Hamburg. Nach der Wahl von Peter Tschentscher zum Ersten Bürgermeister ging es in der Bürgerschaft hoch her. Opposition übt scharfe Kritik.
Fünf Minuten vor der Entscheidung zog es Peter Tschentscher zu seiner Familie. Er erhob sich von seinem Platz auf der Senatsbank und verließ den Plenarsaal, wo die Abgeordneten in einer Wahlkabine ihren Stimmzettel ausfüllten. Auf der Besuchertribüne schräg über der Senatsbank tauchte der 52-Jährige wieder auf und sprach dort kurz mit seiner Ehefrau Eva-Maria und seinem Sohn.
Kaum hatte der bisherige Finanzsenator Platz genommen, als Parlamentspräsidentin Carola Veit (SPD) das Ergebnis der Wahl verkündete: 71 der 118 anwesenden Abgeordneten hatten für Peter Tschentscher votiert – damit war er gewählt, aber ihm fehlten wohl mindestens drei Stimmen aus den Regierungsfraktionen. Denn Rot-Grün verfügt über 73 Sitze und die parteilose Abgeordnete Nebahat Güçlü sagte, sie habe für Tschentscher votiert.
Ein Fahrradhelm zur Wahl
Nach einem kurzen Moment der Verblüffung setzte verhaltener Applaus ein, keine Begeisterung, erst recht keine Euphorie, wie sie bei einem besseren Ergebnis zu erwarten gewesen wäre. Seit der Wahl von Ole von Beust (CDU) im Jahr 2008 hatten alle Bürgermeister mehr Stimmen als die aus dem Regierungslager erhalten. Peter Tschentscher stand auf, die Hände gefaltet, zeigte ein verhaltenes Lächeln und verneigte sich leicht in die Runde. Dann sprach er mit erhobener rechter Hand die Beteuerungsformel: „Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe“.
Als Erster gratulierte ihm der bisherige SPD-Fraktionschef Andreas Dressel. Anschließend beglückwünschte CDU-Fraktionschef André Trepoll den neuen Bürgermeister. Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks übergab Tschentscher einen schnittigen weißen Fahrradhelm, wie ihn Rennradfahrer tragen. Auch Linken-Chefin Sabine Boeddinghaus und AfD-Fraktionschef Jörn Kruse gratulierten. Und dann begann auf den Fluren vor dem Plenarsaal das Geraune, welche Abgeordneten der rot-grünen Regierungsfraktionen Peter Tschentscher wohl diesen nicht ganz idealen Start beschert hatten.
CDU spricht von "verpatzter Nachfolgeregelung"
Gelöst präsentierte sich Andreas Dressel nach der Pause. Er folgt Tschentscher als Finanzsenator nach und ist damit der einzige Neuzugang im Senat. Diesen bestätigte die Bürgerschaft zwar en bloc mehrheitlich, allerdings stimmten erneut nur 71 Abgeordnete mit „Ja“. Wer Dressels Amt an der SPD-Fraktionsspitze übernimmt, wird erst am 9. April geklärt. Der 43-Jährige galt lange als Favorit für die Nachfolge des früheren Bürgermeisters Olaf Scholz, doch dann verzichtete er mit Verweis auf seine Familie auf das Bürgermeisteramt, ebenso wie Sozialsenatorin Melanie Leonhard, die nun zur neuen SPD-Landesvorsitzenden gewählt wurde.
„Eigentlich wohnt jedem Anfang ein Zauber inne, den Eindruck hatte ich heute nicht“, sagte CDU-Fraktionschef Trepoll zum Auftakt der Aktuellen Stunde. „Verzaubert haben Sie mit der verpatzten Nachfolgeregelung niemanden. Eine sollte und wollte nicht, einer wollte und sollte nicht. So blieben nur Sie übrig und das überraschte Gesicht haben Sie sich bis heute erhalten“, so der Oppositionsführer in Richtung des neuen Senatschefs. Es gebe viele Fragen, die das „neue Genossentrio“ an Senats-, Partei- und Fraktionsspitze beantworten müsse, so Trepoll. Der Hafen müsse zukunftssicher gemacht, die „G-20-Chaostage“ aufgeklärt, die Bezahlbarkeit des Lebens in Hamburg gesichert und die „Staustadt“ flottgemacht werden. Schon jetzt sei zu erkennen: „Kaum ist der rote Kater aus dem Haus, tanzen die grünen Mäuschen auf dem Tisch.“
SPD nennt CDU-Fraktionschef Trepoll „Pausenclown“
Dirk Kienscherf, parlamentarischer Geschäftsführer SPD-Fraktion nannte Trepoll daraufhin einen „personifizierten Pausenclown“, was ihm eine Ermahnung von Bürgerschaftsvizepräsident Dietrich Wersich (CDU) einbrachte. SPD-Fraktionsvize Ksenija Bekeris warf der CDU vor, sie suche „ratlos“ nach Antworten. Dabei regiere Rot-Grün „weiter, solide und konstruktiv. In unserer Reihen gibt es viele, die Verantwortung übernehmen können, das ist gut so, das ist vielfältig und das ist Demokratie“. Ein Bürgermeisterwechsel sei eine Zäsur, sagte Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks. Das „drängendste Problem“ sei, dass Menschen bezahlbaren Wohnraum finden müssten. Zugleich wolle Rot-Grün „Hamburg zur Wissenschaftsstadt machen“, so dass „Wissenschaft zu Wohlstand wird“.
Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir forderte, der neue Bürgermeister müsse mehr als nur verwalten – und zwar „nicht so stur und autokratisch wie Olaf Scholz das gemacht hat“. So brauche Hamburg eine Strategie gegen die Armut. Auch wäre es aus Sicht der Linken-Fraktionschefin gut, „den Nahverkehr kostenlos zu machen, weil davon viele Menschen profitieren würden“.
FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein wünschte Tschentscher Glück und fügte mit Blick auf dessen Wahlergebnis hinzu: „Glück werden Sie brauchen, die Zustimmung bröckelt nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch in den eigenen Reihen.“ Um das auch mit G 20 verlorene Vertrauen wieder herzustellen, müsse er „das Mauern im G-20-Ausschuss und das endlose Schwärzen der Akten“ beenden. Hamburg brauche auch in Stadtentwicklungs-, Wirtschafts- und Bildungspolitik eine „Trendwende“. AfD-Fraktionschef Alexander Wolf befand mit einem etwas schiefen Bild: „Ein bloßer Tapetenwechsel beim Führungsteam wird keine spürbaren Verbesserungen bringen“ – und prognostizierte, der grüne Schwanz werde mit dem roten Hund wedeln.
Die Stimmung in der Familie des neuen Senatschefs blieb trotz Wahlergebnis und Kritik gut. „Ich freue mich“, sagte Eva-Maria Tschentscher nach der Wahl ihres Mannes. „Ich werde ihn weiterhin positiv begleiten.“