Hamburg. Wissenschaftler fordern ein interdisziplinäres Institut für Pandemieforschung, das sich auch mit gesellschaftlichen Folgen beschäftigt.

Erschöpft von der gegenwärtigen Pandemie und ihren Folgen mag man es nicht gern hören, aber die Gefahr muss klar benannt werden: die nächste Pandemie kommt bestimmt! Und auch lokale Ausbrüche und regionale Epidemien, mit bekannten und mit neuen Infektionserregern, werden uns immer wieder vor neue große Herausforderungen stellen. So hatte Norddeutschland vor gerade erst 10 Jahren dramatisch mit EHEC zu kämpfen.

Und noch eine unangenehme Wahrheit muss ausgesprochen werden: SARS-CoV-2, so tödlich dieses Virus sein kann, stellt im Vergleich zu anderen potentiellen Erregern eine eher geringe Gefahr dar. Was würden wir machen, wenn ein Erreger vor allem jüngere Menschen schwer erkranken lassen würde, wenn die Mortalität, wie bei Ebola, zweistellig wäre, wenn die Übertragungswahrscheinlichkeit ein Vielfaches wäre?

Die Wahrscheinlichkeit neuer Pandemien steigt

All das muss nicht passieren, aber kann passieren, und die Wahrscheinlichkeit neuer Pandemien steigt in unserer immer dichter bevölkerten, verstädterten, immer mehr zusammenwachsenden und immer mobileren Welt sicher weiter an. Wie können wir uns darauf vorbereiten, was fehlt? Wissen! Die Wissenschaft bietet bereits viele Erkenntnisse an, aber es bedarf einer ständigen Weiterentwicklung des Wissens in allen betroffenen Disziplinen. Hierum müssen wir uns systematisch und intensiv kümmern.

Wissen schützt. In der jetzigen Pandemie haben wir aber auch schmerzhaft erfahren müssen, wie sehr uns Wissen fehlte. Wie trotz rasanter Fortschritte in der virologischen Diagnostik und der Impfstoffentwicklung wir gleichzeitig massive Wissenslücken hinsichtlich der epidemiologischen Ausbreitung und geeigneter Gegenmaßnahmen, ihrer Wirksamkeit und Risiken sowie der geeigneten Form der Kommunikation und Schadensbegrenzung wahrnehmen mussten.

Alle Bereiche der Gesellschaft müssen bedacht werden

Neben biologischem und medizinischem Forschungsbedarf brauchen wir unbedingt das Wissen über gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen, über ethische und juristische Fragen – alle Bereiche der Gesellschaft sind in einer Pandemie betroffen, und alle Bereiche müssen bedacht werden, wenn wir erfolgreich Pandemien bestehen wollen.

Deshalb brauchen wir in Deutschland ein interdisziplinäres Institut für Pandemieforschung, eine unabhängige Einrichtung, die sich mit der Bedrohung durch Infektionsausbrüche und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen, vor allem aber mit möglichen Gegenstrategien, deren Umsetzbarkeit, aber auch deren komplexen Nebenwirkungen und Risiken auseinandersetzt. Themengebiete, die in einem solchen Institut für Pandemieforschung bearbeitet werden müssen, sind insbesondere Epidemiologie und Public Health, Psychologie, Ethik, Rechtswissenschaften und Ökonomie.

Lücke bleibt bei nicht-biologischen Wissenschaften

Selbstverständlich braucht unser Land auch intensivere Bemühungen um die Erforschung von Infektionserregern, ihrer Biologie, Diagnostik und Therapie bis hin zur diesmal so erfreulich erfolgreichen Impfstoffentwicklung.

Hier gibt es schon verschiedene sehr gute Ansätze, und Bayern, mal wieder schneller, hat zusammen mit dem Bund je 40 Millionen Euro bereitgestellt, um in der Nähe von München mit der Fraunhofer-Gesellschaft, der Ludwig-Maximilians Universität München und in Kooperation mit Roche ein solches Institut aufzubauen. Die Lücke bleibt bei den nicht-biologischen Wissenschaften, deren Expertise wir genauso brauchen werden.

Hamburg wäre der richtige Standort für ein solches Institut

Über 150 Milliarden Euro hat der Bund bisher in der Pandemie für Rettungspakete aufgewendet, um die 1320 Milliarden Euro kostet uns nach aktuellen Schätzungen die Corona-Pandemie insgesamt, und da sind manche Folgekosten noch nicht eingepreist. Wäre es uns durch bessere wissenschaftliche Vorbereitung gelungen, auch nur um 1 Prozent effektiver dieser Pandemie und ihren Folgen entgegen zu treten, wir hätten genügend Geld gespart, um ein solches Forschungsinstitut für 100 Jahre zu finanzieren!

Können wir es uns leisten, diese Investition in die Zukunft jetzt nicht vorzunehmen?

Hamburg wäre der richtige Standort, und jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, ein solches autonomes interdisziplinäres Institut für Pandemieforschung auf den Weg zu bringen. Hamburg, das Tor zur Welt. Über Tore zur Welt können nicht nur Waren und Touristen kommen, hierüber kommen auch neue Erreger herein – über dieses Tor sollte auch neues, überlebenswichtiges Wissen hinausgehen in das Land und in die Welt.

Prof. Dr. Prof. E. h. Edwin J. Kreuzer, Präsident der Akademie der Wissenschaften in Hamburg

und

Prof. Dr. Ansgar W. Lohse, Sprecher der AG Infektionsforschung und Gesellschaft der Akademie der Wissenschaften in Hamburg