Tangstedt. Auf dem Gut Wulksfelde in Tangstedt können sich Menschen ein Stück Acker mieten und nachhaltig gärtnern. Der Erfolg ist riesig.
In der tief stehenden Abendsonne schaffen Heinke Wolpert und Lasse Metzner aus Duvenstedt auf ihrer Gartenparzelle auf Gut Wulksfelde in Tangstedt Platz für ihre Pflanzen. Das Paar hat im Frühjahr 40 Quadratmeter Bio-Ackerland gepachtet, zwei Meter breit und 20 Meter lang. Sie sind zwei von mehreren Hundert, die auf zwei Hektar Land ihr eigenes Biogemüse züchten.
Für Lasse und Heinke ist es die erste Saison auf ihrer eigenen Scholle. „Wir hatten Glück“, erzählt Heinke. „Wir haben uns die Fläche hier schon im Sommer 2019 angeschaut und wollten Weihnachten 2020 pachten. Da war schon alles ausverkauft. Im Frühjahr kamen noch einmal 50 Extrafelder hinzu. Da haben wir eins bekommen!“
Mittlerweile gibt es 320 Parzellen
Gärtnern ist im Trend. Die Menschen suchen die Erholung in der Natur und strömen ins stadtnahe Grün. In der Corona-Pandemie hat das Naturverlangen noch einmal kräftig zugelegt. Als Gut-Wulksfelde-Geschäftsführer Rolf Winter mit seinem Team im Jahr 2015 in Kooperation mit dem Anbieter „Ackerhelden“ das erste Ackerland für 100 Parzellen für die neuen Bio-Gärtner umpflügte, ahnte er nicht, dass sich die Anzahl innerhalb weniger Jahre vervielfachen würde.
„2019 hatten wir schon 200 Parzellen, ein Jahr später waren es 240. Jetzt sind wir bei 320 angelangt“, sagt der Bio-Landwirt. Für ihn ist damit eine Grenze erreicht. „Es ist eine Größenordnung, wo wir noch sagen, es ist gut“, sagt Winter. Bis zum Horizont reicht mittlerweile die etwa zwei Hektar große Fläche für den individuellen Anbau. Ein Zaun schützt das Gelände vor ungebetenen Gästen.
Zum Saisonbeginn Mitte Mai wird jeder der kleinen Gärten zur Hälfte mit 20 verschiedenen Gemüsesorten bepflanzt, darunter Zucchini, Zwiebeln, Hokaido und Möhren. Wenn alles vorbereitet ist, sorgen die „Ackerhelden“ aus Essen für den weiteren Betrieb der Fläche. Die Essener betreiben und verpachten in Deutschland zurzeit 21 und in Österreich drei solcher Biofelder für den Hausgebrauch.
Salat satt – dafür verfaulten leider die Tomaten
Auf der unbebauten Hälfte seiner kleinen Parzelle können Pächterinnen und Pächter selbst entscheiden, was er oder sie dort gern anbauen und ernten möchte. Hauptsache Bio.
Kartoffeln gedeihen etwas abseits auf einem separaten Feld – wer eine Parzelle hat, darf dort bis zu 20 Kilo Erdäpfel kostenlos ausbuddeln. Für die Wasserversorgung auf dem Gartengelände stehen ringsherum vier große Kunststofftanks, die automatisch befüllt werden. Gegossen wird mit der Gießkanne, die ebenso wie andere Gartengeräte in einem Container für alle bereitstehen. Bei Trockenperioden kann es an den Zapfstellen allerdings schon mal etwas eng werden.
„Als es im Juni so heiß war, haben wir jeden zweiten Tag gegossen. Wir haben 14 Gießkannen verbraucht“, sagt Heinke Wolpert, die als Erzieherin arbeitet. Die Fläche in Tangstedt haben sie und ihr Verlobter Lasse mit Bedacht gewählt. „Wir wollten einen Garten, zu dem man auch schnell mal mit dem Fahrrad hinkommt und nicht extra 40 Minuten mit dem Auto durch die Stadt gondeln muss“, sagt Lasse Metzner, der als Lichttechniker beim NDR arbeitet.
Ein Gemüsegarten kostet aber auch viel Zeit
Ihre Erfahrungen im ersten Jahr? „Das, was von Anfang an gesetzt war, hat sehr gut geklappt“, sagt Heinke Wolpert. „Wir hatten Salat ohne Ende. Zu viel für uns zwei. Wir konnten die ganze Familie versorgen.“ Es gab aber auch Rückschläge. „Die Tomaten sind komplett verfault. Die haben wir rausgeschmissen. Dafür sind die Kürbisse explodiert.“
Erlebnisse, die sie in diesem Jahr mit vielen Gartenbesitzern teilen. Zwischen den Gärten auf dem leichten, sandig-humosen Boden gedeihen Wildblumen und Kräuter. Willkommenes Futter für zahllose Insekten. So sorgt Natur für Artenvielfalt. Aber ein Gemüsegarten kostet Zeit, viel Zeit. „Wenn man nur ernten will, ist es nicht das Richtige“, sagt Lasse Metzner. „Man sollte es sich schon gut überlegen, auch wenn man eine lange Anfahrt hat“, ergänzt seine Partnerin.
„So einen Garten zu bestellen, ergibt keinen Sinn, wenn man eine halbe Stunde von zu Hause unterwegs ist“, sagt Biolandwirt Rolf Winter. „Die meisten kommen aus der Nähe und haben einfach nur Spaß am Gärtnern.“
Auch Claudia und Danny Jürß aus Wellingsbüttel. Seit drei Jahren sind sie glückliche Ackerhelden. Genaugenommen kümmert sich Claudia Jürß allerdings allein um den Garten, während ihr Mann Danny lieber mit Hund Bruno irgendwo durch die Gegend stromert. „Mein Mann hat ein Schrebergartentrauma“, verrät Claudia Jürß augenzwinkernd, als sie ein Bündel frisch geerntete Zwiebeln zur Petersilie in ihre Metallschale legt.
Gärtnern als Meditation und Ausgleich vom stressigen Job
Für Claudia Jürß ist Gartenarbeit an der frischen Luft der ideale Ausgleich zu ihrem Schreibtischjob als Verwaltungsbeamtin. „Im Garten bin ich allein. Ich habe Ruhe. Niemand will etwas. Ich probiere aus, was funktioniert, was nicht. Es ist Meditation“, sagt sie. Erbsen, Bohnen, Zucchini wuchsen bei ihr dieses Jahr wie verrückt.
„Zu Anfang muss man sich viel Zeit nehmen für den Garten. Man muss auch mal den inneren Schweinhund bekämpfen. Aber hier kommt jedenfalls kein Vorstand vorbei, der sagt: ,Wie sieht denn Dein Garten aus?‘“ Eigentlich wollte sich Claudia Jürß regelmäßig mit ihrer Freundin auf dem Feld treffen, die direkt neben ihr eine Parzelle bewirtschaftet. „Bisher hat es aber noch nie geklappt“, gesteht sie. Nun trifft sie sich mit ihrer Freundin im Herbst zu Erntedank. Danny Jürß schleppt die Schubkarre mit Gartenabfällen zum Kompost. Mehr ist nicht drin – das Schrebergartentrauma sitzt tief.
Und was machen ihre Kinder? „Die Jüngste ist zehn und kam anfangs mit, um Sonnenblumen zu züchten“, sagt Claudia Jürß. „Die Mittlere ist 15 und interessiert sich für Fridays for Future. Sie kommt ab und zu mit in den Garten. Die Älteste wird 19 und war ein einziges Mal zum Muttertag hier.“
Sie und ihr Mann wollen den Garten nicht mehr missen und sind im nächsten Jahr wieder dabei. Wie die meisten hier. In Wulksfelde sind nach Angaben von „Ackerhelden“-Geschäftsführer Tobias Paulert auch nach sechs Jahren immer noch mehr als die Hälfte der 100 Pächterinnen und Pächter der ersten Stunde aktiv. „Von den 320 Gärten, die im Schnitt drei Personen bewirtschaften, verwaisen etwa zehn pro Jahr.“ Die Fluktuation durch Umzüge und Krankheit sei eher gering. Seltener komme es vor, dass Leute ihren Garten aufgeben, weil sie die ganze Arbeit einfach nicht mehr schaffen.
Die Gemeinschaft der Gärtner wird immer jünger
Waren es anfangs vor allem an ökologischem Landbau interessierte Familien mit Kindern, die sich für die Gärten entschieden, geht das Interesse heute quer durch alle Altersklassen von 18 bis 80. „Es sind Rentner dabei, aber auch junge Familien und Studierende. Wir sind jünger geworden und freuen uns sehr, dass heute auch viele 20-Jährige dabei sind. Für junge Leute, die an einer nachhaltigen Lebensführung interessiert sind, ist das hier eine gute Möglichkeit“, sagt Tobias Paulert.
Er hat die Firma „Ackerhelden“ vor zehn Jahren nach einem Sport- und Wirtschaftsstudium zusammen mit einem Schulfreund gegründet. Die Beiden kannten sich passenderweise schon aus dem Schulgarten. „Wir wollen den Menschen das Wissen und die Möglichkeit zur Selbstversorgung zurückgeben. Das ist bei vielen verloren gegangen“, sagt Paulert. Mit Rat und Tat und Rezepten für ihre selbst geernteten Früchte steht seine Firma den „Ackerhelden“ im ökologischen Landbau zur Seite. Häufig ergeben sich aus der Gartenarbeit weitere Fragen – etwa zu Nachhaltigkeit und zum Konsum. „Die Klimakatastrophe zeigt uns, dass wir etwas tun müssen“, sagt Paulert.
Mit Bildungsangeboten wie Hochbeeten als Lernort, Lernmaterialien und Spielen sind die „Ackerhelden“ deshalb neuerdings auch verstärkt an Kitas und Schulen aktiv. Ist es da für ihn kein Widerspruch, wenn die Hamburger mit dem Auto in Wulksfelde anrauschen? „Die meisten wohnen im Umkreis von zehn bis zwölf Kilometern“, sagt Paulert. „Viele verbinden den Weg in den Garten mit ihrem Arbeitsweg oder einem Einkauf. Darüber freuen wir uns natürlich. In Wulksfelde gibt es einen Hofladen, ein Restaurant und eine Bäckerei. Ich habe aber auch schon Leuten gesagt: ,Passt mal auf, das ist aber ganz schön weit weg, wo ihr wohnt‘.“