Hamburg. Gerüche, Musik und Bilder wecken Erinnerungen – und Emotionen. Was ein längst vergessener Song aus Teenie-Tagen bei uns auslösen kann.
Vor ein paar Wochen auf dem Junggesellinnenabschied meiner besten Freundin tranken wir in Gedenken an alte Zeiten Wodka mit Feige. Früher war das unser Standardgetränk, am besten noch mit Fanta gemischt. Heute muss selbst ich mich bei dem Gesöff schütteln, obwohl mir normalerweise nichts süß genug sein kann.
Aber: Ein Schluck reichte – und ich fühlte mich wieder in die Abizeit zurückgebeamt. Plötzlich war ich wieder 18, saß bei Mortens Großmutter im Partykeller und trug viel zu viel Schaumfestiger in den Haaren. Zehn Jahre später verziehe ich beim süßlich-überzuckerten Geruch des Feigenschnapses mein Gesicht. Doch anschließend muss ich lächeln, weil er so viele schöne Erinnerungen in mir weckt.
Nostalgie: Musik weckt vergessene Emotionen
Heckenrosen riechen für mich nach Urlaub an der Nordseeküste, Pfannkuchen nach Kindheit, Krankenhäuser nach Abschied. Sobald ich die ersten Takte von „Call Me Maybe“ von Carly Rae Jepsen höre, kleben meine Schuhe beim Tanzen wieder am feuchten Boden des Vereinsheims fest, und ich liege meinen Mädels in den Armen. Läuft „We Found Love“ von Rihanna im Radio, hole ich mir gedanklich noch einmal mein Abschlusszeugnis in der Aula von unserer Schuldirektorin ab. Bei „Stay“ von Hurts zieht sich mein Herz schmerzlich zusammen und ich stehe wieder vom Regen durchnässt mit Liebeskummer am Langenhorner Markt.
Gerade Musik schafft es, längst vergangene Emotionen wieder lebendig werden zu lassen. Neulich hörte ich mir mit meinem Freund einen ganzen Abend lang Playlists bei Spotify mit Hits aus den 90er- und 2000er-Jahren an. Zu jedem Song, der Erinnerungen in uns hervorrief, erzählten wir uns die dazugehörige Geschichte.
Bilder erinnern an besondere Momente
In meinem Fotoalbum auf dem Handy habe ich knapp 8000 Bilder gespeichert. Es dauert Stunden, alle anzusehen. Manchmal nehme ich mir Zeit und scrolle bis zum Anfang – bis ins Jahr 2011. Mein erstes Bild zeigt einen Flyer, mit dem unser Abijahrgang damals für eine Party auf dem Kiez warb. Mit den Einnahmen wollten wir unseren Abschlussball finanzieren. Auf dem Flyer stand nur ein einziger gedruckter Satz – und der war übersät mit Rechtschreibfehlern. Schaue ich mir das Foto heute auf dem Handy an, denke ich automatisch daran, wie sehr wir uns vor über zehn Jahren darüber schlapp gelacht haben – und muss grinsen.
Beim Anblick meines verkniffenen Gesichts auf dem Gipfel des Herzogstands kann ich plötzlich die Höhenangst wieder nachempfinden, die ich in dem Moment in über 1700 Meter Höhe gespürt habe. Genauso kann ich das Glück fühlen, das ich beim Füttern umgeben von lauter Alpakas auf einer Wiese in Kummerfeld empfunden habe. Ähnlich gern blättere ich alte Notizblöcke durch und erinnere mich an die Menschen und ihre Geschichten, die ich aufschreiben durfte.
Ich finde es wunderbar, Freunde zu treffen, die ich schon lange kenne, und mit ihnen „Weißt du noch damals“-Momente zu teilen. Problematisch wird es nur, wenn die Vergangenheit das Einzige ist, das einen in der Gegenwart noch verbindet. Ja, ich bin noch nicht einmal 30 und schwelge schon in Erinnerungen. Aber man kann sich auch von besonderen Orten, alten CDs oder vergilbten Fotoalben an schöne Erlebnisse erinnern lassen – und trotzdem im Hier und Jetzt leben. Außerdem: Nostalgie soll laut einer Studie das körperliche und psychische Wohlbefinden verbessern, Stress reduzieren – und sogar Schmerzen lindern können.
Das haben Forschende aus China herausgefunden. Lange hielt sich das Vorurteil, dass Nostalgie, also die sentimentale Sehnsucht nach der Vergangenheit, negative Gefühle wie Zukunftsangst oder Unzufriedenheit im Menschen auslöst. Laut aktuellen Forschungsergebnissen soll aber das Gegenteil der Fall sein. Bei einem Experiment zeigten Psychologen Testpersonen nostalgische Bilder und fanden heraus, dass sie durch den Anblick weniger Schmerzen wahrnahmen.
Nostalgie soll sogar Schmerzen lindern
Zumindest bei leichten Schmerzen soll die Erinnerung an damals hilfreich sein. Wenn mir also das nächste Mal mein Kopf brummt, schaue ich mir einfach ein paar Folgen meiner früheren Lieblingsfernsehserie „Full House“ an. Oder ich treffe mich mit einer Schulfreundin und rede mit ihr über alte Zeiten. Oder trinke einen Wodka Feige? Das lasse ich vielleicht lieber ...