Reitbrook. Wohngemeinschaft Alte Schule ist nun auch offizielle Tagesförderungsstätte – Viele Angebote in Neubau.
Viele kennen das rotze Backsteinhaus am Vorderdeich/Ecke Sietwende noch als Schule, andere haben bisher nur im Vorbeifahren wahrgenommen, dass das Gebäude wieder bewohnt ist. 2013 zogen dort Bewohner einer betreuten Einrichtung in Ohlstedt ein. In der Wohngemeinschaft Alte Schule leben neun Erwachsene – zwei Frauen und sieben Männer (Anfang 20 bis Mitte 60) mit geistiger Behinderung, Kommunikations- und Wahrnehmungsstörungen sowie sogenanntem „herausforderndem Verhalten“, etwa langem Schweigen.
Die WG Alte Schule ist nun auch eine offizielle Tagesförderungsstätte. Die eigenen Bewohner profitieren von weiteren Räumen in einem benachbarten Neubau. Außerdem können jetzt auch Beschäftigte in die Tagesförderung aufgenommen werden, die nicht in der Alten Schule leben – bis zu vier Menschen mit einem Handicap.
Mit anderen Tagesförderstätten gleichgestellt
„Wir haben nun mehr finanziellen Spielraum, etwa bei der Kostenübernahme von Betriebsmitteln“, sagt Markus Pithan (53), Leiter der Einrichtung der Pestalozzi-Stiftung Hamburg. Im Zuge des Bundesteilhabegesetzes seien alle Leistungsvereinbarungen in Hamburg überprüft worden. Pithan: „Nachdem wir vorher eine Sondervereinbarung hatten, sind wir nun mit anderen Tagesförderstätten gleichgestellt.“ Die Stadt habe das Gesetz bisher gut umgesetzt, lobt der Leiter. „Da wird wirklich etwas im Sinne der Menschen mit Behinderung getan.“
Drei Mitarbeiter sind für diesen Bereich zuständig: Elena Pisi (34), Heilerziehungspflegerin und Kunsttherapeutin, Caroline Gempeler (50), Musikerin und Gestalttherapeutin, und Robert Drost (38), Arbeitspädagoge und Suchttherapeut. Ihre Aufgabe ist es, herauszufinden, wie jeder einzelne Beschäftigte optimal gefördert werden kann, und ihn entsprechend zu betreuen. In der Tagesförderung ist in der Regel ein Betreuer für drei Beschäftigte da.
Bisher war es „recht eng“
In dem 280.000 Euro teuren Neubau läuft ein Großteil der Angebote der Tagesförderung. „Vorher mussten wir zwischen Tür und Angel im Haupthaus musizieren. Das war recht eng“, sagt Caroline Gempeler, die die Songwerkstatt betreut. Nun steht ein neuer Kreativraum zur Verfügung. Dort bietet die 50-Jährige „Erleben mit Musik“ (Musik- und Körpertherapie) an, während nebenan in einer neuen Werkstatt die Heimwerker unter der Regie von Drost am Start sind.
Drost kann an den schweren Maschinen wie der Kreissäge Werkstücke vorbereiten, die von den Beschäftigten weiter verarbeitet werden. So werden etwa Regale angefertigt, die in einem Bauwagen der WG an die Wände sollen. „Dadurch haben unsere Beschäftigten Teilhabe an dem gesamten Entwicklungsprozess“, sagt Drost. In dem Bauwagen will Elena Pisi ein Atelier einrichten. „Wir erarbeiten ein Nutzungskonzept, um an Spenden und Fördergeld zu kommen“, sagt sie. Denn in dem Wagen sei es im Winter kalt, deshalb werde ein Wärmegenerator benötigt.
Fähig- und Fertigkeiten fördern
Es gehe darum, den Lebensstandard der Beschäftigten zu erhalten, ihre Fähig- und Fertigkeiten etwa durch Kunst-, Musik- und Arbeitstherapie zu fördern. „Unsere Angebote gehen über ein reines Beschäftigungsangebot hinaus“, sagt Elena Pisi.
Die Klienten können in einer Songwerkstatt kreativ werden, dank einer Kooperation auch auf dem Milchhof Reitbrook mitarbeiten – etwa im Kuhstall helfen oder Laub harken. Mit Bäckermeister Björn Hintelmann, Mitarbeiter der Einrichtung, werden Kekse und Kuchen gebacken. Bei der Auslieferung der Backwaren helfen die Bewohner mit. Ein Garten-Projekt außerhalb der Alten Schule sei in Planung. „Dafür suchen wir noch Kooperationspartner“ , sagt Pithan.
Die oberste Prämisse: Kein Stress
Acht WG-Bewohner werden am Vorderdeich auch in der Tagesförderung betreut. In der Alten Schule sind rund 20 Mitarbeiter tätig. „Den Beschäftigten ist es so möglich, dieselben positiven Erfahrungen zu machen, die Berufstätige täglich machen“, sagt Arbeitspädagoge Drost. Wichtig sei, die Betreuten nicht zu überfordern. „Wir wollen in kleinen Schritten ans Ziel kommen.“ Die oberste Prämisse laute: „Kein Stress“.
Für die WG-Bewohner ist neben einem ruhigen Umfeld der Kontakt zur Außenwelt wichtig, deshalb sollen sie nicht auf dem Schul-Gelände abgeschottet werden. Deswegen soll die Einrichtung noch fester in der Dorfgemeinschaft verankert werden: „Obwohl unsere Bewohner mit ihren Auffälligkeiten auf andere Menschen manchmal verstörend wirken,sollen sie Akteure in der Gemeinschaft sein“, sagt Pithan.
Auch Nachbarn, die sich in der WG ehrenamtlich engagieren wollen – etwa als Vorleser oder Musiker – sind willkommen. Weitere Infos und Kontakt: www.alte-schule-reitbrook.de.