Lübeck. Der Angeklagte hatte im April 2018 ein Frau totgefahren. Das Gericht übertraf mit seinem Urteil die Forderung der Staatsanwaltschaft.
Nach mehr als dreieinhalb Jahren steht im Raserprozess gegen Niels K. das Urteil fest. Am Donnerstag verkündete Richterin Katharina Asbeck vor dem Schöffengericht des Lübecker Amtsgerichts das Strafmaß: Der Angeklagte muss wegen fahrlässiger Tötung für drei Jahre ins Gefängnis. Drei Monate gelten wegen der langen Verfahrensdauer bereits als abgegolten.
Niels K. hatte im April 2018 den Smart der 30 Jahre alten Gülhan Abaci auf der Autobahn 1 Richtung Hamburg bei Hamberge mit einer Geschwindigkeit von rund 200 km/h mit seinem BMW gerammt. K. war stark alkoholisiert, hatte etwa 2,2 Promille und keinen gültigen Führerschein. Die Hamburgerin wurde in ihrem Auto eingeklemmt und starb an den Folgen des Unfalls.
Ärztin erinnert sich an die schweren Verletzungen
Am letzten Verhandlungstag wurden noch zwei weitere Zeugen gehört: Lars Kohnen, der den Angeklagten in Sachen Fahrerlaubnis beraten hatte, und Dr. Maria-Lucia Darie, die den Tod von Gülhan Abaci festgestellt hatte. Laut eigener Aussage war Niels K. zum Unfallzeitpunkt nicht bewusst, dass er über keine gültige Fahrerlaubnis verfügte. Er hatte seinen Führerschein, den er in Frankreich gemacht hatte, Jahre vor dem Unfall ebenfalls wegen Alkohols am Steuer verloren, und sich nach Ablauf der Sperrfrist anwaltlich beraten lassen, ob er nun wieder fahren darf. „Der Fall ist juristisch kompliziert“, so Kohnen. „Ich habe mit Sicherheit nicht gesagt, dass er fahren darf, aber auch nicht, dass er es nicht darf.“
Ärztin Dr. Maria-Lucia Darie berichtete von der Nacht, als sie im Universitätsklinikum Lübeck den Tod von Gülhan Abaci feststellte. „Obwohl es mehr als drei Jahre her ist, erinnere ich mich sehr gut.“ Sie habe eine junge Frau mit schwersten Verletzungen angetroffen: Halswirbelfraktur, Beckenfraktur, Verletzungen von Leber und Niere, großer Blutverlust. „Die Verletzungen waren so schwer, dass wir sie nicht retten konnten.“ Die 30-Jährige verblutete innerlich, um 4.06 Uhr stellte Darie den Tod fest.
Verteidigung plädiert für Bewährungsstrafe
Für die Richterin war klar: Diese Tat muss angemessen bestraft werden. Mit dem Urteil übertraf das Gericht sogar die Forderung der Staatsanwaltschaft. Die hatte zwei Jahre und neun Monate Haft gefordert. Die Verteidigung hingegen plädierte für eine Bewährungsstrafe – unter anderem wegen der günstigen Sozialprognose. Niels K. ist nicht vorbestraft. Er hat sich nach dem Unfall in therapeutische Behandlung begeben, einen Entzug gemacht, ist in die Geschäftsleitung des Familienunternehmens eingestiegen. Mit seiner Partnerin lebt er gemeinsam in Barsbüttel. Und: „Sie ist schwanger“, beichtete er am Donnerstag vor Gericht.
Eine Haftstrafe, so Verteidiger Hans-Joachim Gerst, würde das Leben des Angeklagten zutiefst erschüttern. Zudem beklagte Gerst die „Unterkomplexität“ des Verfahrens. Wichtige Fragen seien nicht geklärt worden. Der Smart der Verstorbenen sei nicht untersucht worden, über die Getötete wisse man nichts.
Allein der Angeklagte hat den Tod zu verantworten
Das überzeugte das Gericht aber nicht. Es sah den Vorwurf der fahrlässigen Tötung bestätigt. Die Beweisaufnahme habe gezeigt, dass sich die Tat wie in der Anklageschrift beschrieben zugetragen habe. Weder hatte das Fahrzeug technische Mängel, noch gab es Sichteinschränkungen oder Aquaplaning. Die Rücklichter des Smart waren eingeschaltet, das Fahrzeug gut zu sehen. Es gebe keine Hinweise auf einen überraschenden Spurwechsel des Smart.
Eines machte die Richterin Katharina Asbeck deshalb ganz deutlich: „Es gibt keinerlei Anhaltspunkte für ein Mitverschulden von Frau Abaci. Nur Sie haben den Tod zu verantworten. Frau Abaci hat nichts falsch gemacht. Sie hatte keine Chance.“
Neben der fahrlässigen Tötung wurde Niels K. auch des fahrlässigen Führens eines Fahrzeugs ohne Führerschein schuldig gesprochen. Dass er nicht gewusst haben will, dass er nicht fahren darf, ließ das Gericht nicht gelten.
Angeklagter handelte „extrem rücksichtslos“
Das Strafmaß ergibt sich folgendermaßen: Fahrlässige Tötung wird mit bis zu fünf Jahren Haft oder Geldstrafe geahndet. Als mildernden Umstand sah das Gericht eine verminderte Steuerungsfähigkeit durch den Alkoholkonsum. Für den Angeklagten habe auch gesprochen, dass dieser sich weitgehend geständig zeigte, sich entschuldigt habe, sowie seine günstige Sozialprognose.
Gegen den Angeklagten sprach das hohe Maß der Fahrlässigkeit. „Das war kein Augenblicksversagen, sondern eine vorsätzliche Trunkenheitsfahrt“, so die Richterin. Mit dem hohen Alkoholgehalt und der viel zu hohen Geschwindigkeit habe Niels K. extrem rücksichtslos gehandelt. Erschwerend komme hinzu, dass der Tod eines Familienmitglieds belastend für die Angehörigen sei, die Tat familienzerstörend gewirkt habe. Gülhan Abacis Mutter ist seit dem Unfall arbeitsunfähig, leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Auch Vater und Bruder kämpfen seit dem Unfall mit der Trauer.
Familie erleichtert, dass der Prozess vorbei ist
Deshalb waren sie gestern auch erleichtert, dass nach dreieinhalb Jahren der Prozess endlich vorbei war. Dass er überhaupt so lange gedauert hat, bezeichnete Kazim Abaci, Onkel der Getöteten und Hamburger Bürgerschaftsabgeordneter, der am Donnerstag auch bei Gericht war, als „Justizskandal“. Asbeck räumte ein, dass es zu Verzögerungen gekommen sei, Corona und ihre Erkrankung seien erschwerend hinzugekommen. Trotz allem sind die Angehörigen erleichtert über das Urteil. „Es hat eine Signalwirkung“, sagte Vater Halis Boyraz, der so ein hohes Strafmaß nicht erwartet habe.
Ganz zufrieden könne man nie sein, sagte Kazim Abaci: „Meine Nichte kommt durch das Urteil nicht zurück. Aber jetzt ist ein guter Zeitpunkt, um nach vorne zu schauen.“ Und: „Ich hoffe, dass heute juristisch das letzte Wort gesprochen wurde.“