Hamburg. Heute beginnt der erste Kultursommer in der Hansestadt – tollkühn, facettenreich, vielversprechend.
Keine Drohung, natürlich, sondern eine Verheißung: Man könne der Kultur bald „nicht mehr ausweichen“, frohlockte jüngst der Kultursenator, als er Konzept und Programm des neu ins Leben gerufenen (und, warum auch nicht, souverän aus Wien geklauten) Hamburger Kultursommers vorstellte. Auf dem Sonnendeck der Hanseatischen Materialverwaltung war das, im Oberhafenquartier, ein Symbol dafür, welch charmante, unkonventionelle Winkel es in dieser Stadt noch immer zu entdecken gilt.
Viele solcher Orte sind schon lange von der Kreativszene aufgespürt, zum Teil aus Notwehr: Wo es keine bezahlbaren Räume gibt, wo Probenkeller und Ateliers rar sind, da weicht man aus – und aus Brache wird Festivalgrund, aus Leerstand wird Kulturzentrum, aus Ruine wird Performance-Halle. Viele solcher Ecken sind Teil des Kultursommers, bei dem es auch um Sichtbarkeit und Wertschätzung geht, sei es das Kraftwerk Bille, das Gängeviertel, das MS-Dockville-Gelände oder das Oberhafenquartier.
Mehr als 1000 Veranstaltungen in Hamburg
Binnen weniger Wochen „die Stadt mit Kultur zu fluten“ (O-Ton Senator Carsten Brosda, SPD), ohne die Hilfe einer Agentur – wie beim Vorbild Wien, das für solche Dinge eine eigenständige städtische Veranstaltungseinheit hat –, das ist: mindestens ambitioniert. Genau genommen: tollkühn! Es ist aber auch ein (weiterer) Hinweis dafür, dass sich die Kulturszene in Hamburg nicht bloß verwaltet, sondern aufgehoben fühlt.
Denn tatsächlich ist es mit spürbarer Leidenschaft und breit aufgestellter Unterstützung gelungen, weit mehr als 1000 Veranstaltungen unter eine Marke („Play Out Loud“) zu bekommen. Sicher, einige hätte es ohnehin gegeben (Open-Air-Kino, Konzerte auf dem Rathausmarkt und im Stadtpark, die Stadtbereisungen des Internationalen Sommerfestivals) – sie bekommen nun deutlich mehr Scheinwerferlicht.
Quer durch Hamburgs Kulturszene
Andere sind erst durch den Impuls von oben (verbunden mit der entscheidenden finanziellen Förderung) entstanden und machen nun Lust auf Entdeckungen, Erkundungen, Erfahrungen. Aerosolfrei, wohlgemerkt: Dachkonzerte und Fahrradkino, Literatur auf Booten und Musik von Ladeflächen.
Der Blick ins Programm führt einmal quer durch die Hamburger Kulturszene, dynamische Allianzen haben sich da ergeben: Das Ensemble Resonanz macht gemeinsame Sache mit dem Bucerius Kunst Forum und der Hanseatischen Materialverwaltung, die Elbphilharmonie hat sich mit Kampnagel zusammengetan.
Kultursommer-Spielpläne in allen Bezirken
Das Literaturhaus ist dabei, das Knust, das Sasel-Haus, das Museum für Kunst und Gewerbe, das MARKK, der Kunstverein, die Leute von „Draußen im Grünen“ und vom „Flexiblen Flimmern“; von Lohbrügge bis Sasel, von Fischbek bis Blankenese, von Poppenbüttel bis Bergedorf. Ohne Corona hätte Hamburg dieses Festival wohl nie ersonnen und nie bekommen, jetzt muss die Stadt auch in dieser Hinsicht Zuversicht beweisen: „Wir gehen davon aus, dass das mit den Inzidenzen schon alles passt“, hat Carsten Brosda verkündet.
Mittlerweile sind die Kultursommer-Spielpläne derart facettenreich in allen Hamburger Bezirken vertreten, dass es kompliziert wird, den Überblick zu behalten. (Es hilft, gelegentlich ins Abendblatt zu schauen.)
Hamburg kann Kulturstadt
Vielleicht ist es nach den Monaten des Quasi-Stillstands und Dauer-Streamens auch ein bisschen die Selbstvergewisserung: Ja, Hamburg kann Kulturstadt. Die Kulturschaffenden wissen das. Das Publikum darf es nicht vergessen. Auch nicht, wenn der Grill ruft. So schafft man den Dreisprung – vom Kultursommer zum Saisonstart zum nächsten Ereignis: Im Januar feiert die Elbphilharmonie fünften Geburtstag. Bis dahin reicht der Schwung dicke.
Und wer ausgerechnet jetzt in den Urlaub fährt, hat wirklich selber Schuld.