Lübeck/Grönwohld. Ein 21-Jähriger soll einen Bekannten auf einem Spielplatz erstochen haben. Prozessauftakt vor Lübecker Landgericht.
„Du dreckiger Mörder“, platzt es aus Amir C. (Name geändert) heraus und Wut und Verzweiflung klingen in seiner Stimme mit. Es ist der Moment, in dem der 30-Jährige erstmals dem Mann gegenübersitzt, dem die Staatsanwaltschaft vorwirft, seinen jüngeren Bruder Mohamed (22) getötet zu haben. In Handschellen wird Nick G. in den Verhandlungssaal des Lübecker Landgerichts geführt. Sein Gesicht verdeckt der 21-Jährige mit einem Aktenordner, um es vor den Kameras der wartenden Reporter zu verbergen. Langsam nimmt G. auf der Anklagebank Platz, den Blick auf den Tisch vor sich gerichtet.
Tat ereignete sich am 22. Oktober 2020
Es ist der Auftakt in dem Verfahren um den gewaltsamen Tod Mohamed C.s, dessen Leiche Anwohner am 22. Oktober des vergangenen Jahres auf einem Spielplatz in Grönwohld entdeckt hatten. Die Tat hatte die beschauliche Gemeinde vor den Toren Trittaus mit ihren 1510 Einwohnern bis ins Mark erschüttert. Bekannt ist das idyllische Dorf eigentlich als Handlungsort der komödiantischen NDR-Serie „Neues aus Büttenwarder“.
Opfer verblutete nach 15 Messerstichen
Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass Nick G. Mohamed C. am Abend des 21. Oktober 2020 durch insgesamt 15 Messerstiche getötet hat. Tatwaffe soll ein Schlagring mit einer ausklappbaren Klinge gewesen sein. Beide sollen in Grönwohld gelebt, sich gekannt haben. „Angeklagter und Opfer standen Ermittlungserkenntnissen zufolge über gemeinsame Betäubungsmittelgeschäfte in Verbindung“, sagt Staatsanwältin Mareike Lindner. An jenem Abend sollen die jungen Männer sich per Chat auf dem Spielplatz verabredet haben.
„Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte zwischen 22 und 22.15 Uhr unvermittelt attackiert und mit Messerstichen im Bereich der Brust, der Schulterblätter und des Schädels tödlich verwundet wurde“, sagt Lindner. Mohamed C. sei kurz darauf verblutet. Die Tatwaffe konnte bis heute nicht gefunden werden. Die Verletzungen des Opfers wiesen jedoch auf einen Schlagring mit Klinge hin.
Im Falle einer Verurteilung drohen fünf bis 15 Jahre Haft
Wenige Tage nach der Tat, am 25. Oktober, hatte die Polizei Nick G. festgenommen, der 21-Jährige sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Totschlag vor. „Der Tatbestand des Mordes liegt nur dann vor, wenn das Opfer nachweislich arg- und wehrlos war und das Merkmal der Heimtücke gegeben ist“, sagt Lindner. In diesem Fall hätten die Ermittler dies nicht zweifelsfrei nachweisen können, nicht ausschließen können, dass es vor den tödlichen Messerstichen eine gewaltsame Auseinandersetzung zwischen den Männern gab. Im Falle einer Verurteilung drohen G. fünf bis 15 Jahre Haft.
Anwalt verliest Erklärung des Angeklagten
Der Angeklagte schweigt vor Gericht zu dem Tatvorwurf. Über seinen Anwalt Eric Goldbach lässt er eine Erklärung verlesen, in der er den tödlichen Angriff bestreitet. Darin spricht G. der Familie des Getöteten sein „aufrichtiges Beileid“ aus. Sie hätten sich häufig am späten Abend auf dem Spielplatz getroffen, heißt es in dem Text. Weitere Details nennt der 21-Jährige dazu nicht. Er weist lediglich daraufhin, dass er aus zeitlichen Gründen nicht als Angreifer Mohamed C.s infrage komme.
„Laut Ermittlungen erfolgte die Tat gegen 22.15 Uhr, ich war aber bereits um 22.18 Uhr wieder zu Hause in meiner Wohnung“, heißt es. Dies belege die Auswertung seines WLAN-Routers. Mit diesem habe sich sein Handy exakt um 22.18 Uhr wieder verbunden. „Untersuchungen haben aber ergeben, dass ich von dem Spielplatz auf schnellstem Wege elf Minuten nach Hause benötige“, schreibt G. Nachfragen des Gerichts lässt der Anwalt des 21-Jährigen nicht zu. Mehrere Anwohner berichten vor Gericht von Schreien, die sie an jenem Abend von dem Spielplatz gehört haben wollen. „Es war gegen Viertel nach Zehn, da habe ich jemanden rufen hören“, sagt eine 43-Jährige. Ihr Garten grenze unmittelbar an dem Spielplatz. „Es klang nicht nach einem Kind.“
Nachbarn hörten Schreie auf dem Spielplatz
Sie und ihr Mann seien in den Garten gegangen. „Aber da war es still und wir konnten niemanden sehen“, so die Grönwohlderin. Heute mache sie sich furchtbare Vorwürfe. „Warum bin ich nicht zum Spielplatz gegangen und habe nachgesehen?“, sagt sie.
Im Anschluss befragt das Gericht gemeinsame Bekannte von Täter und Opfer. Ihre Aussagen geben tiefe Einblicke in die Abgründe der Trittauer Drogenszene. „Jeder im Dorf wusste, dass die beiden gedealt haben“, sagt ein 27 Jahre alter Freund von Mohamed C. Gehandelt worden sei vor allem mit Marihuana, aber auch mit Kokain. Der Spielplatz im Zentrum der Gemeinde sei als Handelsplatz für Drogen bekannt gewesen. „Ich habe selbst hin und wieder Cannabis bei Mohamed gekauft“, gibt der 27-Jährige zu.
Zeuge: „Jeder im Dorf wusste, dass die beiden gedealt haben“
„Mir kam es immer so vor, als wäre Mohamed der Verkäufer und Nick so etwas wie sein Beschützer“, erzählt der 27-Jährige. Viele Leute hätten Schulden bei Mohamed C. gehabt, ein guter Bekannter habe dem 22-Jährigen mehr als 10.000 Euro geschuldet. „Wenn jemand nicht bezahlt hat, war er sein Laptop oder sein Handy los“, erinnert sich der Grönwohlder. Mohamed C. habe ihm auch einmal erzählt, dass er bei Kunden einbreche und Wertsachen „konfisziere“, wenn diese nicht bezahlten.
Die Familie des Opfers tritt in dem Prozess als Nebenkläger auf
Die beiden Männer sollen mit erheblichen Mengen Drogen gehandelt haben. „Ich habe hin und wieder Stoff für die beiden in meiner Wohnung versteckt“, sagt ein 39-Jähriger. „Meist waren es zwischen einem und 1,5 Kilogramm Cannabis.“ C.s Bruder bestreitet vor Gericht, dass der 22-Jährige zum Zeitpunkt seines Todes in Drogengeschäfte verwickelt gewesen sei. „Er hat mal gedealt, aber als es im April 2018 eine Hausdurchsuchung bei uns gab, hat er aufgehört“, beteuert der 30-Jährige. „Mein Bruder war liebevoll und fürsorglich und er wollte unsere Eltern nicht enttäuschen.“ Zuletzt habe sich C. auf sein Studium der Elektrotechnik konzentriert. Die Familie des Opfers tritt in dem Prozess als Nebenkläger auf.
Zuletzt sagt die Ex-Freundin des Angeklagten aus. Zum Tatzeitpunkt waren die 18 Jahre alte Schülerin aus Trittau und Nick G. ein Paar. „Wir waren drei Monate zusammen, nach Nicks Verhaftung habe ich Schluss gemacht“, sagt die junge Frau. Sie habe von dessen Drogengeschäften gewusst, habe ihren Freund wiederholt gebeten, damit Schluss zu machen. „An dem 21. Oktober hatte er versprochen, es sei das letzte Mal, er müsse nur einmal noch jemanden treffen, dann hätte sich die Sache erledigt“, sagt die 18-Jährige. Es sei um Schulden gegangen, die jemand bei Nick G. gehabt habe.
Verhandlung wird am 3. Mai fortgesetzt
Die Auswertung des Handys des Angeklagten hatte laut Staatsanwaltschaft ergeben, dass Nick G. wenige Minuten vor und nach der Tat mit seiner Freundin telefoniert hatte. Worum es in den Gesprächen ging, wollte die Trittauerin nicht mehr erinnern. „Nick wirkte normal.“ In seinem Zimmer habe sie jedoch den Schlagring mit der Klinge gesehen, außerdem weitere Waffen, darunter ein Messer, eine Machete, eine Schreckschusspistole und ein Luftgewehr. Das Verfahren soll am kommenden Montag, 3. Mai, fortgesetzt werden. Insgesamt hat das Gericht sechs Verhandlungstage anberaumt und 21 Zeugen sowie zwei Sachverständige geladen. Das Urteil soll frühestens Ende Mai fallen.