Hamburg. Sie treiben im Meer und werden häufig zu einer Falle für Tiere. Jetzt können Hobbytaucher bei Bergung mithelfen.
Es war im Januar 2016, als insgesamt zwölf Pottwale auf Wangeooge und an der Westküste strandeten. Die Meeresriesen hatten sich vermutlich auf dem Weg zu ihren Nahrungsgründen im hohen Norden in die südliche Nordsee verirrt und konnten den Weg zurück ins offene Meer nicht mehr finden. Bei der Obduktion fanden die Veterinäre im Magen von zwei Pottwalbullen Reste eines großen Fischernetzes.
Diesen unkontrolliert im Meer herumtreibenden Netzen („Geisternetze“) hat der WWF (World Wide Fund for Nature) Deutschland den Kampf angesagt. Mit einer speziellen App, die jeder im Internet kostenlos herunterladen kann, haben Taucher, Segler und andere Hobbywassersportler ab sofort die Möglichkeit, Netze und deren geografische Daten dem WWF zu melden und Bilder von der Fundstelle hochzuladen. Danach startet die Umweltschutzorganisation in Kooperation mit Behörden die Bergung. Nach Abendblatt-Informationen soll die bereits in der Ostsee erfolgreich erprobte Geisternetz-Bergung von 2021 an systematisch auch in der Nordsee eingesetzt werden.
Fischer finden immer häufiger Meeresmüll
Traditionell verwenden die Ostseefischer Schlepp- und Stellnetze sowie Reusen, um Heringe, Sprotten, Schollen, Flundern und Dorsche zu fangen. Seit den 1960er-Jahren werden die Fischernetze aber nicht mehr aus den leicht vergänglichen Naturstoffen Hanf, Leinen und Sisal hergestellt, sondern aus Polypropylen, Polyethylen und Nylon. Geht einmal ein solches Plastiknetz verloren, treibt es im Meer herum, verhakt sich an Wracks und mit Gesteinen oder landet im Bauch von Meeresbewohnern. Bleiben die Geisternetze im Meereswasser, verrotten sie erst nach 400 bis 600 Jahren. Schlecht für die Umwelt.
Etwa zehn Prozent des an europäische Strände gespülten Meeresplastiks besteht aus Geisternetzen und verlorenem Fischereigerät, heißt es bei der Welternährungsorganisation. In der Nordsee finden Fischer immer häufiger Meeresmüll, berichtet der Niedersächsische Landesbetrieb für Küsten- und Naturschutz. Vor allem die Meeresbewohner haben unter den herrenlosen Netzen zu leiden. Tauchvögel und Meeressäuger verheddern sich in ihnen. nehmen sie versehentlich – wie die Pottwale vor der Westküste – in ihren Körper auf oder gelangen darunter und finden nicht mehr den Weg an die Oberfläche zum Atmen.
Viele Geisternetze vor Rügen geborgen
Laut einer Zusammenfassung wissenschaftlicher Studien bis 2015 sind weltweit mindestens 344 Tierarten durch das Verheddern in Meeresplastik betroffen. Bei 161 Arten, also fast der Hälfte, handelt es sich um Säugetiere, Schildkröten und Seevögel.
Der WWF hat in den vergangenen fünf Jahren eigenen Angaben zufolge eine ökologisch sinnvoll und ökonomische umsetzbare Methode entwickelt, um die „herrenlosen“ Netze mittels Seitensichtsonar aufzuspüren und zu bergen. Immerhin konnten von 2014 bis 2019 rund neun Tonnen solcher Netze aus der Ostsee geborgen werden. „Die meisten Geisternetze wurden vor der Insel Rügen geborgen, weil hier das Wissen lokaler Taucher zu einer besonders ergiebigen Ausbeute geführt hat“, sagte Freya Duncker vom WWF-Pressestellenteam in Hamburg.
Geistertaucher-App
- Bei der Suche nach Geisternetzen arbeitet der WWF mit Fischern und professionellen Tauchern zusammen. Eingesetzt werden Sonargeräte, die mit Schallwellen den Meeresboden abbilden.
- Damit lassen sich bis zu 100 Meter breite Streifen scannen. Nun gibt auch eine App, mit deren Hilfe Sporttaucher und Hobbywassersportler ihre Funde melden und Fotos hochladen können. https://ghostdiver.com/
Wo die meisten Geisternetze in Nord- und Ostsee zu finden sind, sei bislang nicht bekannt. Aber in der sogenannten Drei-Meilen-Zone vor der Küste werden immer wieder alte Fischernetze gefunden. Die Stellnetzteile waren durch Sturm, Eis oder das Überfahren von Booten abgerissen worden. Nach Angaben der Schweriner Landesregierung machen Geisternetze immerhin rund zehn Prozent des weltweiten Meeresmülls aus. 5000 bis 10.000 solcher Teile landeten jährlich in der Ostsee. Darin verenden viele Meeresbewohner. Sie fressen zudem Partikel der sich langsam auflösenden Plastiknetze und gelangen auf diese Weise in die Nahrungskette der Menschen.
Um den Kampf gegen den Müll zu verstärken, fordert der WWF einen Soforthilfe-Fonds für die Bergung von verlorenem Fischereigerät. Außerdem sei ein geregelter Weg für die Entsorgung von Netzen gemeinsam mit dem Müllverwertern in Norddeutschland zu entwickeln. Bislang sind Geisternetze schwer zu recyceln. Und die Testphase, bei der aus zerkleinerten Netzfasern Energiegas wird, bleibt die Ausnahme.