Hamburg. Die Pandemie deckt auf, was wir verdrängten: den Kommerz, das viele Geld. Und doch gab es 2021 einen Moment, als alles anders war

Wenn ich im Laufe eines Tages Nachrichten von meinem Kumpel Jan-Peter bekomme, öffne ich sie meist so schnell wie möglich – es ist einfach immer was zum Lachen dabei. Kontaktanzeigen aus der aktuellen „Wald & Forst“ zum Beispiel oder der Hinweis auf einen Motorsägenlehrgang für Frauen in Osnabrück unter dem Titel „Holz für die Hütte“.

Am 4. Dezember wiederum war es ihm ernst. Er, der vielleicht größte Fußball-Romantiker des Abi-Jahrgangs, schickte folgende Nachricht in unseren Chat: „Ich bin irgendwie raus. Habe gerade erfahren, dass Greuther Fürth in der 1. Bundesliga spielt. Kann mir irgendwer 2 Spieler nennen? Bin eben die Aufstellung durch und kannte nicht einen.“

Kehren die Fans nach Corona ins Stadion zurück?

Es gab keine Antwort auf Jan-Peters Frage, auch von mir nicht, obwohl ich das ungern zugebe. Auf der anderen Seite schreiben wir bald das Jahr drei nach Wuhan, also der Stadt, in der das Coronavirus im Dezember 2019 zum ersten Mal beim Menschen nachgewiesen wurde. Seitdem ist diese Welt manchmal nicht mehr wiederzuerkennen, und auch für den Profifußball gilt: So, wie es war, wird es wohl nie wieder werden.

Und das hat nichts mit den fetten Jahren zu tun, die vorbei sind. Sondern eher mit anderen Dingen. Einen Umsatzrückgang von mehr als 217 Millionen Euro verzeichnete die DFL in ihrem „Wirtschaftsreport 2021“, und ja, das ist natürlich eine Menge und sicher auch noch nicht das Ende der Fahnenstange. Und doch glaube ich, dass ein anderer Verlust viel schwerer wiegt, obwohl er sehr schwer zu messen ist: das Interesse, ein Spiel live im Stadion zu verfolgen.

Es werden nicht alle zurückkehren, die vor der Pandemie als Anhänger auf den Rängen standen, das ist eine Tatsache. Weshalb auch wir Sportjournalisten zur Kenntnis nehmen müssen, dass dieser Sport, den wir so lieben, der uns Stunden, Tage, ja vermutlich Jahre unseres Lebens geraubt hat, bevor wir ihn zu unserem Beruf gemacht haben – dass dieser Sport seine Fans zunehmend kaltlässt. Natürlich war das zu erwarten. Krisen wirken wie ein Brennglas, nicht nur im Fußball. Das, was schon vorher schlecht war, aber zumindest kaum sichtbar, wird plötzlich so groß, dass es nicht mehr zu übersehen ist und es schwerfällt, sich nicht abzuwenden.

Kritik an zunehmender Kommerzialisierung

Die Langeweile ist das eine Thema. Die Kritik an der zunehmenden Kommerzialisierung des Fußballs ein anderes. Vor wenigen Tagen stellte unser Chefreporter Kai Schiller die Frage, ob man HSV-Senkrechtstarter Faride Alidou einen Wechsel zu Eintracht Frankfurt übel nehmen könne, wo er deutlich mehr Geld verdienen werde. Nein, übel nimmt ihm und allen anderen das keiner. Aber eine gewisse Müdigkeit angesichts der Summen, um die es dann immer wieder geht, hat sich bei mir schon lange eingestellt.

In einer Zeit, in der es in Deutschland auch deshalb einen Pflegenotstand gibt, weil es sich immer weniger Menschen leisten können, für so wenig Geld zu arbeiten. Was uns auch in dieser Pandemie bereits Menschenleben gekostet hat.

Eriksen-Drama erinnerte daran, was Fußball sein kann

Dass die Bundesliga beständig an Strahlkraft verliert, hat noch einen weiteren Grund: Es gibt kaum noch etwas, das uns innerlich verbindet mit immer mehr Clubs, die im Oberhaus spielen, kaum noch etwas, was es über sie zu erzählen gibt. Christian Streich, der Trainer des SC Freiburg, hat in dieser Woche sein zehntes Jubiläum als Trainer gefeiert, und schnell war unter den Kollegen ein Gespräch entfacht, wie großartig dieser Trainer doch ist, der seine Schützlinge immer wieder in Gespräche über das Weltgeschehen verwickelt, über moralische Werte und die eigene Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft. Aber wie oft, Hand aufs Herz – wie oft haben Sie in den vergangenen Monaten solche Gespräche über Fußball geführt?

Allerdings: Es gab 2021 einen Moment, der uns alle wieder daran erinnert, was dieser Sport sein kann. Als während der EM der Däne Christian Eriksen auf dem Rasen mit dem Tod rang und sich für einen Moment die Welt aufhörte zu drehen und dieser ganze Zirkus, dieses ganze Gehabe um Stars und Transfers und Retortenligen, so null und nichtig war. Das ist der Fußball, dachte ich. Das ist das, worum es uns wirklich geht. Die Hoffnung stirbt zuletzt.