Carolin Tappert-Kretzschmar, therapeutische Leiterin der Fachklinik Bassum, im exklusiven Expertengespräch, welche Perspektiven Betroffenen geboten werden.
Carolin Tappert-Kretzschmar ist die therapeutische Leiterin der Fachklinik Bassum, einer Einrichtung zur medizinischen Rehabilitation bei Abhängigkeitserkrankung im Raum Bremen. Seit 2008 unterstützt die Klinik Menschen mit Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit auf ihrem Weg in ein Leben frei von Sucht. Ganz neu im Therapieprogramm: Ein Angebot, das sich speziell an Führungskräfte und Personaler richtet. Im exklusiven Expertengespräch klären wir, weshalb besonders Personen mit großer beruflicher Verantwortung betroffen sind und welche Perspektiven die Fachklinik Bassum Betroffenen bietet.
Frau Tappert-Kretzschmar, Sie sind Spezialistin auf dem Gebiet Suchterkrankungen. Wo ziehen Sie die Grenze zwischen kontrolliertem Trinkverhalten und tatsächlicher Sucht? Ist die leise mahnende Stimme im Hinterkopf schon ein erstes Indiz dafür, dass etwas mit dem eigenen Konsum nicht stimmen könnte?
Eine leise mahnende Stimme im Hinterkopf wird leider in unserer heutigen Gesellschaft, wo abhängigkeitsmachende Substanzen allgegenwärtig sind, zu häufig übersehen. Meiner Erfahrung nach ist es unmöglich, infolge einer Suchterkrankung zurück zu einem kontrollierten Konsum zu finden. Vielmehr haben wir im Rahmen einer Behandlung die Chance, die Funktionalität des Suchtverhaltens zu hinterfragen, um neue alternative und hilfreiche Wege zu finden.
Sucht hat viele Gesichter. Welche sind die aus Ihrer Erfahrung häufigsten Gründe für Alkoholabhängigkeit?
Konsum ist häufig ein Lösungsversuch, um schwierige Lebenssituationen zu bewältigen. Aus dieser vermeintlichen Strategie kann sich ein Muster ergeben, das in ähnlichen Situationen wiederholt und irgendwann automatisiert wird. Häufige Gründe für einen exzessiven Konsum stellen aber auch Langeweile und Einsamkeit dar. Bei hochfunktionalen Menschen, wie zum Beispiel bei Personen mit Führungsverantwortung, dient er der Stresskompensation oder auch zur Belohnung, besonders wenn sich Personen in sogenannten Zwischenrollen befinden und dem Erwartungsdruck von oberen und unteren Ebenen ausgesetzt sind.
Ein trinkendes Gehirn ist kaum empfänglich für neue Inhalte. Die Angst vor Stigmatisierung und die gesellschaftliche Verharmlosung des Konsums erschwert die Einsicht, dass man bereits ein behandlungsbedürftiges Problem hat. An welchem Punkt wenden sich Personen an Angebotsstellen wie Ihre?
Ausschlaggebend für die Akzeptanz einer behandlungsbedürftigen Diagnose ist zunächst der Leidensdruck der Betroffenen. Sobald zum Beispiel alltägliche Aufgabenstellungen zur Hürde werden oder soziale Isolation beginnt und der Ausstieg nicht mehr aus eigenen Kräften gelingt, sollte professionelle Unterstützung angenommen werden. Häufig ist es auch das nahe soziale Umfeld, welches die ersten Anstöße gibt, wenn es starke Wesensveränderungen bei den Betroffenen wahrnimmt.
Vielen Betroffenen sieht man ihr Problem nicht an, sie funktionieren wie ein gut geöltes Uhrwerk und erzielen auch unter Druck Spitzenergebnisse. Welche Berufsgruppen sind Ihrer Erfahrung nach besonders gefährdet?
Wenn man die sogenannte „high functional“-Gruppe betrachtet, sehen wir immer wieder Betroffene, die innere Leitsätze wie „Geht nicht, gibt‘s nicht“, „Ich bin nicht genug“ oder „Ich werde nur anerkannt, wenn ich Leistung bringe“ verinnerlicht haben. Als Folge missachten sie häufig ihre eigenen Grenzen und Bedürfnisse, um zu funktionieren. Hier wird Konsum als Kompensationsmittel verwendet, um dem eigenen Anspruch und dem von außen Stand zu halten.
Stichwort Führungskraft: Wie unterscheidet sich Alkoholabhängigkeit bei Frauen und Männern in gehobeneren Positionen?
Frauen befinden sie sich häufig in sogenannten „Sandwich-Positionen“. Erfahren also Druck von oben und unten. Studien zeigen, dass sie noch weniger gut vernetzt sind als Männer in vergleichbaren Positionen. Somit findet auch ein geringerer Austausch über alltägliche Belastungen statt, was den Stress erhöht und wiederum zu übermäßigem Substanzkonsum führen kann. Zudem wissen wir, dass heutzutage ein Großteil der Care-Arbeit bei der weiblichen Personengruppe liegt und somit spielen hier Vereinbarkeitsthemen von Beruf und Familie häufig noch eine größere Rolle. So unterscheiden sich häufig die Gründe für Konsum bei männlichen und weiblichen Betroffenen.
Welche sind die wichtigsten Bausteine ihres Therapieangebots für Menschen mit Führungsverantwortung? Wie kann ich mir den Ablauf vorstellen?
Unser Angebot richtet sich an jede Person mit Führungsverantwortung, ob es sich um die Kitaleitung, den Vorarbeiter oder die Stationsleitung handelt. Der Ablauf unseres Konzepts „Gesund in meiner Führungsrolle“ sieht vor, dass die Teilnehmenden im Therapieverlauf durch eine spezielle Indikationsgruppe begleitet werden. Sie werden unterstützt, eigene Motive und innere Antreiber zu erkennen und den Perspektivwechsel zu üben. Der Wunsch einer hilfreichen Vorbildfunktion in Punkto Gesundheit wird beleuchtet und diesbezüglich eine hilfreiche Selbstfürsorge erarbeitet. Auch erlebte Situationen finden hier Raum, um gemeinsam analysiert zu werden. Bislang können wir sagen, dass dieses Angebot sehr guten Anklang gefunden hat, da Betroffene hier erstmals das Gefühl haben, über ihre spezielle Rolle offen sprechen zu können. Auch im Rahmen unserer Arbeitstherapeutischen Maßnahmen legen wir den Fokus darauf, dass Personen mit Führungsverantwortung auch hier eine Rolle in der Teamleitung einnehmen können, um die Problemfelder ihrer Rolle im beruflichen Umfeld erlebbar zu machen und neues Kompetenzerleben und Selbstwirksamkeit zu entwickeln.
Die Gefahr einer Abhängigkeit steht und fällt mit dem Umfeld. Besteht überhaupt eine Chance, nüchtern zu werden und zu bleiben, wenn ich in meinem Job grundsätzlich glücklich bin? Was bedeutet eine Therapie für meine berufliche Zukunft?
Unser Ziel ist es, die Teilhabe am beruflichen und sozialen Leben zu stärken. Somit kann eine Rehabilitationsbehandlung dazu dienen, sich wieder neu aufzustellen, verankerte Grundannahmen zu hinterfragen und neues Kompetenzerleben in verschiedenen Lebensbereichen zu erarbeiten. Unser interdisziplinäres Team aus Ergotherapie, Sozialberatung, Ärzten, Psychologen und Pflege erarbeitet mit den Betroffenen eine Therapieplanung mit sehr guten Erfolgsaussichten.
Nehmen Sie Kontakt auf:
Kontakt:
Therapiezentrum Niedersachsen-Bremen gGmbH – Fachklinik Bassum
Marie-Hackfeld-Straße 6
27211 Bremen
E-Mail: post@fachklinik-bassum.de
Telefon: 04241 / 80 30 00
Web: www.fachklinik-bassum.de
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