Thomas Piehler, Vizepräsident Nordmetall, sorgt sich um Hamburgs Zukunft und fordert eine neue Ansiedlungspolitik.
Kein Zweifel: Wir von Philips fühlen uns sehr wohl in Hamburg. Auch weil wechselnde Senate seit Jahrzehnten einen engen Austausch mit uns pflegen. So geht es vielen der 173 Unternehmen mit ihren fast 70.000 Mitarbeitern, die die Arbeitgeberverbände Nordmetall und AGV Nord in Hamburg versammeln.
Der Industriestandort Hamburg, in dem insgesamt mehr als 100.000 Menschen Lohn und Brot finden, ist stark, besonders in den Bereichen Luftfahrt, Schiff- oder Maschinenbau und Medizintechnik. Diese Stärke muss allerdings immer wieder erkämpft werden, erst recht in international höchst unsicheren Zeiten. Schon der coronabedingte Einbruch des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland vom Jahr 2020 wirkte in Hamburg im ersten Halbjahr 2021 noch mit preisbereinigten -0,4 Prozent nach, mehr als in jedem anderen Bundesland.
Hamburgs Wirtschaftssenator setzt auf Wasserstoff
Besonders der Fahrzeugbau und die Maschineninstallation waren Sorgenkinder, wohingegen der klassische Maschinenbau sich erholte. Die Stadt gewann 2020 zwar 20 Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes für sich, 47 aber zogen fort. Was also müssen wir tun, um den starken Industriestandort langfristig zu sichern? Zum einen sollten wir die ansässige Industrie bei der großen Herausforderung der Transformation unterstützen. Dekarbonisierung, Digitalisierung und der demografische Wandel verlangen nach nachhaltigen Techniken, nach Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter, in Offenheit für neue Ideen. Wir gehen hier mutig voran, kaum ein Unternehmen, das nicht neue Materialien und Kraftstoffe erforscht, die Mitarbeiter mehr denn je schult, mit künstlicher Intelligenz und flexiblen Arbeitsbedingungen arbeitet.
Auch Hamburgs Wirtschaftssenator engagiert sich stark, setzt auf Wasserstoff und synthetische Kraftstoffe, plädiert für weiteren Infrastrukturausbau. Schon Ende 2019 hat die Stadt ein „Bündnis für die Industrie der Zukunft“ geschlossen, ein Industriekoordinator wacht seitdem über die Zusammenarbeit; Genehmigungsverfahren sollen schneller laufen. Zum anderen kann die Ansiedlungspolitik an der Elbe noch mehr Fahrt aufnehmen, wie die Abwanderungsbilanz von 2020 zeigt.
Die naturgemäß schwierige Ausweisung von Flächen für Gewerbe und Industrie im begrenzten Stadtstaat sollte uns nicht in unserem Werben um neue Unternehmen limitieren. Schließlich warten Teile des mehr als 7000 Hektar großen Hafens auf Umwidmung und Neubesiedlung, ähnlich sieht es im 770 Hektar großen Industriegebiet Billbrook/Rothenburgsort aus. Auf diesen Flächen kann neue Wertschöpfung entstehen, die es ansässigen und Neu-Hamburgern erlaubt, in der Stadt zu leben.
Die City braucht einen Verkehrs-Generalplan
Dafür braucht Hamburg mehr Mobilität. Der engagierte Ausbau des Radwegesystems kann ein Baustein sein, braucht aber massive Ergänzung: Der öffentliche Nahverkehr muss vor allem an den Rändern Hamburgs und Landesgrenzen-überschreitend gestärkt werden. Die City braucht einen Verkehrs-Generalplan, mehr Engagement für industriefreundliche Mobilität inklusive raschen Baus der A 26-Ost durch den Hafen und eine Erneuerung der Köhlbrandquerung.
Die Politik sollte mit der Industrie gemeinsam noch stärker für die Erkenntnis werben, dass wir die Zukunft gestalten: mit immer mehr sauberen Antrieben zu Lande, zu Wasser und in der Luft, mit energiesparenden Maschinen, mit modernster Medizintechnik für ein langes, gesundes Leben, mit immer nachhaltigerer Produktion. Ein Blick in unsere Werkshallen, von Airbus über Nexperia bis zu Jungheinrich, beweist: Schmutzige Industrie ist Geschichte.
Hamburg sollte auch auf der internationalen Industrie-Landkarte wieder stärker aufleuchten. Erst recht vor dem Hintergrund der Kriegsfolgen ist eine rasche Modernisierung des Hafens bei sinkenden Gebühren ebenso geboten wie ein erneuertes weltweites Werben Ham-burger Spitzenpolitiker für den Standort.
Eigentlich ist es ganz einfach: Wir fühlen uns wohl in Hamburg. Wenn man Arbeitsplätze erhalten, den Wohlstand der Bürgerinnen und Bürger mehren und die Prosperität des Gemeinwesens steigern will, sollten dies mehr Industrieunternehmen tun können. Dafür braucht es entschlossenes Handeln der Politik – zum Beispiel durch Hamburgs Bürgermeister, wenn er im Herbst für ein Jahr Präsident des Bundesrates wird.