Die bestürzenden Gewaltexzesse während des G20-Gipfels haben die Glaubwürdigkeit des Bürgermeisters schwer beschädigt.

Die unfassbaren Gewaltexzesse während des G20-Gipfels haben das Lebens- und Sicherheitsgefühl in Hamburg einschneidend verändert. Den Menschen, die hier wohnen und denen ihre Stadt am Herzen liegt, werden die Bilder marodierender und brandschatzender Vermummter in Altona und anderswo, werden auch die Stunden der lebensbedrohlichen Anarchie im Schanzenviertel nicht aus dem Kopf gehen.

Es wäre zu kurz gegriffen, ja billig, die Fehler jetzt ausschließlich bei der Polizei zu suchen. Ja, dieser Großeinsatz mit bis zu 20.000 Beamten muss im Detail aufgearbeitet werden. Dabei werden auch Fehler zutage treten. Wie kam es zu den großen Lücken in der Überwachung, die es den Straftätern ermöglichte, am frühen Freitagmorgen Autos in Serie anzuzünden? Und musste es wirklich zwei, drei Stunden dauern, bis die Polizei im Schanzenviertel den von einem entfesselten Mob bedrohten Anwohnern zur Hilfe kam? Erste Antworten kennen wir, aber es wird um sehr präzise Einzelheiten gehen müssen. Dass es Fehler gab, kann bei einer derart komplexen und vor allem dynamischen Einsatzlage gar nicht anders sein. Dabei bleibt stets zu bedenken: Die Polizei hat Schlimmeres verhindert.

Richtig ist auch, dass alle Kräfte des linken politischen Spektrums – die Partei die Linke allen voran – aus den furchtbaren Ereignissen jetzt endlich die Konsequenz ziehen müssen, sich klar und unmissverständlich von den Gewalttätern zu distanzieren. Dass das nicht vor dem Gipfel geschehen ist, ist beschämend. Kein Polizist drängt einen Straftäter dazu, ein Auto anzuzünden. Die bestürzenden Ereignisse hätten wenigstens ein Gutes, wenn diese Einigkeit unter den Demokraten endlich hergestellt würde.

Vertrauen ist verloren gegangen

Tatsächlich sind aber darüber hinaus in erster Linie die politisch Verantwortlichen gefordert, und damit kommt vor allen anderen der Erste Bürgermeister ins Spiel. In den Tagen des G20-Gipfels ist Vertrauen verloren gegangen, Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik und nicht zuletzt in den Bürgermeister. Olaf Scholz’ politisches Kapital beruht in Hamburg nicht zuletzt darauf, dass sehr viele Menschen ihm zutrauten, Probleme im Griff zu haben und für das Funktionieren des Gemeinwesens zu sorgen. Scholz prägte dafür den Begriff des „ordentlichen Regierens“. Genau dieses Kapital der persönlichen Glaubwürdigkeit hat nun schweren Schaden genommen.

Scholz hat den G20-Gipfel im Alleingang nach Hamburg geholt. Konkreter: Er hat der Bitte von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entsprochen, ehe er auch nur ein Wort mit seinen Parteifreunden darüber gesprochen hatte, geschweige denn mit dem grünen Koalitionspartner. Eine offene Diskussion darüber, ob es sinnvoll ist, ein Mammutereignis wie das Treffen der Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer mitten in der Stadt und noch dazu in direkter Nachbarschaft zum „linken“ Schanzenviertel abzuhalten, wurde nicht geführt. Das war Basta-Politik von Scholz, und die ist schiefgegangen.

Scholz wird sich zu Fehlern bekennen müssen

Was ist jetzt zu tun? Scholz wird eigene Fehler klar benennen müssen. Aus der zeitlichen Distanz wird auch er erkennen müssen, dass der G20-Gipfel in dieser Dimension, mit diesem Sicherheitsaufwand mitten in einer dicht bebauten Stadt schlicht Wahnsinn ist. So nachvollziehbar der Anspruch ist, solche Treffen in demokratischen Staaten und weltoffenen Städten wie Hamburg abzuhalten, der Preis ist zu hoch. Der Bürgermeister hat vor dem Gipfel eine Sicherheitsgarantie für die Hamburger und die Gäste abgegeben, die er nicht eingelöst hat. Dazu, dass das so war, hat er sich im Abendblatt-Interview bereits bekannt. Es passte aber nicht zusammen, wenn der Bürgermeister im Vorfeld den Eindruck erweckte, es werde schon alles nicht so schlimm werden, während die Polizei ein Horrorszenario nach dem anderen entwarf – zu Recht, wie wir nun wissen.

Zu dem Eingeständnis eigener Fehler muss etwas Zweites hinzukommen, das mindestens so wichtig ist: Scholz muss glaubhaft Verständnis und Anteilnahme für die Menschen zeigen, die Opfer des Gewaltexzesses des Schwarzen Blocks geworden sind. Der Bürgermeister hätte früher und nicht erst am Sonntag die Bewohner des Schanzenviertels und in Altona besuchen müssen. Er hätte zwei, drei Stunden den Gipfel Gipfel sein lassen müssen, um sich den bedrängten Bürgern dieser Stadt zuzuwenden.

Scholz ist nicht der Politiker, der öffentlich Gefühle zeigt. Aber es gibt Situationen, in denen es wichtig ist, den Menschen zu sagen: Ich stehe an eurer Seite. Man nennt das auch Empathie.

Das Gleiche gilt im Prinzip für die gesamte Bevölkerung, von denen die meisten einfach fassungslos und wütend darüber sind, was sich in ihrer Stadt abgespielt hat. Scholz muss sich dieser offenen Debatte im direkten Gespräch stellen – das sind erste Schritte, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Um nicht missverstanden zu werden: Es geht nicht allein um das Vertrauen zu einem einzelnen Politiker, es geht auch um Vertrauen in die politischen Institutionen.

Bürgermeister muss jetzt Haltung zeigen

Scholz ist ein erfahrener, gerade auch ein krisenerfahrener Politiker. Er musste als SPD-Generalsekretär einst die in seiner Partei extrem ungeliebte Agenda-2010-Reform des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD) verteidigen und tat dies beinhart. Er hat als Bürgermeister die Volksentscheide zum Rückkauf der Energienetze und zu Olympia verloren, wenn auch knapp. Die Herausforderung, vor der Olaf Scholz steht, hat allerdings eine andere Dimension.

Es gehört zu Scholz’ Kernüberzeugungen, dass Wähler keine Schwäche bei Politikern akzeptieren. Sich zu Fehlern zu bekennen, muss aber keine Schwäche sein. Scholz spricht von der „schwersten Stunde“ seiner Amtszeit. Das dürfte stimmen. Deswegen muss der Bürgermeister jetzt Haltung zeigen.