Zwischen Fakt und Fiktion: Tom Tillenbrand erzählt in seinem Roman „Die Erfindung des Lächelns“ vom berühmtesten aller Kunstraube.

Als kürzlich in London offenbar wurde, dass im British Museum Hunderte Objekte aus dem Bestand gestohlen worden sind, musste der Direktor Hartwig Fischer seinen Hut nehmen. Und das Gespött groß: Wie kann es sein, dass jedes Kaufhaus besser bewacht wird als eine der wichtigsten Kunsthallen der Welt?

Aber man muss nur in der Geschichte zurückblicken, um zu erkennen, dass das durchaus kein Einzelfall ist. Und Tom Hillenbrand liefert dazu jetzt sogar den Roman zur Stunde: Weil er in „Die Erfindung des Lächelns“ von einem der berühmten Kunstdiebstählen überhaupt erzählt – von Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ aus dem Pariser Louvre.

Zwei Jahre lang war das berühmte Gemälde verschwunden

Im August 1911 wurde das nur 77 mal 53 Zentimeter große Gemälde von 1503/06, mit der Inventarnummer MR 316 auf der Rückseite, im Salon Carré entwendet. Auch damals musste der Direktor, Théophile Homolle, gehen. Auch damals wurde über die eklatanten Mängel in der Überwachung gespottet, es gab nur wenige Wochen danach schon einen kurzen Stummfilm, der den Diebstahl in absurder Überhöhung nachstellte.

Zwei Jahre lang wurde intensiv nach dem Gemälde gefahndet, ganz Frankreich schien im Suchfieber. Doch erst im Dezember 1913 tauchte das Bild wieder auf. Der italienische Handwerker Vincenzo Peruggia, der im Louvre beschäftigt gewesen war, wollte das Bild in Florenz an den Kunsthändler Alfredo Geri verkaufen.

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Der Täter nach seiner Verhaftung: Vincenzo Peruggia hatte wegen Ausbesserungen im Louvre gearbeitet.
Der Täter nach seiner Verhaftung: Vincenzo Peruggia hatte wegen Ausbesserungen im Louvre gearbeitet. © picture alliance / Everett Collection | Unbekannt

Aber mag man wirklich glauben, dass Perrugia das Meisterwerk zwei Jahre lang in seiner kleine Pariser Wohnung in einem Koffer mit doppeltem versteckt war? Schon damals kursierten die wildesten Theorien. Selbst der Pablo Picasso und Guillaume Apollinaire, der Maler und sein Dichterfreund, gerieten damals zeitweise unter Tatverdacht. 110 Jahre danach ist der Fall kaum mehr zu recherchieren. Der Fantasie sind daher aber auch keine Grenzen gesetzt. Bis heute.

Im Roman spielen auch Pablo Picasso und Isadora Duncan tragende Rollen

So erzählte schon 2015 das Kleine Theater in Berlin den „Raub der Mona Lisa“ als musikalische Krimikomödie. Und nun lässt auch Hillenbrand, der mit seinen Xavier-Kieffer-Krimis bekannt wurde, aber ebenso Science-Fiction („Drohnenland“) wie historische Romane („Der Kaffeedieb“) schreibt, in „Die Erfindung des Lächelns“ seiner Fantasie freien Lauf: „Alles in diesem Buch ist tatsächlich genau so passiert“, schreibt er in seinem Nachwort, „abgesehen von den Dingen, die ich mir ausgedacht habe.“

Sein Roman ist polyperspektivisch angelegt. Mal wird aus der Sicht des Diebes erzählt – von dem man nicht gleich weiß, dass er der Täter ist; mal aus der des ermittelnden Kommissars Juhel Lenoir – der gegen ein absurdes Kompetenzgerangel zu kämpfen hat zwischen der Präfektur von Paris und der Sûreté Generale, die für ganz Frankreich zuständig ist. Aber Hillenbrand lässt auch berühmte Persönlichkeiten auftreten: die verdächtigen Picasso und Apollinaire, die wie alle im Buch komplizenhaft beim Vornamen genannt werden und tatsächlich Artefakte, aber kleinere Skulpturen, aus dem Louvre hatten entwenden lassen.

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Eine Karikatur aus dem Jahr 1913 macht sich lustig über die Rückkehr der Mona Lisa in den Louvre unter größtem Polizeiaufgebot.
Eine Karikatur aus dem Jahr 1913 macht sich lustig über die Rückkehr der Mona Lisa in den Louvre unter größtem Polizeiaufgebot. © picture alliance / Everett Collection | Unbekannt

Aber es tritt auch Isadora Duncan, die große amerikanische Ausdruckstänzerin der Belle Epoque, auf. Sowie eine junge Exilantin aus Russland, Jelena, die eine Affäre mit der Duncan eingeht, aber zugleich eine Anarchistin ist, die die reiche Klasse stürzen will und Teil der „Automobilbande“ wird, die damals in Paris reiche Bürgerhäuser überfiel und in gestohlenen Automobilen flüchtete. Während die Polizei nur über Fahrräder und Pferde verfügte. Auch das eine, leider wahre, Lachnummer jener Jahre.

Auch die Krimifigur Fantômas spielt eine Rolle, und Klebebildchen einer Schokolade

Peruggia glaubte allen Ernstes, durch seinen Raub die „Mona Lisa“ in ihre wahre Heimat zurückzubringen, wofür er in Italien als Nationalheld gefeiert wurde. Doch bei Hillenbrand bleibt die Mona Lisa nicht die ganze Zeit in seiner Stube. Nein, auch dem Kunsträuber kommt sein Diebesgut abhanden. Und irgendwie hat jede der Romanfiguren sie einmal in den Händen. Was natürlich reine Fiktion ist, aber als Lektüreeinen Heidenspaß macht.

Vor allem, weil Zeit und Ort, in der es spielt, ansonsten so gut recherchiert und glaubhaft wiedergegeben ist. Da wird auch vom großen Streit um die Kirche Sacré Coeur erzählt, die Jahrzehnte lang eine Baustelle ist (auch das kommt einem sehr heutig vor), oder der Streik der Pariser Taxifahrer in jenen Tagen, der auch die Romanfiguren immer wieder ausbremst.

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Alles in diesem Buch ist tatsächlich genau so passiert“, schreibt er in seinem Nachwort, „abgesehen von den Dingen, die ich mir ausgedacht habe“, schreibt Tom Hillenbrand.
Alles in diesem Buch ist tatsächlich genau so passiert“, schreibt er in seinem Nachwort, „abgesehen von den Dingen, die ich mir ausgedacht habe“, schreibt Tom Hillenbrand. © Unbekannt | Kiepenheuer & Witsch

Und auch einer höchst erfolgreichen Kriminalromanreihe, die just in diesen Jahren erschien, wird hier Referenz erwiesen: „Fantômas“, der Mann mit der Maske, wird hier sogar zur Inspiration des „Mona Lisa“-Diebs. Während der Ermittler auf eine entscheidende Spur stößt durch eine Reihe von Klebebildchen, die damals in der Verpackung einer bekannten Schokoladenmarke steckten. Mit all diesen Querbezügen ist „Die Erfindung des Lächelns“ eine höchst launige und ob der vielen Wendungen niemals langweilige Charade, die eigentlich nach einer Verfilmung geradezu schreit.

Die Mona Lisa hing schon im Badehaus von Louis XIV. und im Schlafzimmer Napoleons

Ganz nebenbei erfährt der Leser auch ganz viel über die Geschichte des da-Vinci-Klassikers. Dass es zwar schon 1911 Liebhaber dieses Gemäldes gab, die mit Blumenbukett ins Museum kamen, dass aber die „Mona Lisa“ noch keinesfalls so berühmt war. Nein, der Roman unterstreicht die These, dass das Gemälde erst so richtig berühmt wurde durch seine Entwendung. Weil das Bild über Monate in allen Zeitungen abgedruckt wurde, als Replik, aber immer wieder auch in den aberwitzigsten Karikaturen.

Tom Hillenbrand: Die Erfindung des Lächelns. Kiepenheuer & Witsch, 512 S., 25 Euro.
Tom Hillenbrand: Die Erfindung des Lächelns. Kiepenheuer & Witsch, 512 S., 25 Euro. © Unbekannt | Kiepenheuer & WItsch

Man erfährt ganz nebenbei auch, dass da Vincis Porträt der Florentiner Kaufmannsgattin Lisa del Giocondo schon im Badehaus von Louis XIV. hing und im Schlafzimmer Napoleons. Aber auch, dass es eine Kopie im Prado gibt. Und immer wieder wird räsoniert über das Geheimnisvolle, das Sirenenhafte, das dieses Gemälde ausmacht.

Die wahren Geheimnisse des berühmten Gemäldes

„Vielleicht ist ihr langweilig, vielleicht ein wenig übel, man vermag es nicht zu sagen“, heißt es einmal. Der Kunstdieb will gar erkennen, „dass ihr Lächeln, das viele als mysteriös oder rätselhaft bezeichnen, im Grunde vor allem eines ist: das Grinsen einer arroganten Schnepfe.“ Den Dieb faszinieren vor allem die Augen, die den Betrachter, wenn er vor dem Bild hin und her wandelt, zu verfolgen scheinen.

Was freilich ein Künstler wie Picasso als einfachen Kniff abtut: „Man zeichnet den Canthus Irateralis, den äußeren Rand der Augen, bewusst verschwommen. Dadurch scheint es, als folge einem der Blick.“ Dem Picasso des Romans erscheint die Komposition als „geradezu banal“: „Wäre man ein Spötter, ließe sich sich anmerken, dass dem alten Leonardo wohl nichts Bessres eingefallen ist“. Die Herausforderung liegt für den Meister der Moderne, über dessen Anfänge im Roman noch gespottet wird, ganz woanders.

Hillenbrand gelingt die große Kunst, dass man eins der bekanntesten und meistkopierten Gemälde der Kunstgeschichte hier immer wieder mit ganz anderen Augen sieht. Und auch das macht den Reiz und großen Spaß dieser Lektüre aus. Immer wieder muss man schmunzeln. Und manchmal scheint es einem fast, als läse besagte Mona Lisa über die eigene Schulter hinweg mit und schmunzele ebenfalls.