Buxtehude/Obersalzberg. Hitler erwarb Privatsitz in den Alpen von der Fabrikantenwitwe Margarethe Winter. Hamburger Historiker bringt neue Details ans Licht.
Hitler lümmelt mit seiner Schäferhündin Blondi im Gras. Hitler füttert vornübergebeugt ein Reh. Hitler lacht – und tätschelt in väterlicher Manier Mädchen mit geflochtenen Zöpfen. Hitler blickt nachdenklich in die Ferne – hinter ihm ein Alpenpanorama.
Kulisse dieser Motive und vieler weiterer Propaganda-Aufnahmen ist der „Berghof“ im bayerischen Dorf Obersalzberg bei Berchtesgaden mit seiner Umgebung. Die Bilder sollen die freundliche und fürsorgliche Seites des NS-Diktators zeigen. Adolf Hitler ganz bei sich, eins mit der Natur – und auf Tuchfühlung mit seinem Volk. Dafür drängte sich Hitlers Privatsitz und zeitweises Führerhauptquartier mit seiner alpinen Lage an der Grenze zu Österreich geradezu auf.
Fabrikantenwitwe aus Buxtehude vermietete Hitler Ferienhaus
Was die Bilder nicht zeigen: Mit seiner Führungsriege schottete sich der „Führer“ hier in den Kriegsjahren zunehmend ab, ließ seine Nazi-Gefolgschaft das gesamte Dorf kapern und plante am langen Marmortisch Krieg, Tod und Verderben.
Dass ihr Feriendomizil einmal Schaltzentrale des nationalsozialistischen Terrors werden würde, konnten Margarete Winter und ihre Tochter Anna Lisa nicht ahnen, als während eines Ferienaufenthalts in Obersalzberg im Jahr 1927* ein Urlauber auf sie zukam und Interesse an ihrem Landhaus bekundete. Wer der Mann war und welche politischen Ideen er verfolgte, war den Frauen aus Buxtehude sehr wohl bekannt.
Familie aus Buxtehude wurde eine Freundschaft zu Hitler nachgesagt
Zur Zeit des Treffens war Hitler gerade dabei, seinen Führerkult als Vorsitzender der NSDAP durchzusetzen und die Partei zu den großen Wahlerfolgen ab 1930 zu führen. Wenige Jahre zuvor hatte er mit seinem Putschversuch für Furore gesorgt und dafür in Haft gesessen.
Margarete Winter – schillernde Witwe eines wohlhabenden Lederfabrikanten aus Buxtehude – wird ihr „Haus Wachenfeld“ einige Jahre an Hitler vermieten und nach der Machtübernahme 1933 an ihn verkaufen. Wegen dieser Beziehung wird der Familie Winter gar eine Freundschaft zu Hitler nachgesagt. Im Buxtehuder Tageblatt ist im Jahr 1934 in einem Artikel mit dem Titel „Adolf Hitler und Buxtehude“ zu lesen: „Erwähnt sei noch, dass Hitler auch persönliche Beziehungen zu der Familie Winter aufrecht erhält; so weilte er schon vor Jahren in Buxtehude, ohne dass jemand ahnte, welche Bedeutung dieser Mann später noch erlangen würde.“
Historiker tief in NS-Geschichte Buxtehudes eingetaucht
Treffen habe es gegeben, ein enges Verhältnis jedoch nicht, sagt jetzt Dr. Norbert Fischer. „Für einen laufenden Kontakt lassen sich keine Belege finden“, so der Hamburger Historiker, der dem Abendblatt exklusive Einblicke in seine laufende Forschungsarbeit gibt. „Es war eine rein geschäftliche Beziehung.“ Unschuldig sei die Familie Winter deswegen nicht, betont Fischer. Margarete Winter und ihre Kinder Anna Lisa und Herbert hätten vielmehr zu den führenden Unterstützern der nationalsozialistischen Ideologie in ihrer Heimatstadt Buxtehude gehört.
Norbert Fischer ist Geschichts- und Kulturwissenschaftler und momentan tief in die NS-Geschichte der Stadt Buxtehude eingetaucht. Als Honorarprofessor und Privatdozent an der Uni Hamburg lehrt er unter anderem Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts, speziell zum Nationalsozialismus.
Hitler kauft "Berghof": Hamburger Historiker bringt neue Details ans Licht
Unabhängig von dieser Lehrtätigkeit untersucht er seit Sommer 2021 gemeinsam mit Mitarbeitern des Buxtehuder Stadtarchivs die örtlichen Verstrickungen mit dem Nazi-Regime. Das Projekt im Auftrag der Stadtverwaltung läuft bis Sommer 2023 und mündet in einer Buchpublikation. „Ich möchte am Beispiel von Buxtehude herausfinden, warum und wie die Nazis es geschafft haben, einen solchen Ort so umfassend zu durchdringen“, so Fischer.
Während der Verkauf des späteren „Berghofs“ an Hitler durch Margarete Winter seit vielen Jahren bekannt ist, blieben das tatsächliche Verhältnis der Familie zum Diktator und die Hintergründe bisher im Unklaren. Norbert Fischer wollte es genauer wissen und bringt mit seiner Recherche zur Rolle der Fabrikantenfamilie Winter neue Details ans Licht.
Wie das „Haus Wachenfeld“ zum „Berghof“ wurde
Die Geschichte des „Berghofs“, der auch als Wallfahrtsort für Hitler-Fans und beliebtes Postkartenmotiv in Nazi-Deutschland in die Geschichte einging, beginnt 1916 unter dem Namen „Haus Wachenfeld“. In diesem Jahr lässt Otto Asmus Winter ein Ferienhaus in Obersalzberg errichten. Den neuen Feriensitz in den Alpen benennt Otto Asmus Winter nach dem Mädchennamen seiner Gattin. Von der umzäunten Festung, die Hitler später errichten lässt, sind Haus und Grundstück noch weit entfernt.
Otto Asmus Winter ist Sprössling der Buxtehuder Papierfabrikantenfamilie Winter und zu dieser Zeit Direktor der Buxtehuder Lederfabrik Wachenfeld. Die Papier- und die Lederfabrik sind damals die beiden größten Fabriken in und um Buxtehude, die Familien dementsprechend wohlhabend. So besaß Familie Winter um die Jahrhundertwende das erste private Automobil der Stadt Buxtehude. Seit der Hochzeit von Otto Asmus Winter und der Fabrikantentochter Margarete Wachenfeld im Jahr 1878 sind die Familien fest verbandelt. Otto Asmus übernimmt später die Geschäfte seines Schwiegervaters.
Mietvertrag unter dem Namen von Hitlers Halbschwester
Als es 1927* zur Zufallsbegegnung mit Hitler kommt, ist Otto Asmus Winter bereits seit einigen Jahren tot. Die Familie hatte die Lederfabrik 1922 verkauft und ist finanziell auf dem absteigenden Ast. Margarete Winter will das Ferienhaus abstoßen. Das hört der begeisterte Obersalzberg-Urlauber Hitler und lässt sich von einem Bauern zu der Eigentümerin aus Buxtehude führen.
Das Ergebnis des Treffens ist zunächst ein Mietvertrag unter dem Namen von Hitlers Halbschwester Angela Raubal. „Das hatte wahrscheinlich steuerliche Gründe“, sagt Norbert Fischer. 100 Reichsmark pro Jahr zahlte Hitler den Winters für seine dauerhafte Ferienunterkunft.
1929 kommt Hitler für einen Spaziergang nach Buxtehude
Zwischen Hitler und seiner Vermieterin kommt es lediglich zu einem weiteren Treffen. Das findet tatsächlich in Buxtehude statt. Am 21. Juli 1929 reist Hitler in den Norden, um mit Margarete Winter ein Vorkaufsrecht zu vereinbaren, wie Norbert Fischer rekonstruiert. Es habe sich dabei um keinen offiziellen Besuch gehandelt, deswegen sei er nicht offiziell dokumentiert worden.
„Hitler wollte in der politischen Öffentlichkeit nicht als wohlhabender Besitzer einer Ferienvilla in einer vornehmen Wohngegend dastehen“, erläutert Fischer. Mehrere eindeutige Indizien sprächen aber dafür, dass Hitler vor Ort war und einen Spaziergang durch Buxtehude unternahm.
Adolf Hitler kauft "Berghof" von Buxtehuderin für 40.000 Reichsmark
Der Kauf der Immobilie geht erst Jahre später über die Bühne. Ein notariell beglaubigtes Verkaufsangebot aus dem Jahr 1932 in Höhe von 40.000 Reichsmark nimmt Hitler nach der Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933 an. Die einst wackeligen Einkommensverhältnisse des frischgebackenen Reichskanzlers hatten sich unter anderem durch die Buchverkäufe der Kampfschrift „Mein Kampf“ stark verbessert. Norbert Fischer sagt: „Man schätzt den Gegenwert nach Stand von vor zehn Jahren auf 600.000 Euro.“
Mit den Umbauarbeiten am „Haus Wachenfeld“ hatte Hitler mit Erlaubnis seiner Vermieterin aus Buxtehude Jahre zuvor begonnen. Nach seinen eigens angefertigten Bauplänen lässt er um den ursprünglichen Hauskern herum in mehreren Schritten ein repräsentatives Gebäude und Areal unter dem Namen „Berghof“ errichten. Es dient später auch für Staatsempfänge.
Hitlers Geliebte Eva Braun im "Berghof" als Haushälterin
Der britische Premierminister Chamberlain und der frühere König Eduard David, Herzog von Windsor, sind hier zu Gast. Regelmäßig kehrt die Nazi-Elite in Hitlers Alpenidyll ein. Zu Unterhaltungszwecken lässt der Gastgeber unter anderem eine Kegelbahn und ein Kino installieren. Eine Schar Hausmädchen kümmert sich um den „Führer“ und die einquartierten Parteifunktionäre. Hitlers heimliche Geliebte Eva Braun ist im Berghof offiziell als Haushälterin angestellt und wohnt Tür an Tür mit dem Diktator.
1936 ist der Umbau zum „Berghof“ weitestgehend abgeschlossen, das Gelände mit Zäunen abgesperrt und gut überwacht. Margarete Winter ist zu diesem Zeitpunkt bereits seit zwei Jahren tot. Über ihre Reaktion auf den zunehmenden NS-Terror kann nur spekuliert werden. Doch über ihre politischen Aktivitäten bis zum Siegeszug der NSDAP und insbesondere über die Rolle ihrer Kinder konnte Norbert Fischer interessante Fakten und Eindrücke zusammentragen.
Margarete Winter gab in Buxtehuder NSDAP-Einheit wohl mit den Takt an
So war Margarete Winter mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine von drei Ortsleiterinnen, die in der Buxtehuder NSDAP-Einheit den Takt angaben. Eine reine Frauen-Ortsgruppe. „Das war für die NSDAP etwas ganz Ungewöhnliches“, betont Fischer.
Ihr Parteiausweis wurde wohl nach dem Tod verbrannt. Eindeutig belegt ist die Funktion der NSDAP-Ortsleiterin für Margaretes Winters Tochter Anna Lisa. Sie beschreibt Fischer als „die Aktive“, die als erste Ortsgruppenführerin fungierte. Mutter Margarete war damals bereits in den hohen 70er-Jahren und sei von Krankheit geschwächt gewesen.
Eine rechtsnationale, völkische Gesinnung der Frauen mündete laut Fischer „in einer sehr frühen NSDAP-Parteimitgliedschaft ab dem Jahr 1925.“ Margarete Winter habe beim ersten persönlichen Treffen mit Hitler zwei Jahre später zudem ausdrücklich ihre Bewunderung über seine Bewegung zum Ausdruck gebracht und zum Beweis ihre Parteimitgliedschaft erwähnt.
Entnazifizierung: „Alte Kämpferin“ Anna Lisa Winter wird entlastet
In der NS-Öffentlichkeit als „alte Kämpferin“ gefeiert, stellte Anna Lisa Winter ihr Engagement nach dem Fall des Nazi-Regimes als naive Begeisterung dar, sie sei der Partei aus karitativen Gründen beigetreten. Wichtig in diesem Zusammenhang: Trotz gut situierter Herkunft war Anna Lisa Winter als Krankenpflegerin in der Region tätig.
Im Entnazifizierungsverfahren wurde sie zunächst als „Minderbelastete“ (Belastungskategorie 3 von 5) eingeordnet, nach einer Berufung allerdings lediglich als „Mitläufer“ (Stufe 4) eingeordnet. Die als „Persilscheine“ bekannten massenhaften Entlastungen gelten allerdings als wenig aussagekräftig.
Werner Glüer ging als erster NSDAP-Bürgermeister Buxtehudes in Lokalgeschichte ein
Weitreichend war der Einfluss von Herbert Winter. Der Fabrikantensohn und promovierte Chemiker war nachweislich in führender Position in der rechtsvölkischen Partei DNVP tätig und brachte infolge seines Einsatzes im Ersten Weltkrieg mehrere Offizierskameraden nach Buxtehude. Darunter den SA-Sturmführer und früheren Major Werner Glüer, der als erster NSDAP-Bürgermeister Buxtehudes in die Lokalgeschichte eingehen sollte.
Glüer galt als besonders gewalttätig und war auch verantwortlich für die vorangegangene Besetzung des Rathauses im Jahr 1933. Zuvor hatte Herbert Winter seinem Freund Glüer die Leitung des geerbten Familienunternehmens anvertraut – das nach dessen Führung 1922 in Konkurs ging. Glüer musste später mehrfach psychiatrisch behandelt werden. Die NSDAP entfernte ihn 1934 als Verwaltungschef von Buxtehude.
Historiker Fischer: Margarete Winter ist eigene Biografie wert
Fern der Buxtehuder Heimat entwickelte sich der frühere Feriensitz der Familie Winter in Obersalzberg im Laufe der Naziherrschaft zum inoffiziellen Führerhauptquartier. Die Alliierten zerstörten Hitler Privatsitz nach dem Sieg über das Dritte Reich. Heute dient das Areal als Erinnerungsort und ist wegen seiner Funktion als Pilgerstätte umstritten. Zuletzt sorgte der Verkauf des früheren Nazi-Hotels „Zum Türken“ auf dem Gelände für Schlagzeilen.
Der „Berghof“ und seine Hintergründe werden in zahlreichen Artikel und Fachbüchern beleuchtet. Das Leben von Margarete Winter ist hingegen historisch nur in Ausschnitten aufbereitet. Dabei sei die Vita der Frau, die mit ihrem Sohn Herbert als eine der ersten Automobilistinnen im Jahr 1909 eine 5000 Kilometer lange Fahrt durch Europa machte und ihre Erlebnisse in einem Buch festhielt, unbedingt eine eigene Biografie wert. „Sie war eine der schillerndsten und bemerkenswertesten Persönlichkeiten der Süderelbe-Region – wenn nicht des gesamten Hamburger Raums“, findet Norbert Fischer: „Sie muss etwas Besonderes gewesen sein. Und sich auch selbst für etwas Besonderes gehalten haben.“
* Die Begegnung zwischen Adolf Hitler und Margarete Winter wird in der Fachliteratur unterschiedlich datiert. Laut Harald Sandners Band „Hitler – Das Itinerar“ fand das Treffen bereits 1927 und nicht wie von Hitler selbst angegeben im Jahr 1928 statt. Dr. Norbert Fischer geht davon aus, dass Hitlers „Falschangabe“ steuerliche Gründe hatte.