Hamburg. Die neue Corona-Testverordnung bürdet den Kassenärzten zu viel auf – und bedroht die Verfügbarkeit von Tests. Das hat Folgen.
Von den vielen Pannen, die passieren können, wenn man aus guten Gründen eine Pandemie schnell bekämpfen muss, zählen die jüngsten zu den schwerwiegendsten. Allerorten fehlt Impfstoff, obwohl alle Erwachsenen unablässig aufgerufen werden, sich impfen zu lassen. Es ist unverantwortlich, Hoffnungen auf eine rapide Herdenimmunisierung zu wecken, wenn es absehbar an Biontech und Co. fehlt.
Der Zickzackkurs bei der Kinder-Impfung hat Familien verunsichert. Impfstoff wird verschoben und droht sogar zu verfallen – ein Albtraum für alle, die einen Termin herbeisehnen. Nun platzt mitten in die Corona-Lockerungen die Test-„Bombe“. Die Schnelltestzentren drohen so plötzlich wieder zu verschwinden, wie sie aus dem Boden geschossen sind. Möglicherweise haben wir uns voreilig daran gewöhnt, dass eine Überprüfung auf das Coronavirus überall und jederzeit verfügbar ist.
Betrug bei Corona-Schnelltests: Falsche Schlüsse gezogen
Dabei sind die Schnelltests auch essenzieller Teil der Lockerungen. Nur mit einem Nachweis lassen sich die wiedergewonnenen Freiheiten überhaupt ausleben, sei es in Hotels und Restaurants, im Theater, im Fitnessstudio oder beim Friseur. Mit der neuen Testverordnung, die es den Kassenärzten aufbürdet, die Rechnungen der Testzentren zu überprüfen, hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zum wiederholten Male vergaloppiert. Der Protest der Kassenärztlichen Vereinigungen ist laut, aber berechtigt. Wo sollen sie noch Personal, wo plötzlich die Infrastruktur hernehmen, um Millionen Abrechnungsdaten zu prüfen?
Der Betrieb von Testzentren ist ein bisweilen lukrativer Wirtschaftszweig mit staatlich garantierten Einnahmen. Leider zieht er die üblichen Verdächtigen an: windige Kaufleute in Erwartung des schnellen Euro. Auch in Hamburg hat es Betrüger gegeben. Ihr Handeln überdeckt den Fleiß der ehrlichen Pandemie-Makler. Gerade aus der Kulturbranche und der Gastroszene kamen Projekte, mit Testzentren Lockerungen zu ermöglichen. Sollten die seriösen Abstrich-Stationen in einen Abrechnungsstreit verwickelt werden und lange auf ihr Geld warten müssen, werden weitere schließen. Ein Pfeiler des Lockermachens droht zu bröckeln.
Impfstoff-Desaster, Masken-Skandal: Jens Spahn als tragische Figur
Minister Spahn unternimmt einen hilflosen Versuch, nach Impfstoff-Desaster und Masken-Skandalen den Betrug mit Schnelltests einzudämmen. Es ist mehr Placebo als Therapie. Für ihn als gesundheitspolitisch kundigsten Minister der vergangenen Legislaturperioden ist es fast schon ein tragisches Schicksal.
Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick
- Corona in Hamburg – die aktuelle Lage
- Die Corona-Lage für ganz Deutschland im Newsblog
- Interaktive Corona-Karte – von China bis Hamburg
- Überblick zum Fortschritt der Impfungen in Deutschland
- Interaktiver Klinik-Monitor: Wo noch Intensivbetten frei sind
- Abonnieren Sie hier kostenlos den täglichen Corona-Newsletter
- So wird in Deutschland gegen Corona geimpft
Corona hat den ambitionierten Christdemokraten in den Augen vieler zum Versager gestempelt. Nicht an jedem Missstand trägt er Schuld. In der Figur Spahn jedoch manifestiert sich der Verdruss der Bürger. Das Hin und Her der Ankündigungen zum Impfen, Impfstoff und Lockerungen untergräbt das Vertrauen in die politischen Akteure.
Es ist nicht mehr nur die Frage, ob wir die richtigen Figuren an den richtigen Stellen haben. Die Glaubwürdigkeit des „Systems“ ist erschüttert. Und dazu gehören auch die, die nicht unmittelbar Teil des Politischen sind. Die Ersten, die die Wucht der Wut abbekamen, waren die Ärzte in den Praxen. Dort schlug ein in Teilen berechtigter Volkszorn den Medizinischen Fachangestellten schon am Empfangstresen entgegen, wenn es um Impftermine, Priorisierungen und sogar Impfneid gegenüber anderen Patienten ging. Auch von den Betriebsärzten in den großen Unternehmen, die mit gigantischem Aufwand impfen, ist Frust zu hören über die mickrigen Dosen, die sie trotz großer Bestellungen erhalten.
Das alles wird sich in einem völlig unabsehbaren Effekt in der Bundestagswahl im September niederschlagen. Personalwechsel allein werden ein pandemisches Land nicht befrieden.