Kiel. Der Norden wählt am 8. Mai einen neuen Landtag. Was bringt Wählerinnen und Wähler dazu, eine Partei zu wählen? Eine Analyse.
Im Sport nennt man diese Zeit „die Wochen der Wahrheit“. Oder auch „Crunchtime“ – also die Phase des Spiels oder der Saison, die entscheidend ist für den Ausgang. Jetzt geht’s hier aber nicht um Fußball, sondern um Politik, genauer: um schleswig-holsteinische Landespolitik. Aber auch da ist, keine 20 Tage vor der Landtagswahl, „Crunchtime“. Es sind Wochen der Wahrheit für Amtsinhaber Daniel Günther und die Herausforderer von SPD und Grünen. Thomas Losse-Müller und Monika Heinold wollen den CDU-Politiker ablösen an der Spitze der Landesregierung.
Heutzutage, da sind sich Politikwissenschaftler und Demoskopen einig, sind diese Wochen der Wahrheit nochmals deutlich wichtiger, weil wahlentscheidender, geworden: Nach einer Untersuchung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung lässt die Bindungskraft etablierter Parteien nach.
Landtagswahl: Wochen der Wahrheit für Schleswig-Holstein
Waren es vor einigen Jahren noch mehr als zwei Drittel, die sich als Stammwähler einer Partei nahe fühlten, haben sich die Verhältnisse inzwischen umgekehrt: Jetzt haben rund 75 Prozent der Deutschen keine ausgeprägte Parteienpräferenz mehr oder geben eine zweite oder gar dritte Partei an, die sie wählen könnten.
Die bürgerliche Mitte, also CDU, SPD, Grüne und FDP, die um ähnliche Wähler konkurriert, ohne sich ihrer sicher zu sein, ist breit geworden. Was also zählt? Was bringt Wählerinnen und Wähler am 8. Mai dazu, welche Partei zu wählen? Gibt es eine Wechselstimmung? Hier winken Demoskopen ab. Die Zufriedenheit mit der Jamaika-Koalition ist extrem groß; die Zustimmung zur Arbeit von Daniel Günther gilt bisweilen als „herausragend“; ein Wechselwunsch wie zuletzt im Saarland ist zumindest in den Umfragen nicht abzulesen.
Wechselwunsch ist aus Umfragen nicht abzulesen
Das hat mehrere Gründe. Da wäre zum einen die Pandemie. Die Landesregierung ist geschlossen aufgetreten, es gab keine Profilierung eines Regierungspartners auf Kosten eines anderen. Was Jamaika beschloss, haben Günther, Finanzministerin Heinold und Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) gemeinsam verkündet und umgesetzt – meist solidarisch mitgetragen von der oppositionellen SPD. Nur: Die profitiert davon nicht. Dass die Schleswig-Holsteiner so zufrieden sind mit ihrer Landesregierung, hat auch damit zu tun, dass die das Land gut durch die Pandemie gebracht hat. „Es gibt ein Grundvertrauen in unsere Corona-Politik, und das hilft uns natürlich jetzt auch im Wahlkampf“, sagt denn auch Günther.
Es gibt kaum jemanden, der bereits seit vielen Wochen so aktiv Wahlkampf macht wie Thomas Losse-Müller. Wohnungsbau, kostenlose Kitas, Digitalisierung – es sind die Themen, mit denen seine Hamburger SPD-Freunde Olaf Scholz und Peter Tschentscher die letzten drei Wahlen haushoch gewonnen haben – nur ziehen sie aktuell und im Norden offensichtlich nicht so. An Losse-Müller liegt es sicher nicht. Aber ein Stück weit an Daniel Günther (und seinem Pandemiemanagement) und sicher auch an Putins Krieg in der Ukraine. Der dürfte bei der Wahlentscheidung eine indirekte, emotionale Rolle spielen: Nach Einschätzung von Demoskopen könnte eher der Amtsinhaber profitieren als der Herausforderer – in Krisensituationen sei der Wunsch nach Verlässlichkeit ausgeprägt. Motto: Wir haben jetzt andere Sorgen …
Trend der Umfragen spricht für Günther
Kommen wir zurück zu den entscheidenden Tagen vor der Wahl: Der Trend der Umfragen in diesem Jahr spricht für Günther. Die CDU steigerte sich von Mal zu Mal, die SPD stagnierte, die Grüne sanken zuletzt leicht. Und so orakeln Demoskopen und Parteienforscher, dass es nur einem gelingen könnte, Daniel Günther noch zu schlagen: Daniel Günther. Und zwar durch grobe Fehler in der „Crunchtime“.