Hamburg. Erst Büros, dann Wohnungen: So klug baute Gruner + Jahr.
Es gab Architekturstudenten, die sich nur deshalb um ein Praktikum bei Gruner + Jahr bewarben, um dieses Haus in Ruhe kennenzulernen. Kaum ein Bürogebäude aus den späten 80er-Jahren vermag noch Jahrzehnte später zu faszinieren, dem spektakulären Entwurf der Architekten Otto Steidle und Uwe Kiessler gelingt es spielerisch. Seine maritimen Formen mit Bullaugen und Relings spielen mit dem Ort und machen ihn unverwechselbar. Am Baumwall hat das Verlagshaus Gruner + Jahr ein architektonisches Statement gegeben, das Selbstbewusstsein, Transparenz und Anspruch zugleich ausstrahlt, das Ecken und Kanten kennt – und das in der heutigen Medienkrise wie die Erinnerung an eine bessere Zeit erscheint.
Es passt ins Bild, dass der Verlag 2021 in einen Klotz in der HafenCity ziehen wird und sein Pressehaus an die Stadt verkauft hat. Die muss das Gebäude nachnutzen und könnte dabei von der Weitsicht der Architekten profitieren. Anders als viele andere Büroimmobilien, die renditeoptimiert für einen Mieter monofunktional konzipiert werden, haben Steidle und Kiessler schon damals die Nachnutzung mitbedacht. Die Anordnung auf dem Grundriss des einstigen Gängeviertels schafft viele Möglichkeiten; die vielen hellen Flügel am Baumwall mit Balkonen und Innenhöfen kann man sich gut als Wohngebäude, aber auch als Kreativzentrum denken.
Während in der Hansestadt viele Bürogebäude aus den 60er-, 70er- und 80er-Jahren derzeit abgerissen werden müssen, weil mit dem Auszug der Mieter die Nutzung entfällt, wird der denkmalgeschützte Bau mit Blick auf den Hafen der Abrissbirne entgehen. So könnte das alte Verlagsgebäude von Gruner + Jahr Modell sein für viele Neubauten. Kluge Architektur ist nachhaltig. Davon kann nicht nur Hamburg mehr gebrauchen.