Hamburg. Die Kulturbranche, wieder mit am härtesten von den Corona-Beschränkungen getroffen, darf selbstbewusster auftreten.
Wie unwirklich sich dieser Satz schon wieder anfühlt: „Man müsste fast sagen: Gehen Sie in die Oper, oder gehen Sie in die Elbphilharmonie – da sind Sie sicherer als zu Hause.“ Dass man in der Kulturszene bis zuletzt gehofft hatte, lag auch an dieser Aussage von Senator Carsten Brosda (SPD). Ein kurzes Aufflackern von Optimismus, bevor es nur einen Tag später dunkel wurde. Erneut.
Denn genützt hat es ja nichts. Auch die Oper und die Elbphilharmonie werden wieder geschlossen, so wie all die anderen Theater, Konzerträume, Kinos. Trotz sorgfältigster, vorbildhafter Hygienekonzepte in Räumen mit leistungsfähiger Belüftung, mit festen Plätzen, auf denen nicht gesprochen und kein Alkohol getrunken wird und aus denen (anders als in anderen Branchen, in denen es schwarze Schafe gegeben hat) keinerlei Infektionsgeschehen bekannt wurde.
Keine Frage: Derart alarmierende Infektionssteigerungen wie zuletzt machen drastische Einschnitte in vielen Bereichen nötig, selbstverständlich geht es darum, Leben zu retten, und bewusst hat die Kanzlerin daran erinnert, dass bei einem Großteil der Infektionen nicht nachvollziehbar sei, woher sie kommen. „Alle sollen zurückstecken außer mir“ – das ist zudem keine Haltung, aus der Empathie oder Solidarität spricht.
Es bleibt trotzdem ein schales Gefühl, das über die allgemeine Ohnmacht hinausgeht. Der Scheinwerfer nämlich scheint vor allem in andere Richtungen zu weisen. Ein Beispiel: Im „ARD Extra“ nach der „Tagesschau“ spielte der neue kulturelle Lockdown am Mitthwochabend keine Nebenrolle – sondern genau gar keine. Interviewt wurden (außer Medizinern und Politikern) ein Apfelweinwirt und ein Hotelier. Nicht zu Unrecht, versteht sich – die Gastronomie ist ebenfalls ein erneut schwer gebeuteltes Gewerbe. Aber: Kein Theaterintendant? Kein Künstler, kein Musiker, kein Konzertveranstalter? Wirklich? Das ist traurig. Und: leider symptomatisch.
Till Brönner: Nicht um Selbstverwirklichung geht es hier, sondern auch „um Geld“
In einem viel beachteten Facebook-Post hat der Trompeter Till Brönner, auch auf Hamburger Konzertbühnen ein regelmäßiger Gast, gerade angenehm sachlich, aber nicht minder eindringlich an seine Branche appelliert: „Ich halte die Zurückhaltung aus unseren eigenen Reihen für fatal, da sie ein falsches Bild der dramatischen Lage zeichnet, in der sich unser Berufsstand derzeit befindet.“ Brönner räumt auch direkt mit einem Missverständnis auf: Nicht um Selbstverwirklichung gehe es hier, sondern auch „um Geld“. Für den einzelnen Künstler, der schon beim letzten Mal keine Reserven hatte, aber eben auch für uns alle: Mit den größten Branchen des Landes kann sich die Kultur- und Kreativwirtschaft mit mehr als 170 Milliarden Gesamtumsatz und rund 1,8 Millionen Erwerbstätigen, nämlich spielend leicht messen. Sie zu unterschätzen ist auch darum unklug. „Wir sind keine Minderheit“, sagt Brönner ganz richtig.
Neue Beschränkungen und Schließungen nicht als „Strafe“ verstehen
Wichtig – auch für die eigene emotionale Gesundheit übrigens – ist bei aller Wut und Verzweiflung dennoch, die neuen alten Beschränkungen und Schließungen nicht als eine „Strafe“ zu verstehen. Der Zorn ist menschlich, hilft nur leider nicht in einem Moment, in der eine Gesellschaft gerade das Miteinander so sehr braucht, auch wenn diese Beschwörung ermüdend ist. Aber: Motivation statt Depression, das passt schon auch zu Brönners Appell, sich nicht klein und unsichtbar zu machen.
Der Pianist Igor Levit, den viele im ersten Lockdown für sich entdeckten, als er unermüdlich Wohnzimmer-Konzerte streamte, setzt auch diesmal auf die Hoffnung – und das ist kein Gegensatz: „Wir sollten unser Innerstes nicht vergiften. Es kommen andere Zeiten. Ganz sicher.“ Bei aller, auch berechtigter Düsternis – es tut auch gut, das zu lesen.