Hamburg. Um den CDU-Vorsitz streiten die drei bekannten Bewerber – doch ein anderer hat das Potenzial von 40 Prozent.
Was wäre das für ein Showdown geworden – gleich drei CDU-Schwergewichte ringen seit Monaten um das Amt des Vorsitzenden. Wer sich an die wochenlangen Scharmützel und Schlagzeilen bei der Vorsitzendenkür der SPD erinnert, weiß, was uns Corona für eine Show verhagelt. Es ist erst ein Jahr her, dass die SPD sich gegen Olaf Scholz entschied und statt seiner Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken inthronisierte – es scheint, als sei es Jahrzehnte her.
Im Schatten der Corona-Krise erreicht der innerparteiliche Wahlkampf in der Union nur politische Feinschmecker. Dabei ist die Wahl deutlich spannender als die der Sozialdemokraten – mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit wird dort der neue Kanzler gekürt. Auch wenn der Wähler das letze Wort hat, dürfte die CDU/CSU mit Abstand stärkste Partei werden. Manches spricht dann dafür, dass es für ein schwarz-grünes Bündnis langt.
Wer Röttgen wählt, bekommt als Kanzler vielleicht Söder
Glaubt jemand im Ernst, Friedrich Merz oder Armin Laschet strebten nach dem Parteivorsitz, ohne in Wahrheit aufs Kanzleramt zu schielen? Selbst Norbert Röttgen, eher Außenseiter im Rennen, hatte betont: „Die Kandidatur für den CDU-Vorsitz ist mit dem Anspruch verbunden, Kanzlerkandidat zu werden. Deshalb muss man sich diese Frage stellen, und ich habe die Frage für mich bejaht.“ Trotzdem sendet er gerne Liebesgrüße nach München – mit der Botschaft, wer Röttgen wählt, bekommt als Kanzler vielleicht den Franken Söder.
Aber abgesehen von manchen Hauptstadtjournalisten ist der Wille in der Partei, Norbert Röttgen zum Chef zu küren, überschaubar ausgeprägt: Der kluge Kopf gilt politisch eher als Rohrkrepierer – bei der Landtagswahl 2012 in Nordrhein-Westfalen landete er als Spitzenkandidat bei schlimmen 26,3 Prozent. Seine Leistungsbilanz als Umweltminister liest sich überschaubar – und Kanzlerin Merkel entließ ihn 2012.
Erfolgreicher präsentierte sich Armin Laschet, mit 33 Prozent der Stimmen bei der NRW-Landtagswahl 2017 viel stärker als Röttgen – und seitdem Ministerpräsident. In der Corona-Krise macht er nicht die allerbeste Figur, bekam aber oft ungerechtfertigt Prügel, weil er den Wettlauf zum härtesten Lockdowner lange Zeit verweigerte.
Markus Söder ist derzeit der Liebling der Deutschen
Deshalb ist der gestrenge Markus Söder derzeit der Liebling der Deutschen und ihrer Medien. Er steht zwar bei der CDU nicht zur Wahl, räumt aber regelmäßig in Umfragen zur Kanzlerkandidatur ab. Er ist zugleich Talkshow-König im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Gleich elfmal wurde der Franke 2020 zu Illner, Will & Konsorten eingeladen – nur Frohnatur Peter Altmaier und Sorgenfalte Karl Lauterbach waren noch beliebter, ergab nun eine Auswertung des Mediendienstes Turi. Laschet kam auf neun Besuche, Röttgen auf acht.
Interessanterweise taucht einer gar nicht unter den Top 40 auf: Friedrich Merz. Geht es nach Programmmachern und Leitartiklern, steht der alte weiße Mann für eine noch ältere CDU – dabei wird übersehen, dass noch immer ganz traditionell CDU-Delegierte den Parteivorsitzenden wählen, und eben nicht Zeitgeistsurfer mit Twitteraccount.
Drollig war die Empörung, die Merz entgegenschlug, als er das demonstrative Gendern durch Anne Will kommentierte: „Heute wurde in China die größte Freihandelszone der Welt geschaffen. Ich bin hier in diese Sendung gekommen in der Annahme, dass wir über die Frage diskutieren, wie leben wir in zehn Jahren.“
Große Aufregung, weil alle Merz missverstehen wollten! Dabei hatte er nur betont, dass Gendern die Menschen nicht satt macht – und Deutschland ein paar ernstere Probleme hat als das Sprechen des Gender-sterns. Schon außerhalb der Fernsehstudios dürfte das die Mehrheit ähnlich sehen.
Jens Spahn hat das Potenzial von 40 Prozent
Auch inhaltlich kommt von Merz in jedem Interview mehr als von Wirtschaftsminister Peter Altmaier in einem Monat. Aber Merz wird die Partei kaum einen – und steht sich mit seiner oft arroganten Art selbst im Weg. Ein Kanzler sollte den Menschen sympathisch sein.
Das wiederum schafft Jens Spahn, der offiziell gar nicht im Rennen ist: Er hat etwas Konservatives, aber nichts Reaktionäres. Er ist rhetorisch stark und krisenerprobt. Er sprengt alle Schubladen und wäre – vorausgesetzt, er macht keine schweren Fehler – der aussichtsreichste Kandidat der Union. Der Mann hat das Potenzial von 40 Prozent.
Wahrscheinlich beten SPD, FDP, Grüne und AfD noch, dass das niemand in der Union merkt.