Bargteheide. Die Idee für das Projekt kam den Verantwortlichen während des ersten Lockdowns. Damals musste die Tafel schließen.

Es duftet nach Kartoffelsuppe, Reis mit Gemüse oder Eintopf: Seit einem Jahr gibt es vor der Villa Wacker, An den Stücken 49, das Projekt „Soul Kitchen“ der Bargteheider Straßensozialarbeiter. Es geht dabei um viel mehr als eine warme Mahlzeit und kostenlose Lebensmittel, nämlich um Begegnung und Gespräche, die gerade während der Pandemie rar geworden sind.

Jeden Dienstag führt der Weg von Fabian Josten, Straßensozialarbeiter der Tohus gGmbH, und seiner Kollegin Maike Beecken zuallererst zu zwei Bargteheider Supermärkten, die kostenlos Ware vom Vortag zurückgelegt haben. Beladen mit gefüllten Kisten geht es dann zur Villa Wacker, wo Kochen auf dem Plan steht. „Wir überlegen uns immer zusammen, was wir aus den verschiedenen Zutaten zaubern können“, so Josten. „Klar ist, dass die Gerichte vegan sind, damit jeder bei uns essen kann.“

Bedürfnis nach menschlicher Nähe war groß

Die Idee sei ihnen beim ersten Lockdown gekommen, als die Tafel die Tore schließen musste. Doch die Nachfrage war da, wenn nicht sogar größer als zuvor, insbesondere nach menschlicher Nähe und unverbindlichem Kontakt. Ein Bedürfnis, das die Straßensozialarbeiter erkannt und aufgegriffen haben. Seither schlagen sie jeden Dienstag zwei Stunden lang vor der Villa Wacker ihre Zelte auf, natürlich unter Beachtung der geltenden Coronaregeln.

Pünktlich um 15 Uhr ist es dann soweit, die ersten Menschen trudeln ein, unter ihnen Manfred, der in den nächsten Tagen seinen 80. Geburtstag feiert. Er schätzt das Angebot an Bötchen, Obst, Gemüse und die Nähe zu seinem Zuhause, da jeder Gang mit der Zeit mühseliger werde. Seine Frau habe gerade eine schwere Operation hinter sich, erzählt er, als seine Taschen längst voll sind und er dennoch auf ein Gespräch stehenbleibt. Er hofft, dass es ihr bald wieder besser gehe. Auch Ulrich Thiel kommt jede Woche vorbei, nicht nur wegen der leckeren Eintöpfe. „Wir kennen uns schon lange untereinander, seit ich Klient bei Tohus bin“, sagt der 57-Jährige. „Ich helfe auch gerne mit, wenn Not am Mann ist.“ Er habe auch bei der Renovierung der Villa mitgemacht, den Treffpunkt vor Corona gerne zum Billardspielen genutzt. Seit zwei Jahren gibt es diese Möglichkeit nun nicht mehr. „Aber hoffentlich bald wieder“, sagt Thiel. „Das Angebot wurde gut angenommen.“

Jeder soll sich willkommen fühlen

Beliebt ist auch die Essensausgabe der Soul Kitchen. Die Stimmung ist entspannt, aus einem Radio tönt leise Musik. Alle warten höflich, bis sie an der Reihe sind und die Tohus-Mitarbeiter ihnen die Taschen füllen. Angesprochen werden sie persönlich, meist mit Vornahmen. Es ist eine freundschaftliche Atmosphäre, in der man gerne verweilt. Genutzt wird sie von 20 bis 30 Leuten, die immer mal wieder wechseln und das gute Essen loben. „Uns ist es wichtig, dass jeder sich willkommen fühlt“, sagt Josten. „Keiner muss Angst haben, Bedürftigen etwas wegzunehmen. Manche kommen direkt nach der Arbeit vorbei und lassen eine kleine Spende da. Wir sehen uns als keine Konkurrenz zur Tafel, sondern sind für alle da.“

Und das jederzeit, bei jedem Wetter. Innerhalb eines Jahres hätten sie den Stand nur einmal nicht aufgemacht, Verlässlichkeit sei eben besonders wichtig, sogar an Heiligabend und Silvester. Für Josten, der seit zehn Jahren Teil des Teams ist, sei Straßensozialarbeit ein Traumjob. Zuerst habe er sich fünf Stunden mit einem Kollegen geteilt, dann wurden sie aufgestockt. Denn zu tun gebe es immer etwas, der Bedarf sei hoch. Neben der aufsuchenden Arbeit und Beratung im direkten Lebensumfeld seien nun andere Projekte hinzugekommen. Gemeinwesenarbeit nennt der 41-Jährige das, womit auch Präventionsarbeit an den Schulen gemeint ist. Erst im Januar findet die nächste Einheit im Kopernikus-Gymnasium Bargteheide statt, bei der es um Sucht, aber auch psychische Erkrankungen gehe.

Auch in Bargteheide gibt es Parallelwelten

Es mache Spaß, sich zu engagieren, Prozesse mitzugestalten und Menschen in ihrer jeweiligen Lebenssituation zu unterstützen, aber auch politisch zu arbeiten. Denn letztendlich gehe es nicht darum, Klienten in die Gesellschaft zu integrieren, sondern diese für individuelle Bedürfnisse und Andersartigkeit zu öffnen. Belastend seien hingegen bestimmte Notlagen, die schwer auszuhalten seien. Eine emotionale Knochenarbeit, vor allem, wenn sie an den Mühlen von Behörden scheiterten. „Wir haben nachts Temperaturen von minus zwei Grad“, erzählt Maike Beecken (53) aus ihrem Arbeitsalltag. „Wenn jemand auf der Straße schläft und uns die zuständige Behörde mitteilt, dass derjenige doch bei seinen Verwandten unterkommen soll, fühlen wir uns furchtbar machtlos.“

Selbst in einer reichen Stadt wie Bargteheide gebe es Parallelwelten, in der Menschen keine Bleibe hätten. Wenn die Mitarbeiter der Tohus gGmbH als Mittler zwischen Klienten und den Behörden auftritt, seien die Gespräche oft unnötig emotionsgeladen, vor allem bei unbequemen Menschen gingen die Türen erfahrungsgemäß zu. Hilfe suchten bei ihnen auch Leute aus anderen Orten im Kreis, wie zum Beispiel Ahrensburg oder Bad Oldesloe, wo es trotz aller Bemühungen bis heute keine Straßensozialarbeit gebe. Erst anzusetzen, wenn das Elend groß ist, sei jedoch keine Lösung. „Bei Straßensozialarbeit geht es um Prävention“, sagt Josten. „Eine Gesellschaft misst sich eben daran, wie sie mit ihren schwächsten Gliedern verfährt.“

Öffentlicher Kühlschrank soll wieder eröffnet werden

Auch im nächsten Jahr hat das zweiköpfige Team, das sich nach eigenen Angaben super bei der Arbeit ergänzt, viel vor. Die „Gratis-Ess-Bar“, ein öffentlicher Kühlschrank mit kostenlosen Lebensmitteln, soll wieder eröffnet werden. Zurzeit warten die Sozialarbeiter auf den Bau einer kleinen Überdachung, die als Spende angekündigt worden sei. Des Weiteren erhoffen sie sich wieder Möglichkeiten, Treffen trotz anhaltender Pandemie stattfinden zu lassen und aus dem permanenten Krisenmodus herauszukommen. „Ich sehe derzeit die Gefahr, dass durch die Verunsicherung der Gesellschaft der Faschismus wieder an Stärke gewinnt“, sagt Fabian Josten. „Dem müssen wir bildungspolitisch entgegenwirken, interkulturelle Vielfalt stärken und zudem Jugendlichen in Bargteheide einen Raum geben, wo sie sich treffen können.“