Allermöhe. SPD und Grüne wollen die Schutzfunktion der zweiten Deichlinie überprüfen lassen. Das könnte Folgen für die Anwohner haben.
Jahrzehntelang spielten die alten Hausdeiche für den Hochwasserschutz in der Hansestadt eine eher untergeordnete Rolle. Die Schutzfunktion der sogenannten zweite Deichlinie schwand vielfach aus dem Bewusstsein. Wegen des befürchteten Anstiegs des Meeresspiegels und Wetterextremen fordern Experten eine Neubesinnung – mit Folgen für die Anwohner. Das Konfliktpotenzial ist offenbar so groß, dass sich nun auch die rot-grüne Koalition in der Bürgerschaft mit dem Thema befassen will.
In einem Antrag fordern die beiden Fraktionen den Senat auf, der Bürgerschaft die vorhandenen Untersuchungen, mögliche Hochwasserszenarien und Konzepte zum Hochwasserschutz vorzulegen. Besonderen Schwerpunkt legen sie in ihrem Informationsbegehren auf die „konzeptuellen Überlegungen der zuständigen Behörde zum künftigen Umgang mit der zweiten Deichlinie“. Sie fordern zudem Aufschluss über „geplante Beteiligungsformate und Kommunikationsformen zur Einbeziehung und Information der Bevölkerung“.
Fall aus Allermöhe machte Schlagzeilen
Im Juli hatte der Fall von Dirk Barthel (60) aus Allermöhe Schlagzeilen gemacht. Der Kaufmann wollte sein Mehrfamilienhaus am Allermöher Deich an ein Wohnungsbauunternehmen verkaufen und wurde, wie berichtet, von der Stadt gestoppt. Die will von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen, um den Hochwasserschutz langfristig sicherzustellen. Allerdings solle laut Barthel nicht das gesamte Grundstück, sondern nur die bebaute Fläche und ein Streifen an der Zufahrt angekauft werden. Die Umweltbehörde bestätigte im Juli weitere laufende Verfahren zum Vorkaufsrecht am Allermöher Deich.
Doch betrifft die Problematik nicht nur den Allermöher Deich, sondern die gesamte, 36 Kilometer lange zweite Deichlinie. Laut Hamburger Deichordnung sind hier für alle Bauten, Befestigungen oder Bepflanzungen am Deichgrund oder in einem Bereich von bis zu drei Metern von ihm entfernt Genehmigungen erforderlich. Zudem steht der Stadt Hamburg ein Vorkaufsrecht bei zum Verkauf stehenden Grundstücken zu.
Ganze Küstenregionen würden im Wasser verschwinden
Dass der Anstieg des Meeresspiegels Anlass zur Besorgnis auch für Metropolen wie Hamburg, New York oder Tokio bietet, bestätigt eine neue Studie vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung sowie von den Universitäten Columbia (USA) und Potsdam. Sie wurde gestern im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht. Die wohl umfangreichste Klima-Rechensimulation weltweit kommt zu dem Ergebnis, dass bei Temperaturen von vier Grad Celsius über dem vorindustriellen Zeitraum das Schmelzen in der Antarktis zu einem globalen Anstieg des Meeresspiegels von mehr als sechs Metern führen wird. Bei einem Plus von zwei Grad betrüge der Anstieg 2,5 Meter. Ganze Küstenregionen, Inseln, Städte – alles würde im Wasser verschwinden.
Laut Weltklimarat hat sich die durchschnittliche Temperatur seit der vorindustriellen Zeit (etwa 1850) bereits um 1,1 Grad erhöht. In Deutschland steigt die mittlere Temperatur noch schneller als die globale Durchschnittstemperatur. So ist laut Deutschem Wetterdienst das aktuelle Jahrzehnt 1,9 Grad wärmer als das erste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen 1818. Mit intensiveren Wetterextremen sei daher zu rechnen.