Der Sport hat in Hamburg große Tradition. Das WM-Halbfinale in der Barclaycard Arena soll sie neu beleben.

Berlin, Köln – heute Abend Hamburg. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft wirft sich gerade in Richtung Herning, einer schmucken 45.000-Einwohner-Stadt im mittleren Jütland, wo am Sonntag das Finale der Männer-Weltmeisterschaft in der Jyske Bank Boxen abgeht. Handball is coming home, behaupten die Dänen, die nach dem Olympiasieg 2016 in Rio jetzt auch den WM-Titel heim ins Königreich holen wollen. Es wäre – nach drei Endspielniederlagen – ihr erster, für Deutschland der vierte.

Es lässt sich natürlich trefflich streiten, wo der Handball nun wirklich zu Hause ist, denn bei dieser Diskussion darf auch Hamburg und speziell die Arena am Volkspark den Zeigefinger heben. Seit 2003 wird hier die deutsche Pokalendrunde zelebriert, die seit 1994 ununterbrochen in der Stadt gastiert – zuvor in der Sporthalle in Hamburg-Winterhude –, und dieses Event ist inzwischen nicht nur Kult in der Szene, es ist auch die Blaupause für andere große kontinentale und globale Handballturniere.

Das Finale der Champions League in Köln etwa, das der HSV Handball 2013 im Endspiel gegen den FC Barcelona gewann, ist nach dem Hamburger Vorbild inszeniert, und was Jahr für Jahr in der Barclaycard Arena bei der Castingshow Germany’s Next Cup-Winner (GNCW) auf den stets voll besetzten Rängen abgeht, muss keinen Vergleich mit dem Gänsehaut-Feeling scheuen, das die Nationalmannschaft in den vergangenen Tagen zuerst in Berlin und zuletzt in Köln erlebte und faszinierte.

Eine Million Euro lässt sich die Stadt Hamburg das Recht kosten, die beiden Halbfinalspiele der WM präsentieren zu dürfen. Spätestens nach dem Einzug der Deutschen in die Runde der letzten vier scheint das Steuergeld gut angelegt, werden doch geschätzte 30 Millionen Menschen weltweit die beiden Begegnungen live verfolgen, wohl um die 100 Millionen sie zumindest in Ausschnitten sehen.

Nicht nur diese Zahlen rechtfertigen das Investment einer „Global ActiveCity“, die sich von solchen „Leuchttürmen“ auch Animationseffekte für die breite Basis erhofft. Handball, auch das ist ein Argument für das städtische Engagement, hat in Hamburg Tradition wie in nur wenigen anderen deutschen Städten. Berlin und Köln gehören nach diesen strengen Maßstäben nicht unbedingt dazu.

Die SV Polizei um den legendären „Atom“-Otto Maychrzak wurde zu Beginn der 1950er-Jahre viermal auf dem Großfeld und in der Halle deutscher Meister, der Handball Sport Verein (HSV) Hamburg stieg mit kräftiger Unterstützung des Ahrensburger Unternehmers Andreas Rudolph dieses Jahrtausend zu einer der besten Mannschaften der Welt auf. Das traurige Ende, die Insolvenz 2016, ändert nichts daran, dass dieses Team die Handballbegeisterung in der Stadt neu entfachte; wovon der Nachfolgeverein HSV Hamburg bei seinem Bemühen, an diese Erfolge anzuknüpfen, bis heute in seiner Publikumsgunst profitiert.

Handball ist seit den vergangenen 85 Jahren nach Hockey die erfolgreichste Mannschaftssportart Hamburgs, dazu haben allein die Frauen 16 Titel beigesteuert. Die Siege liegen zugegebenermaßen einige Zeit zurück, vermutlich nicht einmal die Älteren werden sich an alle erinnern. Der Eimsbütteler TV wurde zehnmal deutscher Meister, siebenmal nach dem Zweiten Weltkrieg in der Halle (4) und auf dem Großfeld (3), zwischen 1934 und 1945 dreimal auf dem Großfeld. Auch TuS Alstertal (2 Meisterschaften), Union 03 (2), VfL 93 (1) und SC Urania (1) trugen zum Ruhm bei.

Heute ist davon im Zuge der Professionalisierung wenig bis nichts übrig geblieben. Der Buxtehuder SV, der zum Hamburger Verband gehört, behauptet sich trotz schwieriger finanzieller Rahmenbedingungen immerhin unter den Besten der Frauenbundesliga.

Wofür Hamburg bisher wenig, die Nationalmannschaft aber sehr viel kann: Handball ist dieser Tage Stadtgespräch, in Restaurants, Saunen, auf der Straße, in Bussen und Bahnen. Dieses Interesse gilt es nun abzuholen, vom Verband, von seinen Vereinen. Sie scheinen strukturell und programmatisch diesmal besser auf größere Nachfrage vorbereitet zu sein als nach dem WM-Triumph 2007. Damals sanken nach zwischenzeitlichem Zuwachs die Mitgliederzahlen schnell wieder unter die des Jahres 2006 – trotz aller Tradition auch in Hamburg. Tradition, das wissen die Clubs, muss immer wieder neu belebt werden. Das WM-Halbfinale könnte heute dazu beitragen, dass sich der Handball hier wirklich heimisch fühlt.