Hamburg. Die Bundeswehr baut in Neu-Delhi eine Sauerstoffanlage. Was Internist Harald Berling erlebt, macht ihn tief betroffen – und wütend.
Eigentlich hatte Harald Berling damit gerechnet, dass es nach Afghanistan geht. Der Rucksack war jedenfalls schon gepackt. Doch dann kam alles anders. Nur wenige Tage vor der geplanten Abreise erfuhr der Mediziner aus Hamburg, dass er doch woanders gebraucht wird. Und das Ziel sollte nicht weniger brisant sein: Indien.
Harald Berling ist Internist am Bundeswehrkrankenhaus in Wandsbek und hat für den Sanitätsdienst der Bundeswehr schon an diversen Auslandseinsätzen teilgenommen. „Wenn man wie ich bei der Bundeswehr studiert, weiß man, dass das dazugehört.“ Auch sein Sohn und seine Frau – ebenfalls Ärztin bei der Bundeswehr – unterstützen die teils wochenlangen Einsätze. Dass es so kurzfristig losgeht, ist dann aber doch selten.
Neu-Delhi ist zum Sinnbild für den Corona-Schrecken geworden
Nun also Neu-Delhi. Der Ort, der seit geraumer Zeit das Sinnbild für den Corona-Schrecken geworden ist. Die Bilder sind um die Welt gegangen: Schlangen vor den Krankenhäusern, sterbende Menschen auf den Straßen, der Rauch der Krematorien. Gemeinsam mit zwölf Bundeswehrsoldaten ist Berling dort, um den Bau einer Anlage zu begleiten, die dringend benötigten Sauerstoff für die Behandlung von Covid-19-Patienten erzeugt.
Die Anlage entsteht auf dem Gelände hinter einem Krankenhaus im Zentrum von Delhi. Rund 400.000 Liter Sauerstoff täglich sollen in wenigen Tagen produziert und in Flaschen abgefüllt werden.
Arbeitsbedingungen könnten anstrengender kaum sein
Die Arbeitsbedingungen könnten anstrengender kaum sein: Rund 40 Grad, kaum Schatten, viel Staub und drum herum eine Stadt, in der das Leid allgegenwärtig ist. Berlings Aufgabe als Arzt ist bei diesem Einsatz die Versorgung der Soldaten: „Da geht es darum Corona-Tests durchzuführen, aber auch darum, andere landestypische Infektionskrankheiten zu vermeiden. Und natürlich trage ich ganz allgemein Sorge dafür, dass die Kameraden unter den Extrembedingungen hier gesund bleiben“, so Berling.
Bei seinem vorherigen Einsatz in Portugal war die Situation eine andere: Dort war er Anfang des Jahres im Rahmen eines Bundeswehrhilfseinsatzes auf einer Intensivstation tätig. Zu dieser Zeit lag die Sieben-Tage-Inzidenz dort bei fast 850 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, die Intensivstationen waren übervoll, und vor den Kliniken waren Triage-Zelte aufgebaut.
Mehrere Wochen arbeitete Berling hier mit mehreren Kameraden auf einer Acht-Betten-Station mit beatmeten Patienten im Schichtdienst. Schwere und schwerste Krankheitsverläufe, die Not und Ängste der Angehörigen, gehörten dort zum Alltag.
Viele Inder erleben die schlimmsten Tage ihres Lebens
„Natürlich habe ich auch am Bundeswehrkrankenhaus in Hamburg Covid-Patienten behandelt, aber die Dimension in Portugal war natürlich noch einmal etwas anderes und sehr bedrückend.“
Es ist eine prägende Zeit für den Familienvater. „Ich habe in diesen Wochen noch deutlicher miterlebt, welche Schicksale hinter den Infektionszahlen stecken“, so Berling. Dieses Wissen begleite ihn auch bei seinem aktuellen Einsatz in Indien. „Auch wenn ich gerade nicht selber in einem Krankenhaus arbeite, geht mir die Situation hier sehr nahe. Wenn ich etwa höre, dass hier in der Stadt derzeit pro Tag etwa 400 Menschen sterben, dann ist mir bewusst, dass es 400 Schicksale sind, 400 Familien, die die schlimmsten Tage ihres Lebens erleben“, so Berling.
In Indien habe man sich zu früh in Sicherheit gewiegt
Denn klar ist: „Das Sterben dauert oft mehrere Tage, die Belastung für die Angehörigen ist extrem.“ Wütend macht den gebürtigen Augsburger, der vor rund 15 Jahren nach Hamburg gezogen ist, dass diese Situation aus seiner Sicht vermeidbar gewesen wäre. „In Indien hat man sich zu früh in Sicherheit gewiegt und gelockert. Das war ein fataler Fehler.“
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Und wie bewertet Harald Berling die aktuelle Lage in Deutschland? „Wie bei fast jedem meiner Einsätze wird mir aktuell bewusst, wie groß der Wert unseres wirklich guten Gesundheitssystems ist“, sagt der 46-Jährige. „Allein dadurch können wir in Deutschland deutlich mehr abfangen als in den meisten anderen Ländern.“ Dennoch findet er: „Im vergangenen Oktober und November war man mit dem Lockdown light zu zögerlich. Die Maßnahmen waren am Ende zu zerstückelt. Entschiedeneres Handeln hätte die dritte Welle verhindern können.“
Der harte Lockdown hat in Neu-Delhi erst begonnen
Während in seiner Wahlheimat Hamburg die Inzidenz inzwischen deutlich zurückgeht und die ersten Lockerungen angekündigt sind, hat der harte Lockdown in Neu-Delhi gerade erst begonnen. „Bis die Zahlen hier spürbar runtergehen, wird es sicher zehn bis vierzehn Tage dauern“, so Berling. So lange wird es auch in etwa noch dauern, bis die Anlage fertig ist und übergeben werden kann.
Was Berling von diesem Einsatz mit nach Hause nimmt: „Es klingt vielleicht pathetisch, aber es bleibt immer ein Gefühl der Dankbarkeit, dass ich aktiv helfen kann.“