Siek. Der Sohn geht bereits aufs Gymnasium Großhansdorf, die Mutter hatte ein Bewerbungsgespräch. Beide wollen sich schnell integrieren.

Ein Einfamilienhaus in Siek: Wo an der Eingangstür bislang ein Klingelschild mit den Nachnamen Ahrens und Tiemann hing, hat sich vor zwei Wochen ein weiteres mit einem ukrainischen Namen dazugesellt. Das Haus in der Hauptstraße ist nicht mehr länger nur das Zuhause von Damian Ahrens, seiner Partnerin Anja Tiemann und dem fast zweijährigen Sohn Henry, sondern auch von Maryna, ihrem 15-jährigen Sohn Ivan und ihrem kleinen Hund. Die Familie aus Siek hat die ukrainischen Kriegsflüchtlinge aufgenommen, die aus ihrer Heimat in Mariupol fliehen mussten.

Entscheidung zu helfen viel ohne viel Zögern

Die Entscheidung, Geflüchtete aufzunehmen, haben Damian Ahrens und Anja Tiemann ohne viel Zögern getroffen. „Unmittelbar nach dem Einmarsch der russischen Streitkräfte war ja klar, dass es eine große Flüchtlingswelle geben wird“, so Damian Ahrens. „Als ich mitbekommen habe, dass auch private Unterkünfte gebraucht werden, habe ich mich mit meiner Partnerin kurzgeschlossen und wir haben entschieden, dass wir uns das vorstellen können.“

Und das, obwohl die beiden beruflich und privat gut eingespannt sind. Ahrens arbeitet in der IT-Branche, seine Freundin ist Kriminalbeamtin. Der kleine Sohn hält die beiden auf Trab. Das war für die Familie aber kein Grund, nicht trotzdem zu helfen. Ahrens: „Wir haben ein Gästezimmer, wir haben genug Platz. Für uns war das eigentlich selbstverständlich.“

Damian Ahrens kam selbst als Spätaussiedler aus Oberschlesien

Warum es dem Paar wichtig war zu helfen? „Wir leben in Deutschland im Schlaraffenland im Vergleich zu dem, was in der Ukraine passiert“, so Ahrens. Der 46-Jährige kam selbst mit 13 Jahren ohne ein Wort Deutsch mit einem Koffer unterm Arm als Spätaussiedler aus Oberschlesien, kann sich vielleicht deshalb noch ein bisschen besser in die Lage der Geflüchteten hineinversetzen.

Über die Internetplattform host4ukraine.com hat das Paar eine Anzeige online gestellt. Dort können sich geflüchtete Ukrainer direkt melden. Noch am selben Tag waren eine Menge Anfragen eingegangen. Maryna war die erste, alle anderen Anfragen hat Ahrens versucht weiterzuleiten. „Drei Tage nach Kriegsbeginn habe ich entschieden, dass wir die Ukraine verlassen“, sagt Maryna. Von ihrem Mann lebt sie getrennt, es gibt nur ihren Sohn, ihren Hund und sie. „Wir waren zu Hause und durch die Angriffe hat alles gewackelt, die Türen, die Fenster, alles. Ich konnte nicht essen und nicht schlafen.“ Also entschied sie, aus ihrem Heimatland zu flüchten.

Erschöpfung nach Flucht aus der Ukraine war groß

Per Chat haben Ahrens und die Ukrainerin Kontakt miteinander aufgenommen, sich auf Englisch ausgetauscht. „Ich habe ein Familienfoto von uns dreien geschickt und eins von den beiden mit Hund zurückbekommen“, sagt Ahrens. Maryna und Ivan kamen mit dem Auto direkt aus Mariupol, waren einige Tage in Danzig, bevor es nach Deutschland weiterging. Das Paar richtete das Gästezimmer her. „Ansonsten haben wir uns nicht darauf vorbereitet, es ging ja auch alles sehr schnell“, so Ahrens.

Vor zwei Wochen kamen Maryna, Ivan und ihr Hund in Siek an. „Während der Fahrt hat Maryna immer wieder Bescheid gegeben, wo sie gerade sind. Irgendwann kam die Nachricht: Wir sind da.“ Ahrens holte die Familie vom Auto ab, nahm sie in den Arm, zeigte ihr das Gästezimmer. „Es war ein schönes Gefühl. Wir haben gemerkt, dass wir gerade etwas Gutes tun und Menschen in Not Sicherheit geben.“ Die ersten zwei Tage haben sich die Ukrainer im Gästezimmer zurückgezogen und nach der kräftezehrenden Reise Schlaf nachgeholt. Die Mutter hatte erst vor Kurzem ihren Führerschein gemacht, ist auf der Flucht ein paar Tausend Kilometer Auto gefahren.

Angeln als gemeinsames Hobby verbindet

„Mittlerweile haben wir uns eingespielt. Das Zusammenleben funktioniert sehr gut“, so Ahrens. Über ein gemeinsames Hobby hat er einen Draht zu Marynas Sohn gefunden. Der Sieker ist leidenschaftlicher Angler – und auch Ivan angelt für sein Leben gern, hat das an der ukrainischen Küste in seiner Heimatstadt gemacht. „Am Anfang war er schüchtern. Aber als er meine Angeln gesehen hat, war das Eis gebrochen“, sagt Ahrens. Verständigen tun sie sich mit dem Google-Übersetzer. „Das funktioniert“, so der Sieker.

Zu organisieren gab es am Anfang einiges. „Ich habe mit meinem Arbeitgeber abgesprochen, dass ich 30 Prozent meiner Arbeitszeit im Homeoffice für organisatorische Angelegenheiten aufwende und die Zeit nach Feierabend oder am Wochenende nacharbeite“, so Ahrens. Er meldete die beiden in Siek an, damit sie Zugang zur medizinischen Versorgung haben, sprach mit der Autoversicherung, ließ den Hund beim Tierarzt chippen, machte Impftermine, kümmerte sich um Bankkonten, Handy-Simkarten und Formulare.

Gemeinde Siek unterstützt die Familie finanziell

Das Paar aus Siek bezahlt Einkäufe und Unternehmungen für Maryna und Ivan, die ohne finanzielle Mittel nach Deutschland gekommen sind. Dafür gibt es finanzielle Unterstützung von der Gemeinde Siek. Neben den organisatorischen Angelegenheiten machen Ahrens und seine Partnerin auch Unternehmungen mit der Familie. Am Wochenende waren alle zusammen am Timmendorfer Strand, in Hamburg, haben einen Spieleabend mit Freunden gemacht.

Die Familien teilen sich den Haushalt, kochen zusammen – mal deutsch, mal ukrainisch. Auch für den kleinen Sohn Henry ist es schon jetzt, als würden Maryna und Ivan zur Familie gehören. „Wenn sie nicht da sind, fragt er nach ihnen und will wissen, ob wir alle zusammen zum Strand fahren“, so der Vater. Maryna spielt mit Henry, während Ahrens und Tiemann im Homeoffice arbeiten. „Da unterstützt sie uns auch.“

Und: Henry hilft ihr und Ivan beim Deutsch lernen. „Das ist wirklich lustig mit anzusehen“, sagt Ahrens. Vor ein paar Monaten hat sein Sohn angefangen zu sprechen, lernt im Moment alle möglichen deutschen Wörter – genau wie Maryna und Ivan auch. Ahrens: „Einmal haben Henry und Maryna zusammen ein Buch angeguckt. Sie hat ihn gefragt, was das in dem Buch ist und er hat gesagt: Ente. Das hat sie sich direkt gemerkt.“

Das Haus in Mariupol existiert nicht mehr

Übrigens: „Anfangs hieß es, dass die beiden nur für kurze Zeit eine Unterkunft suchen“, sagt Ahrens. Dieser Plan hat sich mittlerweile geändert. Denn Mariupol, die Heimatstadt von Maryna und Ivan, ist fast komplett zerstört. Über Kontakte erfuhren die beiden, dass das Haus, in dem sie gewohnt haben, nicht mehr existiert. „Davor habe ich Hoffnung gehabt, dass wir zurückkehren können“, sagt Maryna. „Diese Hoffnung gibt es jetzt nicht mehr.“

Sie und Ivan wirken tapfer, wenn sie von dem Krieg in ihrem Land und dem Verlust ihrer Heimat berichten. „Manchmal bin ich schon traurig“, sagt Maryna. „Aber ich versuche, optimistisch zu sein und nach vorne zu schauen. Ich bin am Leben, meine Familie ist am Leben. Ich habe einen Kopf und ich habe Hände, ich kann arbeiten. Ich kann etwas Neues aufbauen.“ Obwohl sie vorher nie in Deutschland war, erkennt sie Ähnlichkeiten zu ihrer Heimat. „Die Natur hier ist ähnlich“, sagt Maryna. „In Mariupol haben wir auch an der Küste gelebt.“ Für all das, was sie in Deutschland bekommt, ist sie sehr dankbar: „Viele Menschen haben uns sehr geholfen.“

Ivan geht in Großhansdorf zur Schule

Sie und ihr Sohn möchten in Deutschland bleiben und sich schnell integrieren. Dabei möchten Damian Ahrens und seine Freundin helfen. „Uns ist es wichtig, keine Langeweile aufkommen zu lassen, damit die beiden nicht zu viel über den Krieg nachdenken.“ Als klar war, dass sie nicht zurückkönnen, hat Ahrens Ivan in der Schule angemeldet, einen Deutschkursus organisiert.

Ivan geht seit einigen Tagen auf das Gymnasium in Großhansdorf. „Ich habe dort angerufen und sollte direkt am nächsten Tag kommen“, sagt Ahrens. „Ivan wurde mit offenen Armen empfangen, das war wirklich toll.“ Und auch der Ukrainer fühlt sich in seiner neuen Schule wohl. „Meine neuen Klassenkameraden und die Lehrer waren sehr hilfsbereit und haben mir alles gezeigt“, sagt Ivan. Der 15-Jährige glaubt, dass er mit dem Schulstoff hinterherkommen wird, wenn er besser Deutsch spricht. „Es ist schwierig, aber trotzdem okay.“

Mayrna hatte schon ein Bewerbungsgespräch

Maryna ist momentan auf Jobsuche. In der Ukraine war sie Biologin, hat in ihrer Heimat an der Universität gearbeitet. „Das würde ich gerne auch in Deutschland tun“, sagt sie. Ein Vorstellungsgespräch hatte sie bereits. Bis Maryna wirklich arbeiten darf, vergeht wahrscheinlich noch ein bisschen Zeit, denn noch wartet sie auf ihren Aufenthaltstitel. Doch die Weichen sind gestellt. Ahrens: „Bei allem, was für die beiden in Zukunft kommt, werden wir ihnen wie Freunde zur Seite stehen. Sie haben gute Perspektiven, um sich hier etwas aufzubauen. Ich hoffe, dass sie das, was passiert ist, irgendwann verarbeiten können.“

Wie lange die beiden bei der Sieker Familie bleiben, steht nicht fest. Für Ahrens und seine Partnerin ist das in Ordnung, darüber haben sie mit ihren ukrainischen Gästen gesprochen. Mit seinen Jobs, seinem Sohn und der Unterstützung für Maryna und Ivan hat das Paar zwar gut zu tun, bereuen tut es seine Entscheidung aber keineswegs – im Gegenteil. „Es ist keine große Hürde, den Menschen, die es brauchen, unter die Arme zu greifen“, so Ahrens. Deshalb möchte er alle, die Platz für Geflüchtete haben, animieren, es ihm gleichzutun. Denn ein kleiner Extraaufwand sei das zwar. Aber, so Ahrens: „Man bekommt so viel zurück.“