachgedacht. Mir hat die Unterstützung für meine Schwester durch die GPD auch eine große Last genommen.“

Was, wenn man ganz allein ist?

„So wie Frau T. finden viele Menschen ihren Weg zu uns: durch die Empfehlung einer Therapeutin bzw. eines Therapeuten oder durch das Krankenhaus direkt im Anschluss an einen stationären Aufenthalt. Obwohl wir leider immer wieder feststellen, dass die Möglichkeiten, die die ASP bietet auch in Fachkreisen noch nicht genug bekannt sind. Es gibt aber auch sehr viele Fälle, in denen die Betroffenen noch gar keinen Zugang zum Hilfesystem haben. Ihre Erkrankung ist nicht diagnostiziert oder nicht behandelt, sie können nicht arbeiten, leben allein und haben keine engen sozialen Kontakte. Durch ihre finanzielle Situation haben sie keinen Zugang zum Internet oder ein Smartphone. So erreichen sie heute viele Informationen gar nicht. Ohne Hilfe von außen werden sie den Weg ins Hilfesystem nicht finden. Deshalb sind uns die Aufklärung und der Diskurs so wichtig“, erzählt Krug.

Ein Beispiel ist Herr D. aus Barmbek-Süd. Nach dem Tod seines Vaters vor zwölf Jahren lebt er zurückgezogen in seiner Wohnung, leidet an paranoiden Wahnvorstellungen. Das beinhaltet bei Herrn D. die Annahme, dass ihm jeder etwas Böses will und führt zu immer weiterem Rückzug aus dem sozialen Leben. Behördengänge, die Verwaltung seiner Post, Rechnungen begleichen und alltägliche Verpflichtungen sind für ihn unüberwindbare Hindernisse geworden. Herr D. ist erwerbsunfähig und seine Kontakte beschränken sich auf sporadische Telefonate mit einem entfernten Verwandten. Sein Tag besteht daraus, im Sessel vor dem Fernseher zu sitzen und zu rauchen. Lediglich alle zwei Wochen, wenn es gar nicht anders geht, schafft er den Gang in den Supermarkt.

Die Situation eskaliert, als die Spannungen in dem Mehrfamilienhaus, in dem er wohnt, immer häufiger werden. Was die Nachbarn sehen ist der schlechte Zustand des Treppenhauses. Müllsäcke im Flur. Rechnungen und Werbung, die aus dem Briefkasten quellen. Zigarettengeruch. Schließlich droht der Wohnungsverlust. Doch eine Nachbarin schaut genauer hin: „Ich war sauer, weil er sich um nichts gekümmert hat und sich an keine Absprachen hielt. Er war auch nicht besonders freundlich, wenn man ihn mal gesehen hat. Aber man hat gemerkt, dass mit ihm ‚irgendwas ist‘“, erzählt sie. Sie ist es schließlich, die den entscheidenden Schritt wagt. „Ich habe ihn dann mal gefragt, ob er vielleicht Hilfe braucht und er hat überraschenderweise ja gesagt. Dann habe ich bei Google die GPD gefunden, angerufen und die Situation erklärt. Ich konnte Herrn D. zu einem Beratungstermin bewegen. Dahin habe ich ihn begleitet. Ich glaube allein wäre er nicht gegangen.“

Herr D. stellt den Antrag auf Eingliederungshilfe. Die GPD hat ihm geholfen, die Streitigkeiten mit den Nachbarn zu regeln, eine Haushaltshilfe vermittelt und ihn zu einem Termin mit einer kostenlosen Rechtsberatung begleitet. Seine Bezugsassistenz unterstützt ihn bei der Bearbeitung seiner Post. Herr D. kann seine Wohnung behalten.

„Dass Herr D. in seiner Wohnung bleiben konnte und den Konflikt im Haus zu klären, hatte für uns erstmal Priorität. Sie können sich vielleicht vorstellen, was es für ihn bedeutet hätte, auf dem Hamburger Wohnungsmarkt eine Wohnung suchen zu müssen. Menschen wie Herr D. nutzen die Bezugsassistenz meist ihr Leben lang. Bei ihnen geht es hauptsächlich darum, dass keine Verschlechterung ihrer Situation eintritt und sie so gut wie möglich mit ihrer Erkrankung leben können, dass sie jemanden haben, der sie sieht und für sie da ist. Leider gehört es bei ihm zum Krankheitsbild, dass er paranoid und damit sehr misstrauisch ist und in schlechten Phasen niemanden an sich heranlässt“, berichtet Krug.

Herr D. nimmt also nicht an Ausflügen der Freizeitgruppe teil oder töpfert. Für ihn stehen seine Ruhe und Grundversorgung im Vordergrund. Aber Zweimal im Monat kommt er in die Frühstücksgruppe im nahegelegenen GPD Zentrum. Dieses persönliche Ziel hat er mit seinem Assistenten gemeinsam für sich festgelegt. Mehr schafft er nicht und ganz wichtig: mehr will er nicht.

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© GPD

Selber mitbestimmen

Ein ganz entscheidender Punkt der Eingliederungshilfe ist die Selbst-/ und Mitbestimmung. Dafür gibt es das Wunsch- und Wahlrecht. Das bedeutet, dass jede:r Betroffene selbst aus den Leistungen auswählen kann. Wenn verschiedene Maßnahmen möglich sind, kann der oder die Betroffene frei wählen. Solange die Wünsche angemessen sind, müssen sie berücksichtigt werden. Die Eingliederungshilfe ist somit ein zentraler Baustein zur Förderung der Inklusion und Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen und trägt maßgeblich dazu bei, ihre Lebensqualität zu verbessern und ihre Teilhabe an der Gesellschaft zu sichern.

Thomas Krug führt aus: „Es ist ein – ja auch nachvollziehbarer – Reflex von vielen Menschen, die jemandem helfen möchten, zu versuchen, demjenigen etwas ‚überzustülpen‘, von dem sie meinen, dass es gut für ihn wäre. ‚Der muss mal mehr an die frische Luft‘, ‚Sie sollte mal Sport machen‘, ‚Am besten sie geht wieder arbeiten‘, ‚Der muss unter Leute‘. Aber es muss niemand etwas tun, das er nicht möchte. Es ist sein Recht, selbst zu entscheiden. Unsere Leistungen sind freiwillig. Ein gewisses Maß an ‚Wollen und Zusammenarbeit‘ ist natürlich Voraussetzung dafür, dass wir unsere Arbeit machen können. Aber grundsätzlich gilt: nicht ohne mich über mich.“

In der GPD sind Mitbestimmung und Teilhabe keine Floskel, sondern zentrale Konzepte in der Arbeit, die die Autonomie der Menschen fördern sollen, damit sie ihr Leben so gut wie möglich nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen gestalten können. So wird sichergestellt, dass die individuellen Bedürfnisse und Präferenzen im Mittelpunkt stehen und die Betroffenen aktiv in die Planung und Umsetzung der Unterstützungsmaßnahmen einbezogen werden.

Über die persönliche Mitbestimmung hinaus haben Nutzer:innen der GPD aber auch die Möglichkeit, sich in die Gestaltung der Einrichtung mit einzubringen und Entscheidungen aktiv zu beeinflussen. Das ist ganz selbstverständlich. „Wenn es zum Beispiel um die Umgestaltung eines Zentrums geht, werden wir immer gefragt, wie wir uns das vorstellen würden. Oder wir haben darüber abgestimmt, ob wir Sonntagsöffnungszeiten möchten“, erzählt Daniel C. aus dem Zentrum in Marienthal.

Doch auch in weiterreichende Entscheidungen bringen sich Klient:innen aktiv ein. Dafür wird alle zwei Jahre ein Beirat gewählt. Er tauscht sich mit der Leitung über Themen aus, die die Klient:innen betreffen, nimm an Arbeitsgruppen teil, ist Vermittler bei Beschwerden oder Problemen. Sogar bei Personalgesprächen oder zur Besichtigung von Räumlichkeiten für neue Standorte sind Beiratsmitglieder anwesend. Durch den Beirat haben die Klient:innen ganz konkretes Mitspracherecht über Entscheidungen und Umsetzungen in der GPD.

Genesungsbegleitung

Bei den Wahlen und einigen organisatorischen Dingen wird der Klient:innenbeirat von der Genesungsbegleitung unterstützt. Genesungsbegleiter:innen, kennen psychische Krisen aus eigener Erfahrung. Sie haben eine EX-IN-Qualifikation durchlaufen, in der es darum geht, die persönlichen Erfahrungen zu nutzen, um andere Menschen in ähnlichen Situationen zu verstehen und zu unterstützen. Gespräche mit den Genesungsbegleiter:innen können Teil des Hilfeplans sein.

„Manchen Menschen fällt es leichter, mit jemandem über ihre Probleme zu sprechen und Rat anzunehmen, von dem sie wissen, dass er ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Das ist weniger schambesetzt und einfach sehr auf Augenhöhe“, erläutert Thomas Krug.

Sichtbarkeit im Sozialraum

Doch nicht nur in den Zentren der GPD oder in der eigenen Wohnung werden Leistungen erbracht. Der GPD ist es wichtig, im Sozialraum Angebote ausfindig zu machen, die – je nach den persönlichen Bedarfen, Wünschen und Möglichkeiten – von den Betroffenen genutzt werden können. So kann beispielsweise der Kontakt zu einem Sportverein angebahnt und die Begleitung zu den ersten Terminen organisiert werden, um die Hürden des Einstiegs zu erleichtern.

Andersherum ist die GPD ebenfalls eine offene Anlaufstelle für den Sozialraum: auch um Vorurteile abzubauen und gesellschaftliche Inklusion zu leben.

Ein Beispiel dafür ist das 2022 eröffnete GPD-Zentrum in Hamm: die „Allee 59“. Ein Ort für seelische Gesundheit und Nachhaltigkeit. Von Beginn an wurde die Nachbarschaft in das Konzept und die Gestaltung der Begegnungsstätte mit Café-Charakter einbezogen. Nutzer:innen und Anwohner nehmen gemeinsam an Veranstaltungen im Sozialraum teil: wie zum Beispiel der Müllsammelaktion der Stadt Hamburg.

In der „Allee“ finden regelmäßig offene Vorträge statt zu Themen der mentalen Gesundheit oder zum Umweltschutz. Im vergangenen Jahr entstand durch einen Aufruf in der Nachbarschaft eine Gesprächsgruppe zum Thema „Gedanken machen Gefühle“. Menschen, die in der GPD Assistenzleistungen erhalten und Interessierte aus dem Stadtteil waren gleichermaßen angesprochen. Der Andrang war enorm. In den Räumen in der Sievekingsallee 59 gibt es zudem kostenlose Ausstellungen sowie kreative Angebote für alle Interessierten, im vergangenen Jahr organisierten Nutzer:innen selbstständig einen Flohmarkt für alle Interessenten aus dem Stadtteil.

Durch die Arbeit in der ASP wird nicht nur die Lebensqualität der Betroffenen verbessert, sondern auch ein wichtiger Beitrag zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen in unserer Gesellschaft geleistet.

Kontakt

Gemeindepsychiatrische Dienste Hamburg-Nordost gGmbH
Elfriede-Lohse-Wächtler-Weg 39b
22081 Hamburg

Telefon: 040 / 682 826 - 55
Fax: 040 / 682 826 - 30
E-Mail: info@gpd-nordost.de
Web: www.gpd-nordost.de