Hamburg. Siedlungshäuser aus den 30er- bis 60er-Jahren haben einen besonderen Charme. Wer guckt da schon auf die Sanierungskosten?
Wenn das nicht verlockend klingt: Ein Reihenhaus in Lokstedt, Jahrgang 1931, Ausstattung: mittel. „Hervorzuheben ist jedoch, dass im Objekt neben der Küche zwei Nassbereiche vorhanden sind und in der großen Diele im Eingangsbereich genügend Platz für den Einbau eines Gäste-WC vorhanden wäre.“ Das macht doch Lust auf mehr, vor allem, wenn die angepriesenen Nasszellen – selten passte dieser Begriff so gut – so herrlich gelbbraun und lilafarben gefliest sind.
Wer in Hamburg auf der Suche nach einer Immobilie ist, hat schon viel gesehen, aber ein solches Kleinod mit dem dezenten Zusatz „teil- oder voll renovierungsbedürftig“ für 775.000 Euro, das motiviert einen doch sehr. Merke: Nur weil der Anbieter großzügig mit Ausrufezeichen ist und die 132 Quadratmeter als „!!!Großes Mittelreihenhaus!!!“ hervorhebt, sollte man die einen oder anderen Hunderttausend Euro für die Sanierung in der Hinterhand haben.
Am Ende geht jede Immobilie weg
Warum man sich so eine Anzeige überhaupt näher ansieht? Ganz einfach, weil kaum etwas anderes reinkommt. Diese 30er- bis 60er-Jahre-Perlen sind phasenweise die einzigen verfügbaren Objekte, weshalb Verkäufer – Renovierungsbedarf hin oder her – mit Fantasiepreisen ins Rennen gehen dürfen. Am Ende geht alles weg.
So auch das 50er-Jahre-Juwel in einer dieser typischen weiß verputzten Siedlungen, hier in Langenhorn. Der zweite Besichtigungstermin findet wohlweislich mit einem Gutachter statt, als Laie kann man ja nur ahnen, was sich alles hinter der genoppten Isoliertapete verbirgt. „Sie können das Haus gerne kaufen“, sagt der Gutachter. „Wenn Sie noch etwa 300.000 Euro reinstecken wollen.“ Nichts lieber als das natürlich, wo man alles in allem dann an der Million kratzen würde – und das für ein Haus, das quasi komplett entkernt werden muss, aber weiterhin aus der schlechten Nachkriegs-bausubstanz besteht.
Im Garten sieht man schon die Kinder spielen
Trotzdem steht man angesichts des alternativlosen Zustands des Immobilienmarktes einige Tage später erneut in einem dieser unausgebauten Dachgeschosse und versucht vor dem inneren Auge den sanierten Zustand dieser Immobilie zu imaginieren, mit offener Küche, Gauben, neuen Bädern, Böden und Fenstern. Rausreißen tut es natürlich der Garten, in dem man schon die Kinder spielen sieht.
Der Makler kennt diesen Blick natürlich: „Sie müssen ja nicht gleich alles machen“, sagt er lockend, man könne ja auch erst einmal einziehen. „Halt“, schreit der Gutachter-Engel da von der linken Schulter, „40 Prozent der Kaufsumme werden noch einmal für die Modernisierung fällig!“ Ob denn preislich noch Verhandlungsspielraum sei?, fragt man den Makler. „Schwierig“, antwortet dieser, die Sanierung sei ja schon eingepreist.
"Charme" bedeutet meist etwas anderes
Wer Zeit und Gutachter-Geld sparen möchte, kann sich an folgenden Punkten orientieren: Gibt es in der Anzeige nur Fotos vom Grundstück, aber nicht von innen, können Sie davon ausgehen, dass Sie auch gar nicht mehr sehen wollen. Vorsicht ist auch bei dem Zusatz „charmant“ geboten, am besten direkt mit „baufällig“ übersetzen. „Mit Potenzial“ steht dementsprechend für voll sanierungsbedürftig, bei der Beschreibung „für Individualisten“ und „viel Platz für Ihre Ideen“ können Sie direkt den Abriss planen.
Humor hat auch der Makler in einem ähnlich dem eingangs beschriebenen Objekt in einer 60er-Jahre-Siedlung in Osdorf. Wobei der besondere Charme dieses Hauses nicht allein in der Ausstattung und vollständigen Möblierung aus dem Baujahr besteht, sondern aus einem „in der gesamten Wohnanlage berühmten und nahezu legendären Barbereich, der ,Western-Bar‘“.
Selbst Helmut Schmidt war zu Gast in dem Haus
Man muss sich das so vorstellen: Nach Heizungs- und Waschkeller betritt man durch eine Saloontür einen Raum, der von oben bis unten mit Holz in Wild-West-Anmutung vertäfelt ist, inklusive Bar mit Zapfanlage. Hier sei die Nachbarschaft ein- und ausgegangen, berichtet der Makler nicht ohne Stolz, selbst Helmut Schmidt habe einst zu den Gästen des hier damals lebenden Parteigenossen gehört. Da läuft das innere Auge doch auf Hochtouren – allein für eine Renovierung fehlt jegliche Vorstellungskraft.