Hamburg. Der Hamburg-Konvent hat die Debatte angestoßen, wie sich die Stadt entwickeln soll. Heute schreibt der Architekt Volkwin Marg.

Die Hansestadt ist in acht Jahrhunderten meist gewachsen, oft in Schüben. Hamburg erlebte einen rasanten Wachstumsschub in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts infolge der Dampfmaschinenrevolution, die die Produktivität und den Handel vervielfachte und den Transport per Dampfschiff und Eisenbahn beschleunigte.

Hamburg wurde zum Welthafen. In der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts kumulierte das Wachstum, endete aber katastrophal in der Zerstörung von Stadt und Hafen, geschrumpfter Bevölkerung und dem Verlust des Hinterlandes im Osten – samt seiner Industrien.

Trotz gewaltiger Aufbauleistungen in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts konnte Hamburg eine relative Schrumpfung im Vergleich zu den Hafenstädten der Rheinmündung mit dem industriellen Band bis nach Basel nicht in Wachstum verwandeln.

Fall des Eisernen Vorhangs eröffnete neue Hoffnung auf Wachstum von Stadt und Hafen

 Darum versuchte man die Industrie im verlorenen Hinterland in den 70er-Jahren durch eine eigene zu ersetzen mit einem „Differenzierten Raumordnungskonzept für die Region der Unterelbe“, also die Ansiedlung von Grundstoffindustrien in der Elblandschaft vor Stade, Glückstadt, Brunsbüttel, Cuxhaven bis hin zum geplanten Hamburger Vorhafen vor Neuwerk.

Dagegen protestierten Regionalplaner, Architekten und Landschaftsplaner und eine wachsende junge Opposition der grünen Bewegung gegen Atomkraftwerke. Von den für die Energiegewinnung geplanten zwölf entstanden immerhin noch vier in Stade, Krümmel, Brunsbüttel und Brokdorf. Übrig sind die angesiedelten energiehungrigen Grundstoffindustrien für Stahlverhüttung, Aluminiumgewinnung und Chemikalien mit wenigen Arbeitsplätzen und hohen ökologischen Lasten.

Erst der Fall des Eisernen Vorhangs eröffnete in den 90er-Jahren neue Hoffnung auf Wachstum von Stadt und Hafen durch das wiedergewonnene Hinterland. Das erkannten Bürgermeister Henning Voscherau und HHLA-Chef Peter Dietrich als Herausforderung und nutzten mutig die Chance.

HafenCity wurde ein bewunderter Erfolg

Sie beschlossen nach dem Prinzip „do ut des“ – ich gebe, damit du gibst – die Realisierung des erstmals voll digitalisierten Containerterminals in Altenwerder und als Gegenleistung dafür die Rückgabe der geräumten Hafenflächen nördlich der Elbe zwischen Kehrwieder und Elbbrücken für das Stadtwachstum in Gestalt der HafenCity. Das bewirkte einen Gesinnungswandel bei den Senatoren und Behörden für Stadt- und Hafenplanung. Die getrennten Ressorts operierten nicht mehr gegeneinander, sondern kooperierten miteinander.

Die HafenCity wurde ein bewunderter Erfolg und der digitalisierte automatische Containerhafen auch. Von diesem Geiste beflügelt dachte man jetzt politisch weiter. Was bei der HafenCity gelungen war, müsste auch für die Aufwertung des „sozialen Brennpunktes“ Wilhelmsburg gelingen, mithilfe des ungebremsten Wachstumsschubes.

Halbherziger Hüpfer in den Moldauhafen

Durch einen urbanistischen „Sprung über die Elbe“ sollte die sträflich vernachlässigte Enklave durch die bis dorthin zu erweiternde HafenCity aus ihrer Isolation befreit und mit Hamburg verbunden werden. Die städtebaulichen Pläne der zwei Bewerbungen für die Olympischen Spiele für 2012 und 2024 und zwischendurch für eine Universitätsstadt auf den von Hafenbetrieben geräumten Grasbrook waren der Start.

Aber der Sprung über die Elbe fand nicht statt, weil die Hamburger die zweite Olympiabewerbung verweigerten. Die Hafenwirtschaft nutzte das aus und bestand auf der Wiederherstellung ihres Anspruchs auf Bestandsschutz und Verzicht auf Verlagerungen. Das war ein Rückfall in die Zeiten des überwunden geglaubten Gegeneinanders von Hafen und Stadt.

Aus dem großen städtebaulichen Sprung auf den Grasbrook wurde als fauler Kompromiss ein halbherziger Hüpfer in den Moldauhafen mit den leer stehenden Schuppen des Überseezentrums. Nach wie vor besteht die Möglichkeit, Autoverladungen und Hafenaktivitäten der HHLA vom Grasbrook auf brachliegende Hafenflächen im inneren Hafen oder anstelle ehemaliger Raffinerien an den Köhlbrand zu verlagern.

Hamburg konnte wachsen

Anders als für die HafenCity sind diesmal nicht viele private Firmen zu kaufen, um sie verlegen zu können, sondern die Stadt als Eigentümer der HHLA selbst müsste für ihre Tochter an anderer Stelle im Hafen in neue Anlagen investieren, so wie vor zwei Jahrzehnten in Altenwerder. Hamburg gewänne einen großen städtebaulichen Mehrwert für die Zukunft der wachsenden Stadt.

Die Hamburger Kaufleute der Gründerzeit hatten für die Zollunion mit dem Deutschen Reich ihr Wandrahmviertel für die Speicherstadt hergegeben. Der Senat mit Bürgermeister Voscherau hat für den Containerhafen in Altenwerder das Gelände für die HafenCity eingetauscht. Der Hafen erhielt modernsten Anschluss an die Weltwirtschaft, und Hamburg konnte wachsen.

Strukturwandel fordert politischen Mut zu Investitionen

Warum ist das unserer Koalition aus Sozialdemokraten und Grünen nicht möglich, auf dem Areal Grasbrook die Stadterweiterung Richtung Wilhelmsburg durch Tausch gegen moderne Umschlagsanlagen auf Brachen im inneren Hafen oder am Köhlbrand für die eigene HHLA zu finanzieren? Das wäre wieder eine Win-win-Chance und Demonstration der gemeinnützigen Kooperationsfähigkeit von Hafen und Stadt.

Der epochale Strukturwandel fordert politischen Mut zu Investitionen in die Zukunft. Der vorzulegende Hafenentwicklungsplan muss dafür einen Beitrag liefern, aber nicht im Interesse des Hafens allein, sondern für die Entwicklung der Stadt als Ganzes.