Glinde. Man müsse sich strategisch mit Ausgabenkürzungen auseinandersetzen, sagt Bürgermeister Rainhard Zug
Im Ergebnishaushalt 2021 rechnet die Glinder Verwaltung mit einem Defizit in Höhe von drei Millionen Euro. Coronabedingt erwartet die Stadt zum Beispiel weniger Steuern von Unternehmen. Bislang zahlten Gewerbebetriebe per anno rund 9,5 Millionen Euro, für dieses Jahr sind acht prognostiziert. Sollte sich die wirtschaftliche Situation nicht verbessern, steigen könnten die Schulden laut Bürgermeister Rainhard Zug binnen vier Jahren von derzeit rund sieben auf 33 Millionen Euro steigen. Um das zu vermeiden, hat das Rathaus eine Streichliste erarbeitet. Dort aufgeführte Punkte sehen schmerzliche Einschnitte vor allem im sozialen Bereich vor.
Haushalt soll am 28. Januar beschlossen werden
Eigentlich sollte die Politik zeitnah darüber beraten mit der Möglichkeit, geplante Projekte kurzfristig zu stoppen. Doch die Sitzung des Finanzausschusses am Montag, 11. Januar, ist wegen der Pandemie abgesagt. "Es fehlt die Zeit, ausgiebig in den Gremien darüber zu sprechen", sagt Zug. Die Stadtvertretung werde den Haushalt in seiner ursprünglichen Fassung am 28. Januar beschließen.
Allerdings könnte das Thema in wenigen Monaten wieder auf dem Tisch liegen. Der Verwaltungschef beschreibt es so: "Ich glaube, man muss sich strategisch mit Ausgabenkürzungen auseinandersetzen." Massive Einschnitte aufgrund der Liste werde es jedoch nicht geben. Diese solle der Politik lediglich Möglichkeiten aufzeigen.
Grünen-Fraktionschefin fürchtet, dass Glinde sein "soziales Gesicht" verliert
Alles andere als gelassen ist Petra Grüner beim Blick auf die drei DIN-A-4-Seiten umfassende Tabelle. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen sagt: "Wir waren entsetzt über die Liste. Bei einer Umsetzung von bestimmten Punkten würde Glinde sein soziales Gesicht verlieren." Dass der Wegfall insbesondere von freiwilligen Leistungen notiert ist, schmeckt der Politikerin gar nicht.
Sozialer und kultureller Bereich besonders betroffen
Grüner meint unter anderem den Verzicht auf Nachmittagsbetreuung von Fünft- und Sechstklässlern an der Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule. "Das wäre eine Katastrophe", sagt die Pädagogin, die an der Glinder Förderschule arbeitet. Eine Preiserhöhung für das Mittagessen in der Mensa des Schulzentrums steht ebenfalls auf der Liste, dazu die Schließung der Lehrschwimmhalle am Tannenweg. Hier liegen die Betriebskosten bei rund 100.000 Euro im Jahr. Weitere Vorschläge, die Jungen und Mädchen betreffen: Reduzierung des Angebots der offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie die Privatisierung der Kindertagesstätten Wurzelzwerge und Wirbelwind.
Durch das Einstellen der Betreuung von Obdachlosen würde Glinde jedes Jahr 17.000 Euro einsparen, noch höher ist die Summe diesbezüglich bei Flüchtlingen: rund 150.000 Euro. Den Theaterbetrieb im Forum nicht fortzuführen, würde ebenfalls Kosten senken. Bestandteil des Verwaltungsschreibens sind zudem: Streichung des Markfestes, von Zuschüssen an die Musikschule und mittelfristig 100.000 Euro weniger Ausgaben für die Volkshochschule, weil die Leitung ehrenamtlich besetzt und die interkommunale Zusammenarbeit intensiviert wird. Hinzu kommt das Weglassen von Sanierungen bei Straßen, Wegen und Plätzen. Bei der Seniorenbetreuung könnte Glinde rund 10.000 Euro sparen. Dieser Posten impliziert den Verzicht auf die Weihnachtsfeier.
Grüner würde bei Parkstreifen am Holstenkamp ansetzen
Petra Grüner weiß, dass sie im schlimmsten Fall irgendwo ansetzen muss. Die Grünen-Fraktionschefin nennt als erstes den Längsparkstreifen an der Straße Holstenkamp, dessen Bau mit 465.700 Euro beziffert ist. "Auch könnte man die Glinde-App verschieben. Sie ein Jahr später zu haben, reicht völlig aus", sagt die Politikerin. Die Entwicklung kostet 18.000 Euro.
"Ein Kahlschlag im sozialen und kulturellen Bereich ist mit uns nicht machbar", sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Lauterbach. Bei Baumaßnahmen könne man allerdings über Verschiebungen reden. Er sei momentan ganz entspannt. Lauterbach ist guter Hoffnung, über die Liste gar nicht mit anderen Parteien streiten zu müssen: "Denn bisher hatte die Stadt am Jahresende immer mehr Geld in der Tasche als prognostiziert."
FDP sieht bei Zuschüssen für Vereine den größten Spielraum
Sein Pendant von der FDP, Thomas Kopsch, würde den Rotstift anders ansetzen. Er sagt: "Bei Gebäuden und Straßen, also Instandhaltungsinvestitionen, und der Digitalisierung sollte man zurückhaltend mit Kürzungen sein." Das Aufschieben von solchen Projekten würde eine Verteuerung nach sich ziehen. "Im sozialen Bereich müsste man sich einiges angucken. Den größten Spielraum sehe ich bei Zuschüssen für Vereine, den geringsten bei Schulen."
CDU-Stadtvertreter Bernd Hengst kann es mit Einsparungen nicht schnell genug gehen: "Ich werde Protest einlegen, wenn der Haushalt verabschiedet wird, ohne über die Liste zu reden." Der Polit-Veteran schlägt etwa vor, einen Einstellungsstopp in der Verwaltung zu verhängen. Mit seiner Haltung, unmittelbar auf die Kostenbremse zu treten, mag er Parteikollegen verschrecken. Unpopuläre Schritte schon jetzt einzuleiten, rechtfertigt Hengst so: "Der Kämmerer hat uns im Finanzausschuss deutlich gesagt, dass etwas passieren muss."
Durch die Corona-Pandemie generieren viele Glinder Unternehmen weniger Geld als noch vor einem Jahr eingeplant, was Einfluss auf die Abgaben an die Stadt hat. Laut Bürgermeister Zug erstattet das Land Schleswig-Holstein seiner Kommune 1,8 Millionen Euro für den Ausfall von Gewerbesteuern in 2020.