Hamburg. Das neue Infektionsschutzgesetz zeigt, wie sehr der Krieg die Regierung beansprucht. Die Corona-Politik hätte angepasst werden müssen.
Es gab Zeiten, gar nicht so lange her, da galt die Corona-Pandemie als das definierende Ereignis unserer Dekade. Die Art, wie wir arbeiten, leben, mit Krankheit und Tod umgehen, auf globale Probleme reagieren – alles schien durch die Pandemie infrage gestellt, alles schien auf einmal veränderbar. Der Krieg in der Ukraine hat diese Idee abrupt und mit großer Härte widerlegt. Corona ist nicht die große Bedrohung dieser Zeit, sondern nur eine in einer Reihe von akuten Großkrisen, deren Bekämpfung um Aufmerksamkeit und Ressourcen konkurrieren.
Für die Bundesregierung heißt das: Die Pandemie, die bis vor Kurzem alles dominiert hat, ist zu einem von vielen Bällen geworden, den die Ampelkoalition wie ein Jongleur gleichzeitig in der Luft halten muss. Nur ist dieses Kunststück jetzt gescheitert, der Ball ist entglitten.
Infektionszahlen zurück auf Rekordniveau
Die Infektionszahlen, die zwischenzeitlich gesunken waren, sind zurück auf Rekordniveau, die Zahlen steigen weiter. Eine Million Fälle registrierte das RKI in der vergangenen Woche, ein Plus von 22 Prozent in der Inzidenz. Und auch wenn Omikron milder ist als vorherige Varianten, spiegelt sich diese Entwicklung inzwischen auch bei Hospitalisierungen und auf den Intensivstationen.
Ausgerechnet in dieser Situation verabschiedet die Ampelkoalition eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, die die Verantwortung für die Pandemiebekämpfung praktisch komplett in die Hände der Länder legt – und es denen gleichzeitig schwer macht, selbst grundlegendste Schutzmaßnahmen schnell zu beschließen.
Corona-Politik hätte angepasst werden müssen
Zufrieden ist damit niemand so recht. Nicht die Länder, die sich in seltener Einhelligkeit beschwerten, dass die Vorgaben nicht konkret genug und die Hotspot-Regeln zu umständlich sind. Nicht Grüne und SPD, die sich deutlich mehr Schutzmaßnahmen auch noch in den kommenden Wochen gewünscht hätten. Und nicht einmal die FDP ist so richtig glücklich mit diesem Ergebnis; die Liberalen hätten schließlich am liebsten sichergestellt, dass es gar keine Corona-Regeln mehr gibt.
Als die Ampel ihn vor vier Wochen einschlug, war der Kurs in Richtung Lockerungen richtig. Doch seitdem hätte die Lage neu bewertet, die Corona-Politik an die erneut steigenden Zahlen angepasst werden müssen. Will der Bund die Pandemiebekämpfung schon nicht mehr zentral steuern, hätte er zumindest den Ländern die Chance lassen sollen, zügig zu reagieren. Wie hart das Virus Verzögerungen bestraft, war in den vergangenen zwei Jahren oft genug zu sehen.
Bund schiebt Verantwortung zu den Ländern
Ein Nachsteuern in der Corona-Politik zu erklären wäre möglich gewesen. Doch es hätte Zeit gebraucht, politisches Kapital und Kraft, die die Ampel offenbar nicht mehr hat. Absorbiert von der Ukraine-Krise haben SPD und Grüne den koalitionsinternen Streit für das, was sie für richtig halten, vermieden. Und die FDP hat nicht den Mut aufgebracht, die eigenen Gewissheiten zu hinterfragen.
Stattdessen schiebt der Bund die Verantwortung von sich weg hin zu den Ländern – und vor allem zu den Bürgerinnen und Bürgern. Wer vorsichtig ist und die Möglichkeit hat, wird auch in Zukunft versuchen sich zu schützen. Andere werden die weitgehende Abwesenheit von Maßnahmen als Signal verstehen, dass die Pandemie jetzt vorbei ist. Und wer zu einer Risikogruppe gehört und auf den Schutz durch die anderen angewiesen ist, muss in Zukunft wieder vor jedem Gang in den Supermarkt eine genaue Risikoanalyse aufstellen. Was sie selbst nicht tragen konnten, haben die Ampel-Parteien so auf die Schultern jedes Einzelnen gelegt.