Hamburg. Warum es ein Fehler ist, ausgerechnet jetzt bei den niedergelassenen Ärzten sparen zu wollen.
Gut gebrüllt, Ärzte: Dieser Protest gegen die Sparpläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) wird nicht einfach verhallen. Auch wenn sich die niedergelassenen Mediziner und die Krankenkassen wie gewohnt im Rhetorik-Duell um niederträchtige Sprüche bei der Umverteilung der Milliarden nichts schenken, ist diesmal einiges anders.
Fangen wir mit dem Detail an, das so exemplarisch steht für das Chaos, das der rheinische Corona-Prophet auf dem Berliner Ministersessel da angerichtet hat. Es geht um die Neupatienten-Regel. Wer als Arzt neue „Kunden“ in die Praxis lässt und dafür höheren Aufwand betreibt, soll genau das erstattet bekommen. Dadurch werden Wartelisten für gesetzlich Versicherte abgebaut und die „Leistungserbringer“ für das bezahlt, was sie machen.
Ärzte in Hamburg: Warum man bald wieder auf Termine länger wartet
Ach, das werden sie sonst nicht, werden sich einige verwundert fragen. Nein, das Budget ist gedeckelt. Was Ärzte in der Praxis verdienen, erfahren sie viele Monate später. Es liegt in der gesetzlichen Krankenversicherung nach verschiedenen Schätzungen bei 80 Prozent dessen, was sie eigentlich erarbeitet haben. Und diese Neupatienten-Regel im Terminservicegesetz, von Lauterbach mit reichlich Selbstlob unterstützt, will er wieder kassieren.
Er sagt, das prognostizierte 17-Milliarden-Defizit der Krankenkassen im Jahr 2023 müsse von allen ausgeglichen werden. Theoretisch ist das ein sinnvoller Ansatz. Doch bei den niedergelassenen Ärzten jetzt zu sparen, da sie die Inflationswucht voll spüren und die Corona-Belastungen noch nicht überwunden haben, sie unter keinem Rettungsschirm standen, als die Einnahmen wegbrachen, ihre Medizinischen Fachangestellten keinen Pflege-Bonus bekamen – da ist Lauterbachs Salto rückwärts weit unter seinen intellektuellen Möglichkeiten.
Chef der Techniker Krankenkasse wettert gegen Lauterbach
Er sollte zudem gewarnt sein, weil Techniker-Chef Jens Baas ihm mit Recht vorhält, den Geist des eigenen Ampel-Koalitionsvertrages zu verraten. Darin ist viel von Nachhaltigkeit die Rede. Beim Griff zu den Milliarden verfällt Lauterbach in die Muster seiner aktionistischen Vorgänger Hermann Gröhe und Jens Spahn (beide CDU). Die Zeche müssen vor allem die Beitragszahler zahlen, die als Arbeitgeber und Arbeitnehmer mit ihren Bruttobeträgen von Lohn und Gehalt ein Reservepolster angelegt haben. Da geht Lauterbach jetzt ran und vergisst, dass im Koalitionsvertrag steht, dass zum Beispiel die Ausgaben für Hartz-IV-Bezieher ausgeglichen werden, dass der Bundeszuschuss aus dem großen Steuertopf steigen sollte.
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Das wäre einer alternden Gesellschaft angemessen, die auf mehr Behandlungen und mehr Medikamente angewiesen ist. Vorbild Rentenversicherung: Hier gibt es seit Jahren einen Nachhaltigkeitsfaktor, der das Verhältnis von Einzahlern und Rentenempfängern im Blick hat. Über die Milliardenschleudern wie Gesundheitskarte und staatlich verfügte Telematik muss man schon kein Wort verlieren.
Wie so oft sind es die Hamburger Ärztinnen und Ärzte, die Berlin Dampf machen. Schon heute sind einige Hamburger Quartiere vom Mangel an Haus- und Kinderärzten schlimmer betroffen als andere. Da müssen die Zulassungsregeln für Arztsitze flexibler werden. Junge Mediziner brauchen Anreize für eine Praxiseröffnung, nicht einen Mühlstein um den Hals. Sie können verhindern helfen, dass sich Krankheiten bei ihren Patienten chronisch auswachsen, dass sie eine (noch kostspieligere) Krankenhausbehandlung brauchen – und dass sich allerorten Praxisketten breitmachen. Die schauen zuerst auf die Rendite und dann auf den Kranken.