Steigende Zinsen, explodierende Baukosten und immer neue Klimavorgaben setzen den genossenschaftlichen Wohnungsbau unter Druck. Michael Wulf, Vorstandsprecher des Bauverein der Elbgemeinden eG (BVE) spricht mit der Funke Mediengruppe, welchen Herausforderungen sich Hamburgs größte Wohnungsbaugenossenschaft in den kommenden Jahren stellen muss, um auch in Zukunft unter erschwerten Bedingungen kostengünstige und zukunftssichere Quartiere für die Mitglieder zu schaffen.
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Herr Wulf, auf dem Immobilienmarkt, insbesondere in Hamburg, ist ein deutlicher Wandel zu beobachten. Was sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Ursachen? Und welche Folgen zeichnen sich ab?
Der Hamburger Wohnungsmarkt ist seit vielen Jahren durch eine hohe Nachfrage gekennzeichnet. Das liegt natürlich vor allem daran, dass unsere schöne Stadt auch ein attraktiver Wirtschaftsstandort ist. Im Moment sind sowohl die Mieten in vielen Segmenten als auch die Kaufpreise extrem gestiegen.
Welche Rolle spielt der BVE in diesem Marktumfeld?
Wir sind ein Fels in der Brandung. Mit einer Durchschnittsmiete von rund sieben Euro liegen wir nicht nur deutlich unter dem Mittelwert des Hamburger Mietenspiegels, sondern stehen auch dafür, dass wir hier in und um Hamburg vernünftigen und gut bezahlbaren Wohnraum anbieten.
Welche besonderen Herausforderungen ergeben sich vor diesem Hintergrund für den BVE?
Zunächst einmal müssen wir den Menschen vor allem die Sorge nehmen, sich hier in Hamburg noch mit bezahlbarem Wohnraum versorgen zu können. Trotz der teilweise sehr hohen Mietpreise, die auf dem freien Markt verlangt werden, vermieten wir als Genossenschaft nach wie vor zwischen 750 und 800 Wohnungen im Jahr. Davon entfällt etwa die Hälfte an neu hinzukommende Mitglieder. Das gilt auch für die anderen Wohnungsbaugenossenschaften. So stehen durch uns auf dem Hamburger Wohnungsmarkt jährlich Tausende von Wohnungen zu günstigen Mieten zur Verfügung. Dass es auf dem Hamburger Wohnungsmarkt durchaus auch preiswerten Wohnraum gibt, untermauert übrigens auch wieder die aktuelle CRES-Studie (ermittelt auf der Basis von 200.000 Datensätzen die Höhe der tatsächlichen Mieten, Anm. d. Red.).
Wie gehen Sie mit den steigenden Zinsen, Energie- und Baukosten um, die ja als Hauptursache der stagnierenden Bautätigkeit gelten?
Auch für uns als Wohnungsbaugenossenschaft gilt, dass wir jeden Euro nur einmal ausgeben können. An erster Stelle steht bei uns immer die Bestandsentwicklung, also die Modernisierung und der Erhalt unserer Bestände. Wenn darüber hinaus Mittel zur Verfügung stehen, investieren wir diese auch gerne in den Neubau. Das haben wir in den letzten Jahren bereits sehr umfangreich getan – und werden es auch in Zukunft im Rahmen unserer Möglichkeiten tun. Die derzeitigen Kosten lassen das kaum zu. Und Um es noch einmal zusammenzufassen: Im Zweifelsfall schauen wir zuerst, ob wir wirklich Neubauten realisieren können. Unter dem Strich müssen immer ausreichend Mittel für die Instandhaltung und Modernisierung unseres Bestandes zur Verfügung stehen. Und das werden sie auch.
Lassen Sie uns noch einmal speziell auf die steigenden Zinsen kommen, die das Bauen extrem verteuern. Wie genau gehen Sie damit um?
Ja, die Zinsen haben sich zuletzt mehr als verdreifacht. Wir haben viele öffentlich geförderte Projekte. Hier gibt es immer noch attraktive Angebote, auch von der Investitions- und Förderbank. Doch auch unabhängig von den steigenden Zinsen machen die übrigen Rahmenbedingungen das Bauen extrem teuer und schwierig. Das führt auch bei uns dazu, dass wir Neubauten nicht oder nur noch angepasst realisieren können.
Wie beeinflussen die neuen Klimavorgaben die Planung und Umsetzung von energieeffizienten Bauprojekten?
Wir gehen davon aus, dass wir die definierten Klimaziele auch den definierten Zeiträumen erreichen werden. Das gilt für die Modernisierung selbst, bei der Instandhaltung der Gebäude und beim Neubau. Wir plädieren dafür, dass wir Vorschläge machen können, wie gute, intelligente energetische Quartierskonzepte aussehen können. Hier gibt es nicht die eine Standardlösung. Die Konzepte können von Quartier zu Quartier variieren.
Wie genau setzen Sie die Klimavorgaben konkret um?
Wir machen einen energetisch sinnvollen Vorschlag. Uns geht es immer darum, die Gebäude im Hinblick auf die Klimaziele und unter Einbeziehung des Wärmenetzes auf einer soliden Basis zu ertüchtigen. Auf dieser Basis planen wir unsere Investitionen so, dass alle Bestände und damit alle Mitglieder davon preislich profitieren.
Kontraproduktiv wäre es beispielsweise, jedes einzelne Gebäude zu dämmen und mit allen möglichen Nachrüstungen auszustatten. Das führt einerseits dazu, dass extrem hohen Kosten auf Gebäudeebene, die aus unserer Sicht nicht unbedingt notwendig sind, und andererseits dazu, dass an anderer Stelle Investitionen für andere Quartiere zurückgehalten werden müssen.
Wie wirken sich die energetischen Anforderungen insgesamt auf Ihre Bauprojekte aus?
Sie treiben natürlich bei allen Projekten die Kosten in die Höhe, oftmals ohne dass dem ein entsprechender Mehr-Nutzen gegenübersteht. Gerade in den letzten Jahren wurden die energetischen Anforderungen immer wieder angepasst und verschärft. Die zwei Zentimeter mehr Dämmung, die auf die vorhandenen Zentimeter draufgesattelt werden, bringen im Endeffekt so gut wie nichts, führen aber zu extremen Kostensteigerungen. Und das ist wieder ein ganz praktisches Beispiel, wo wir dafür plädieren, dass wir mit Augenmaß sinnvoll investieren und eben nicht über Ordnungsrecht und Auflagen gezwungen werden, immer mehr zu immer höheren Kosten und mit zweifelhaftem Wert, insbesondere für den Klimaschutz, zu realisieren.
Wie genau meinen Sie das? Können Sie ein Beispiel nennen?
Sehr gerne: Wenn wir hier in Osdorf die Möglichkeit haben, die Abwärme des DESY-Forschungszentrums in ein solches Energieversorgungskonzept einzubinden - dann gilt das dort für das Quartier, sprich: es ist auf andere Standorte in Hamburg nicht übertragbar. Deshalb müssen wir jedes Quartier einzeln betrachten und individuelle Konzepte entwickeln. Nur so können die Klimaziele für den Gesamtbestand unserer 14.500 Wohnungen und auch für die ergänzenden Neubauten erreichen.
Ist es unter den gegebenen Umständen überhaupt noch möglich, wohnungsbaugenossenschaftlichen Wohnungsbau sinnvoll umzusetzen? Wenn ja, wie?
Ich denke schon, dass es auch in Zukunft möglich sein wird und sollte, genossenschaftlichen Wohnungsbau zu realisieren. Dazu müssen sich aber die Rahmenbedingungen ändern und anpassen. Der Wohnungsbau ist in der Vergangenheit immer komplizierter und teurer geworden. Durch die gestiegenen Anforderungen sind auch die Planungsphasen immer länger geworden, die Realisierung wurde immer komplexer.
Vor diesem Hintergrund wird es auch in Zukunft immer schwieriger werden, Wohnungsneubau in einem vernünftigen Zeitrahmen zu realisieren. Das betrifft dann alle Hamburger Wohnungsbaugenossenschaften gleichermaßen.
Gibt es auch konkrete Auswirkungen der neuen Bedingungen auf die laufenden Projekte Ihres Bauvereins?
Ja, die sind durchaus zu erkennen. Wir haben frühzeitig angefangen, größere Projekte umzusetzen. Ein Beispiel ist unser Quartier hier am Heidrehmen, wo wir mit der Hauptverwaltung sitzen. Dort haben wir das Nahwärmenetz auf über 2 Kilometern erneuert, die Gebäude angepasst und dabei auch die höheren Gebäude gedämmt. Gleichzeitig haben wir auch einen Klimapfad eingerichtet und eine Mobilitätshub mit verschiedenen Sharing-Angeboten gebaut.
Sehen Sie das Quartier eine Art Modellsiedlung für die Zukunft des genossenschaftlichen Bauens?
Ja, die Kombination dessen, was wir in diesem Quartier mit 800 eigenen Wohnungen realisiert haben, ist für uns ein Modell für die Quartiersentwicklung der nächsten Jahrzehnte. Eine große Frage lautet: Wie sieht die Mobilität der Zukunft aus? Wir können Sie nur beantworten, indem wir praktische Erfahrungen sammeln – etwa, indem wir einen Mobilitäts-Hub bauen, der neben Carsharing auch elektrische Lastenräder und eine Stadtradstation umfasst, dazu aber auch Foodsharing-Angebote.
Wie kommt das Konzept an?
Sehr gut, es wird nicht nur von unseren Bewohnerinnen und Bewohnern selbst, sondern auch von Menschen aus anderen Bezirken begeistert genutzt. Dieses Gesamtkonzept zeigt, wie wir uns als Wohnungsbaugenossenschaft die Entwicklung der Bestände in Zukunft vorstellen.
Dabei geht es nicht nur um den Klimapfad (Programm zur Umsetzung der gesetzlich vereinbarten Klimaschutzziele für 2030 in allen Sektoren, Anm. d. Red.), sondern zum Beispiel auch um den renovierten Nachbarschaftstreff, der für eine Wohnungsbaugenossenschaft ebenfalls ein wichtiges Merkmal ist und zunächst gar nichts mit der energetischen Sanierung zu tun hat.
Welche Unterstützung erhoffen Sie sich von staatlicher Stelle, um in Zukunft mehr neuen Wohnraum schaffen zu können?
Wir erhoffen uns, dass der genossenschaftliche Wohnungsbau weiter gefördert wird – und zwar nicht nur dadurch, dass wir die normalen Förderprogramme der Investitions- und Förderbanken in Anspruch nehmen können. Um nur ein Beispiel zu nennen: In München ist es seit vielen Jahren gute und akzeptierte Praxis, dass bei der Vergabe von Grundstücken, die neu bebaut werden sollen, Wohnungsbaugenossenschaften besonders berücksichtigt werden. In Hamburg ist dies nicht möglich mit der Begründung, dass dies wegen des EU-Beihilferechts nicht möglich sei. Aber in München ist es seit vielen Jahren sehr wohl möglich. Hier, glaube ich, müssen wir noch mehr in Diskussionen kommen, wie im Rahmen intelligenter genossenschaftlicher „Geschäftsmodelle“ preiswerter, guter Wohnraum entstehen kann, für den wir selbst seit 125 Jahren stehen.
Ohne staatliche Unterstützung geht es also nicht?
Nein, wenn man dann all die beschriebenen Anforderungen erfüllen will, dann muss das eben mit einer ausreichenden, verlässlichen und auskömmlichen Förderung unterlegt werden. Und am Ende ist auch klar, dass die Refinanzierung dieser Maßnahmen auch über Mieteinnahmen erfolgen wird und erfolgen muss. Nur durch eine Förderung kann das in einem vernünftigen Rahmen gehalten werden.
Wir freuen uns auf Sie! | ||
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