Der Kölner gilt als einer der besten Eishockeyspieler der Welt – und doch läuft er in Deutschland unter dem Radar. Eine Würdigung.

„Verzückt“ sei er. Gesagt hat das Wayne Gretzky, der wohl beste Eishockeyspieler aller Zeiten, der in Kanada nur „The Great One“ genannt wird. Gemeint hat er Leon Draisaitl, den wiederum viele für den aktuell besten seines Fachs halten.

Und mit Gretzkys Lob hat diese Einschätzung gewissermaßen ihren amtlichen Stempel bekommen. Der 62-Jährige führte die Edmonton Oilers zu vier Titeln in der NHL, der nordamerikanischen Eishockey-Eliteliga – und seit nunmehr 33 Jahren wartet die 900.000-Einwohnerstadt in der kanadischen Provinz Alberta auf den nächsten Titel.

Leon Draisaitl: Der (fast) unbekannte Superstar

Dass die mit Eishockey-verrückt nur unzureichend beschriebene Stadt jetzt ernsthaft auf diesen Stanley Cup hoffen darf, hat nun sehr viel mit dem 27 Jahre alten Kölner Leon Draisaitl zu tun. Der ist in Kanada längst ein Superstar, was natürlich auch in Deutschland registriert wird – dennoch läuft er immer noch etwas unter dem Radar. Und das liegt wiederum an der wohltuend zurückhaltenden Art Draisaitls, dem jegliches Stargehabe zuwider ist. Nicht die einzige Parallele zur deutschen Basketball-Legende Dirk Nowitzki.

Draisaitl, dessen Vater Peter schon 142-facher deutscher Nationalspieler war, ist mit Talent wahrlich reich gesegnet. Die Scouts der NHL-Clubs wurden schon auf den 15-Jährigen aufmerksam, der in der deutschen Jugendliga 2010/11 unfassbare 192 Scorerpunkte (Tore und Vorlagen) in nur 29 Spielen erzielte.

Draisaitl verließ Deutschland als Jugendlicher

Mit 16 ging er nach Kanada, spielte zunächst in der zweitklassigen Canadian Hockey League und ging 2014 nach Edmonton. Zunächst spielte er in sogenannten Farm Teams (Kooperationsclubs aus niedrigeren Ligen), von 2015 an gehörte er fest zum NHL-Team – und steigerte sich kontinuierlich.

Seit 2018 wird er regelmäßig ins All-Star-Team gewählt, er war bester Scorer der Liga und wertvollster Spieler (gewählt von den Spielern der Liga). Jetzt scheint Draisaitl in der Form seines Lebens. In den aktuellen Play-offs führt er die Scorerliste mit 18 Punkten an, einen Zähler vor seinem kongenialen Teamkollegen Connor McDavid. Im Viertelfinalduell mit den Las Vegas Golden Knights steht es 2:2, und in den ersten beiden Spielen erzielte Draisaitl sechs Tore.

Das große Ziel ist der Stanley Cup

Doch der Kölner versichert immer wieder, dass ihn all diese persönlichen Rekorde und Auszeichnungen nicht wirklich interessieren. „Meine Punkte spielen keine große Rolle, das Team zählt“, sagte er gerade wieder, und das ist kein Understatement. Auf seine Leistungen angesprochen, wirkt er mitunter fast peinlich berührt. Ja, das freue ihn schon, aber er würde das alles sofort eintauschen gegen die eine Trophäe, die wirklich wichtig sei: den Stanley Cup.

So ähnlich hat das auch immer Dirk Nowitzki erzählt, der seinen Dallas Mavericks immer treu blieb und mehrfach auf Gehalt verzichtete, damit sich das Team verstärken konnte. Alles auf dieses eine Ziel ausgerichtet, das der beste deutsche Basketballer aller Zeiten dann 2011 endlich erreichte: den Meistertitel in der NBA.

Nowitzki und Draisaitl wurden Sportler des Jahres

Damals wurde er als erster Mannschaftssportler überhaupt zu Deutschlands „Sportler des Jahres“ gewählt. Das gelang danach nur noch einem: Leon Draisaitl 2020.

Zwei Siege brauchen dessen Oilers aktuell noch, um das sogenannte Conference-Finale zu erreichen – die Liga ist in eine Ost- und Weststaffel aufgeteilt. Gegner dort wären die Seattle Kraken mit dem deutschen Tor­hüter Philipp Grubauer oder die Dallas Stars. Sollte es mit dem Titel klappen, hätte Draisaitl endgültig Legendenstatus.

Bei der WM fehlt Deutschlands Starspieler

 Zumal seine zurückhaltende Art und sein skandalfreies Leben im durch die Ölindustrie reich gewordenen Edmonton (daher: Oilers) ohnehin sehr gut ankommen. Draisaitl („Viele meinen, ich sei ein ziemlich langweiliger Typ, aber so bin ich nun mal“) lebt vergleichsweise bescheiden, auf Designerklamotten legt er ebenso wenig Wert wie auf teure Autos oder andere Statussymbole.

Zu den bedauerlichen Nebeneffekten seines Erfolgs gehört, dass er nur selten für die deutsche Nationalmannschaft auflaufen kann. Wenn an diesem Freitag um 19.20 Uhr mit dem Spiel gegen Schweden in Finnland die Weltmeisterschaft beginnt, dann können viele NHL-Stars wie er nicht dabei sein.

Eine Medaille mit dem Nationalteam steht dennoch weit oben auf seiner To-do-Liste – bei Olympia. Noch wichtiger ist ihm aber der Stanley Cup, der in Kanada weit über dem WM- Titel steht. Gewinnt er ihn, wäre Wayne Gretzky wahrscheinlich „sehr verzückt“.