Die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft Hamburg (GEW) betreibt seit 50 Jahren in Hamburg-Stellingen ein eigenes Pflegeheim für Seniorinnen und Senioren, das in vielerlei Hinsicht einzigartig ist. Das hängt vielfach mit seiner Geschichte zusammen aber auch mit den Menschen, die dort leben und arbeiten. Wir haben die Wirtschaftspsychologin Sabine Wirtz, die die Einrichtung seit 2017 leitet, gefragt, was es so lohnenswert macht, dort zu leben oder zu arbeiten.

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Frau Wirtz, wie kam es überhaupt dazu, dass eine Gewerkschaft ein Pflegeheim gründete?

Wirtschaftspsychologin Sabine Wirtz, die die Einrichtung leitet.
Wirtschaftspsychologin Sabine Wirtz, die die Einrichtung leitet. © Diesterweg-Stiftung | Unbekannt

Sabine Wirtz: Um das zu erklären, muss ich ein bisschen in die Vergangenheit gehen: Die Diesterweg-Stiftung als gemeinnützige Sozialeinrichtung der GEW Hamburg gibt es schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Ihre Aufgabe bestand darin, in wirtschaftliche Not geratenen Mitgliedern zu helfen, z.B. indem sie Renten an Lehrerwitwen zahlte, deren Ehemänner im ersten Weltkrieg gefallen waren und Stipendien an Mittellose vergab. Da der Sozialstaat im Nachkriegsdeutschland immer mehr dieser Aufgaben übernahm, wurde der Zweck der Diesterweg-Stiftung umgewidmet, um für ihre Mitglieder eine damals noch bestehende Lücke im Sozialnetz zu decken: Hilfe und Pflege im Alter. Denn Ende der 60iger/Anfang der 70iger Jahre bestand in Deutschland ein Mangel an gut ausgestatteten Alten- und Pflegeheimen, in denen man sich wirklich an den Bedürfnissen älterer Menschen orientierte. Da von vornherein nicht erwartet wurde, dass das Haus ausschließlich mit GEW-Mitgliedern belegt werden kann, stand es seit seiner Eröffnung im Jahr 1971 allen offen.

Wie wirkt es sich auf Ihren Alltag aus, dass eine Gewerkschaft Träger der Einrichtung ist?

Sabine Wirtz: Nun, da ist zuallererst die Bezahlung der Mitarbeiter*innen zu nennen. Wir zahlen natürlich nach Tarif, nämlich nach dem TV-L. Das was der Gesetzgeber für die Pflegebranche angestrebt hat, ist bei uns schon seit Anbeginn Realität: eine faire und transparente Entlohnung.
Es gibt noch einen weiteren, wichtigen Aspekt: Da der  Betrieb einer Pflegeeinrichtung nicht zum Kerngeschäft der GEW zählt, setzte unser ehrenamtliche Vorstand von Anbeginn an voll auf die Fachlichkeit und die Eigenverantwortung der Mitarbeiter*innen. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Flache Hierarchien sind ein gewerkschaftlicher Grundgedanke, der eben auch unsere Arbeit in der Diesterweg-Stiftung sehr prägt. Alle Kolleg*innen können sich mit ihren Ideen und Talenten einbringen. Das macht unsere Arbeit so spannend und abwechslungsreich. Der Teamgeist ist groß.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Sabine Wirtz: Aber ja! Das kleine Video über unsere Einrichtung ist ein echtes Gemeinschaftswerk. Von mir kam nur der Impuls: Hey, wie können wir einen kleinen Film über unsere Diesterweg-Stiftung drehen lassen, der wirklich das wiedergibt, was uns auszeichnet? Da gemeinsames Musizieren in unserer Betreuungsarbeit mit den Bewohner*innen eine große Rolle spielt, war schnell klar, dass wir etwas mit Musik machen wollen. Eine Kollegin aus der Sozialen Betreuung, die eine Weiterbildung zur Musikgeragogin gemacht hat, hatte den Einfall, auf die Melodie „Fröhlicher Landmann“ von Robert Schumann einen eigenen Text über die Diesterweg-Stiftung zu dichten. Und dann purzelten nur so die Ideen für die szenische Umsetzung. Wir hatten sehr viel Spaß bei den  Proben und dem Dreh. Es ist, wie man sehen kann, ein lustiger und sehr besonderer Film daraus entstanden.

Die Diesterweg-Stiftung ermöglicht eine individuelle Betreuung.
Die Diesterweg-Stiftung ermöglicht eine individuelle Betreuung. © Diesterweg-Stiftung. | Unbekannt

Nun zählt so ein Videodreh ja nicht gerade zum Pflegealltag …

Sabine Wirtz: Das stimmt natürlich. Und Qualität in der Pflege ist nur durch feste Standards und definierte Abläufe möglich. Da möchte man meinen, dass für Individualität und eigene Ideen keinen Raum bleibt, aber so ist es nicht! Schließlich haben wir es mit Menschen zu tun, die sich in der Regel für den Rest ihres Lebens uns anvertraut haben.

Unser Anspruch, für jeden das Bestmögliche aus dieser Zeit zu machen, erfordert oft sehr individuelle Lösungen, die in keinem Pflegehandbuch stehen. Mich berührt es jeden Tag aufs Neue zu erleben, was sich die Kolleg*innen aus der Pflege und der Betreuung einfallen lassen, um aus dem Alltag unserer Bewohner*innen etwas Besonderes zu machen.

Können Sie uns da auch ein Beispiel nennen?

Hier lassen sich die Kolleg*innen so einiges einfallen, um den Alltag der Bewohner*innen zu gestalten.
Hier lassen sich die Kolleg*innen so einiges einfallen, um den Alltag der Bewohner*innen zu gestalten. © Diesterweg-Stiftung | Unbekannt

Sabine Wirtz: Ich könnte ganz viele Beispiele nennen. Da ist die Pflegefachkraft, die sich regelmäßig meinen kleinen Hund ausleiht, den ich mit in die Diesterweg-Stiftung bringe, weil er ihr hilft, einen bestimmten Bewohner zu motivieren überhaupt das Bett zu verlassen. Oder der Kollege, der mit manchen Bewohnerinnen plattdeutsch spricht, weil sie das so genießen. Er erfährt dann Dinge über deren Leben, die er mit Hochdeutsch nicht erfahren würde. Für einen glühenden St.-Pauli-Fan hatte eine Mitarbeiterin mal organisiert, dass er von Spielern dieses Clubs besucht wurde. Ein Mitarbeiter hatte uns alle mal damit überrascht, dass er für unsere Einrichtung bei „Wünsch Dir Deinen NDR“ eine Bewerbung abgegeben hatte. Ulf Ansorge hat dann eine Stunde lang mit unseren Bewohnern gesungen und musiziert. Das war natürlich eine große Sache.

Als wir 2021 unser 50. Jubiläum mit einer Veranstaltungsreihe über die 70iger Jahre gefeiert haben und aufgrund der Pandemie nur mit wenigen externen Künstlern arbeiten konnten, haben die Kolleginnen der Sozialen Betreuung viele Veranstaltungen selbst gestaltet, angefangen von einer 70iger-Jahre Hitparade über Modenschauen, Filmvorträgen und vieles mehr. Da sind ganz wunderbare Sachen dabei entstanden, da konnte Jede*r, ob Mitarbeiter oder Bewohnerin, in seinen persönlichen Erinnerungen schwelgen.

Schon vor Jahren haben andere Pflegeheime Wirtschaftsbereiche outgesourct und lassen z.B. das Essen liefern und haben einen Reinigungsdienst unter Vertrag. Wie ist das in der Diesterweg-Stiftung?

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Sabine Wirtz: Als gemeinnützige Stiftung, die zwar Gewinne erwirtschaften, aber nicht maximieren muss, leisten wir es uns in der Tat, alles mit eigenen Mitarbeiter*innen zu machen, selbst die Bewohnerwäsche. Letztendlich ist eine gute Dienstleistung in allen Bereichen für das Wohlbefinden wichtig und so können wir viel schneller und individueller auf Wünsche eingehen. Ich bin überzeugt, dass das nicht nur für die Bewohner*innen gut ist, sondern auch für uns Mitarbeiter*innen. Es stärkt den Zusammenhalt, fördert den Austausch. Als wir in der Pandemie mal eine richtige Notsituation hatten, da haben alle abteilungsübergreifend mit angepackt. Das wäre mit Fremdfirmen nicht möglich gewesen.

Wir freuen uns auf Sie:

 Kontakt Diesterweg-StiftungTierparkallee 30, 22527 HamburgTelefon: 040 - 540 70 24E-Mail: info@diesterweg-stiftung.deWeb: www.diesterweg-stiftung.de
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