Lübeck/Hamburg. Den Jagdschein machen die unterschiedlichsten Menschen. Vor allem Frauen sind auf dem Vormarsch und legen das „Grüne Abitur“ ab.
Als Jugendliche hat sie das, was sie jetzt am liebsten macht, noch verurteilt. Jagen, das war für sie damals das Treiben von Wildtieren und viele laute Männer. Ihre Haltung hat sich geändert, und gerade hat Louise Hecke aus Lübeck erfolgreich ihren Jagdschein gemacht und liegt damit im Trend: Die Zahl derer, die das sogenannte „Grüne Abitur“ machen und ihre Jagdprüfung ablegen wollen, hat bundesweit zugenommen. Und längst ist die Jagd keine Männerdomäne mehr.
Es ist der Wunsch nach Natur, der die vier Frauen vereint, die alle zusammen erfolgreich ihre Jagdprüfung im Oktober abgelegt haben. „Es ist in erster Linie das Naturerlebnis, das mich an der Jagd fasziniert“, sagt Louise Hecke. Die 29-Jährige hat neben ihrer Arbeit als Physiotherapeutin für Kinder ihren Jagdschein gemacht. Das war harte Arbeit und viel Lernerei – das war nicht immer ganz einfach, wenn man nebenbei arbeitet. Aber genau das brauchte sie: „Ich wollte etwas Neues lernen und mich geistig anstrengen“, sagt sie. Nun ist sie an den Wochenenden häufig frühmorgens um sechs im Wald auf dem Hochsitz. Dort beobachtet sie die Tiere und ist immer noch am Lernen.
„Es ist schwierig, die Tiere anzusprechen. Ist es weiblich, männlich? Gerade beim Rehwild ist das schwer.“ Ansprechen heißt in der Jägersprache, das Tier genau zu beobachten, zu identifizieren und vor dem Schuss zu beurteilen. Die präzise Beobachtung, Identifizierung und Beurteilung von Wild vor der Schussabgabe durch den Jäger. Noch hat Louise nicht auf ein Tier geschossen. Aber der Tag wird kommen, darauf ist sie vorbereitet. Auch mit dem Aufbrechen, dem Zerlegen des geschossenen Tieres, habe sie keine Probleme. „Ich komme aus einer Jägerfamilie“, sagt sie und lacht.
Sie vereint die Sehnsucht nach Feld und Wald, nach Natur
Genau wie ihre drei Mitstreiterinnen aus demselben Kursus, Charlotte Probst, Magdalena und Henrike,, muss und will Louise nun so viel Erfahrung sammeln wie möglich, immer mit einem routinierten Jäger an ihrer Seite. Magdalena und Henrike möchten nicht so gern ihren Nachnamen in der Zeitung lesen.
Irgendwann wird Louise Hecke auch das erste Mal ein Tier strecken, wie es im Jägerjargon heißt, also erschießen. Henrike aus Timmendorfer Strand hat das vor drei Wochen das erste Mal gemacht: „Plötzlich trat das Reh aus der Deckung. Es war alles so, dass ich sicher war, dass ich abdrücke. Ich bin glücklich, das zu essen, was ich selbst geschossen habe“, sagt die 29-Jährige Apothekerin. Zu wissen, woher das Fleisch stammt und dass die Tiere artgerecht gelebt haben, ist häufig ein Grund, warum so viele Menschen Jäger/innen werden: „Vom Fleischkonsum her ist die Jagd das Vertretbarste. Ich weiß genau, wo mein Fleisch herkommt“, sagt Charlotte.
Alle Generationen sind dabei
Die 17-Jährige ist eine der jüngsten Teilnehmerinnen des Kursus und macht im kommenden Jahr Abitur. In der Natur zu sein, das ist ihr wichtig. Magdalena ist über ihre Hunde zur Jägerei gekommen. „Ich füttere sie mit Rohfleisch, das ich von Jägern bekomme, und irgendwann nahm mich eine Jägerin mit zur Jagd“, sagt die 31-Jährige. Zehnmal waren die beiden zusammen auf dem Hochsitz, bei der Drückerjagd, bei der Treiber das Wild in Bewegung setzen. Die Grund- und Gemeinschaftsschullehrerin war angefixt. „Ich habe ganz viel über Natur und Tiere gelernt, vor allem geht es mir aber darum, später mein eigenes Fleisch zu schießen von Tieren, die in Freiheit gelebt haben, ohne Transporte, ohne Medikamente.“
Die Sehnsucht nach Feld und Wald, nach dem Draußensein, ist ein Grund für die hohe Nachfrage. „Wir haben eine höhere Nachfrage nach unseren Kursen in den Jagdschulen als Angebot“, sagt Wulf-Heiner Kummetz, Sprecher des Landesjagdverbandes Schleswig-Holstein. Die Bandbreite der Teilnehmer ist so vielseitig wie die Gesellschaft: „Wir haben Optiker, Professoren, Ärzte und Schüler in unseren Kursen.“ Häufig seien die Nachwuchsjäger familiär beeinflusst und kämen aus Jägerfamilien.
Eine Erhebung des Deutschen Jagdverbandes hat ergeben, dass sich alle Generationen in den Kursen zur Jagdscheinprüfung treffen: vom 14-jährigen Schüler bis zum 82-jährigen Rentner. Der Altersdurchschnitt liegt bei 35 Jahren. Und es ist kein Privileg der Reichen: Vom Elektrotechniker über den Bürokaufmann bis zum Arzt sitzen fast alle Berufsgruppen in den Vorbereitungskursen. Die größte Gruppe stellten demnach Dienstleistungsberufe mit 17 Prozent dar, darunter Erzieher, Friseure, Krankenschwestern und Lehrer.
Verhältnis der weiblichen Teilnehmerinnen steigt stetig an
Dabei steige das Verhältnis der weiblichen Teilnehmerinnen stetig an. „Vor 15 Jahren waren es vielleicht zwei Frauen in einem Kurs, nun sind es vier oder fünf bei 16 Teilnehmern“, hat Kummetz beobachtet. Laut Deutschem Jagdverband seien nahezu doppelt so viele Frauen und Männer im vergangenen Jahr zur staatlichen Prüfung angetreten als noch vor zehn Jahren. Und die Prüfung ist nicht leicht: 19 Prozent haben nicht bestanden. Die meisten Prüflinge gab es mit 4163 in Niedersachsen. 18.900 Frauen und Männer haben sich 2019 an der staatlichen Jägerprüfung versucht. Das sind sechs Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Für die Vorbereitung auf die staatliche Jägerprüfung gibt es spezielle Kurse. Die Prüfung umfasst unterschiedliche Bereiche, wie Wildbiologie, Jagdpraxis, Waffenkunde, Hundewesen, Fleischhygiene, Jagd-, Tier- oder Naturschutzrecht. Im Schnitt kostet die Jägerausbildung 1900 Euro.
Das Image der Jagd, sagt Gunnar Liedtke vom Institut für Bewegungswissenschaft an der Universität Hamburg, habe sich gewandelt: „Von der plumpen Jägerei hin zum Naturschutz“, sagt er. Viele Jäger jagen am Ende gar nicht, sondern denen gehe es auch um Selbstverwirklichung und Fortbildung. „Man lernt viel über die Natur, egal, ob man später jagen möchte oder nicht.“ Und genau wie in den meisten anderen Feldern eroberten immer mehr Frauen auch die Jagd.
Jagd unterliegt genauen Regeln
Die Jagd ist eben kein Drauflosgeballere, sondern unterliegt genauen Regeln. „Jägerinnen und Jäger managen die Wildbestände durch gezieltes Eingreifen. Nur sie sind Naturschützer mit einer staatlichen Prüfung. Diese setzt eine lange und intensive Ausbildung voraus“, sagt Wulf-Heiner Kummerz. Sie sind es, die täglich in ihren Revieren unterwegs seien. „Kaum ein anderer kennt sich daher in der Natur besser aus als sie.
Daher spielt das Thema Umweltbildung, ob bei Kindern oder Erwachsenen, in der Jagd eine große Bedeutung, die auch nachhaltig für die Gesellschaft ist.“ Die 380.000 Jäger in Deutschland (in Schleswig-Holstein sind es 20.000) tragen laut Kummerz massiv zum Naturschutz bei. Sie schaffen etwa Wildäcker und Blühwiesen. Zu ihren Aufgaben zählen außerdem auch das Aufspüren von verletztem Wild nach Verkehrsunfällen oder die Seuchenprävention (Afrikanische Schweinepest).
Der Respekt der Jäger vor den Tieren und der Natur
Und: Natürlich gehört zur Jagd auch das Töten. „Darauf werden Jäger von Kritikern immer reduziert“, so Kummetz. Das Töten an sich nehme allerdings nur wenige Prozentpunkte von dem Thema ein. Sein Appell: „Wer nachhaltig leben möchte, sollte sich an Jägerinnen und Jäger halten und Fleisch vom Reh oder Wildschwein essen.“ Es ist stets ein tiefer Respekt vor dem Tier, den die Jungjägerinnen haben. Henrike sagt: „Faszinierend ist nicht das Schießen, das hat ja auch gewisse Brutalität. Ich habe abgedrückt, und ein Tier ist daraufhin gestorben.“ Faszinierend sei, was sie alles über den Wald gelernt habe. „Ich kann auch einfach auf dem Hochsitz sein und die Tiere beobachten.“
Jenifer Calvi, Pressereferentin bei der Deutschen Wildtier Stiftung in Hamburg, ist genau seit zwei Jahren Jungjägerin. Sie sagt: „Durch die Jagd bin ich viel achtsamer der Natur gegenüber geworden, sehe plötzlich die kleinsten Wunder. Und ich sehe, dass der Platz, den Natur und Wildtiere zur Entfaltung haben, immer kleiner wird und der Mensch immer dominanter. Das hätte ich ohne Jagdschein nicht in dieser Stärke realisiert.“
Die Jagd, das sagen alle Jungjägerinnen, sei wichtig für sie, weil sie durch sie heimische Wildtiere und ihre Bedürfnisse in einer Kulturlandschaft kennenlernen und besser verstehen. Jenifer Calvi: „Ich bewege mich quasi in ihrem Wohnzimmer, das aber mit höchstem Respekt.“