Hamburg. Der FC St. Pauli steigt auf, der HSV bleibt zweitklassig – ein realistisches Szenario. Der Leitartikel von Alexander Laux.

Fußball-Wunder gab es immer wieder beim FC St. Pauli. Wie vor über 20 Jahren, als der Club in der Saison 1999/2000 am letzten Spieltag in der letzten Minute durch ein Tor von Marcus Marin den Klassenerhalt in der Zweiten Liga sicherte und ein Jahr später mit dem kleinsten Etat der Liga sensationell den Aufstieg ins Oberhaus feierte. Nach einem 6:3-Sieg am ersten Spieltag in Ahlen erfasste die Mannschaft eine Dynamik, die sie in die Bundesliga trieb.

Der HSV schwebte in jener Zeit in anderen Fußballsphären und labte sich an seinem wohl besten nicht gewonnenen Spiel in der Neuzeit: dem 4:4 in der Champions League gegen Juventus Turin. Und wirklich gefährlich werden konnte der FC St. Pauli dem Lokalrivalen sowieso nicht – nach nur einer Saison verabschiedete sich die Millerntor-Elf sofort wieder aus der Bundesliga.

Albtraum der HSV-Fans könnte wahr werden

Längst vergangene Zeiten. Heute kündigt sich in Hamburg eine sportliche Wachablösung an, die bei HSV-Fans die schlimmsten Albträume nährt: Während ihr Club im Mittelmaß der Zweiten Liga zu versinken droht, könnte St. Pauli den Aufzug in eine Etage höher nehmen.

Ähnlich wie die Aufsteiger von 2001 reitet das aktuelle Team von Timo Schultz auf einer bemerkenswerten Erfolgswelle, in der alles so einfach und selbstverständlich wirkt. Das war es aber auch schon mit den Ähnlichkeiten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der FC St. Pauli in den Toprängen halten kann, ist groß, alles andere als ein Zufall und schon gar kein Wunder, sondern hat sich in den vergangenen Monaten angekündigt. Nicht nur die Saisontabelle, auch die Jahrestabelle 2021 führt der Verein mit stolzen 61 Punkten aus 32 Partien an.

Präsidium von St. Pauli blieb geduldig

Mutig-offensiven Fußball spielen zu lassen, so könnte man das Konzept beider Clubs in Kurzform zusammenfassen. Doch der FC St. Pauli setzt diese Zielsetzung weitaus besser um, vor allem, weil Präsidium und Management Widerständen getrotzt haben. In den schweren erfolglosen Monaten der Vorsaison wurden die Funktionäre nicht nervös, folgten nicht dem üblichen Impuls, den gerade erst verpflichteten Trainer auszutauschen. Und sie tätigten die richtigen Transfers, verstärkten das Team klug bei der Umsetzung der Spielidee.

Auch wenn das bitter für HSV-Anhänger klingen mag: Dieser Weg sollte ihrem Verein als Vorbild dienen. Denn dem HSV ist es in der Vergangenheit nie gelungen, in Phasen des Misserfolgs die Ruhe zu bewahren, der Club hat ständig das Personal getauscht und hinkt deshalb im Vergleich zu St. Pauli derzeit einige Entwicklungsschritte hinterher. Der Weg, junge Talente einzubauen und sie zu fördern, ist zwar der einzig richtige und kann perspektivisch nach oben führen. Und doch ist der finanzielle Aufwand weiter viel zu hoch, um sich mit Mittelmaß zufriedengeben zu können.

Aufstieg von St. Pauli ist keine Utopie mehr

Sollte es HSV-Trainer Tim Walter in der Zukunft nicht gelingen, mehr Spiele zu gewinnen und in Reichweite zu den oberen Rängen zu bleiben, dürfte auch ihn bald das Schicksal seiner Vorgänger ereilen. Die Dynamik des Misserfolgs zu durchbrechen, bleibt für alle HSV-Verantwortlichen die wichtigste und zugleich schwierigste Aufgabe.

Schwacher Trost für die HSV-Gemeinde: Von einer kompletten Wachablösung ist St. Pauli weit entfernt. Wie nachhaltig der sportliche Aufschwung ist, muss sich erst zeigen. Aufgrund seiner Geschichte, den finanziellen Möglichkeiten und seiner riesigen Anhängerschaft bleibt der HSV (noch) die Nummer eins der Stadt. Das Szenario, dass irgendwann einmal der FC St. Pauli in der Champions League gegen Juve kickt und der HSV im Abstiegskampf der Zweiten Liga steckt, sollte man dennoch nicht als Utopie abtun. Man denke nur an die stetige Entwicklung des SC Freiburg.