Für die SPD ist die Wahl in Schleswig-Holstein ein Weckruf – für FDP und Grüne ein Geschenk

Hinterher ist man immer klüger: Heute würde sich der Noch-Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) sein „Bunte“-Interview sicherlich sparen – genau wie seinen ganz eigen(artig)en Asyl-Kurs gegen die Partei, den er unter Absingen schmutziger Lieder dickköpfig verfolgt hat. Auf der anderen Seite aber ist das SPD-Spiel, ihn allein für das Desaster vom Sonntag verantwortlich zu machen, arg billig. Wahlen gewinnt man gemeinsam, man verliert sie aber auch gemeinsam.

Und da hat auch der SPD-Hoffnungsträger und Spitzenkandidat Martin Schulz schwere Fehler gemacht: Er hat die Sozialdemokraten zuletzt auf einen Linkskurs getrimmt, die Agenda-2010-Reformen teilweise infrage gestellt und mit einer Rot-Rot-Grün-Koalition geliebäugelt. Damit hat der Mann aus Würselen die Partei versöhnt, aber viele Wähler verstört. In der Bundesrepublik, diesem parteipolitischen Reich der Mitte, werden die Wahlen traditionell im Zentrum gewonnen: Der SPD-Kanzler Gerhard Schröder hat zweimal triumphiert, weil er die „Neue Mitte“ erfunden hatte; Helmut Schmidt, weil er aller linken Umtriebe stets unverdächtig war.

Angela Merkel hat die Union in den vergangenen Jahren geöffnet, man darf aber auch sagen, nach links verschoben. Der Atomausstieg, das Ende der Wehrpflicht, Mindestlohn, die Rente nach 45 Beitragsjahren, eine grenzenlose Flüchtlingspolitik des Jahres 2015 – all das suchte man im Wahlprogramm der Union vergeblich, wurde aber von Angela Merkel zu ihrer Politik gemacht. Indem sie die Mitte nach links verschoben hat, hat sie die Spielräume der SPD eingeengt. Olaf Scholz hat diese Strategie stets durchschaut und den ein oder anderen Ausfallschritt gewagt und damit die Mitte zurückerobert; Martin Schulz und auch Torsten Albig hingegen lassen sich nach links abdrängen – und verlieren.

In Nordrhein-Westfalen hofft die CDU auf einen ähnlichen Fehler der Ministerpräsidentin. Hannelore Kraft ist zwar kein Torsten Albig, aber eine überzeugende Landesmutter ist auch sie nicht. Eine starke SPD schielt nicht nach dem ersten und erst recht nicht nach einem zweiten potenziellen Koalitionspartner: So macht sie sich ohne Not klein und vergisst, dass sie als Partei der Mitte stets einen Flügel hat, der für Wirtschaftsnähe und innere Sicherheit steht. Man erinnere nur an Wolfgang Clement oder Otto Schily: Der eine war Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen und wirbt heute für die FDP, der andere forderte schon 1999 eine Überprüfung des Asylrechts. Wenn aber der eine Flügel nicht mehr schlägt, kann keine Partei abheben.

Die Bundes-SPD kann aus diesen Ergebnissen noch lernen. Der SPD in Schleswig-Holstein bleibt nur, sich in der Opposition neu aufzustellen. Mit 27,2 Prozent verbietet es sich eigentlich schon aus Gründen der demokratischen Hygiene, ernsthaft für sich das Ministerpräsidentenamt zu beanspruchen: Die Küstenkoalition wurde abgewählt, alle drei Parteien haben verloren, die SPD und der SSW sogar deutlich. Zugleich ist aber auch das 32-Prozent-Ergebnis in der einstigen CDU-Hochburg Schleswig-Holstein nicht so atemberaubend für die Union, dass nun kein Weg an ihr vorbeiführe. FDP und Grüne sind in der komfortablen Lage, dass sie das Zünglein an der Waage sind und viele Ziele durchsetzen können. Das birgt enorme Chancen, aber auch ein gerüttelt Maß an Verantwortung. Eine Verweigerungshaltung wäre fatal: Es ist ihre Aufgabe, eine Große Koalition in Kiel zu verhindern.