Alle Wege führen nach Brüssel: Früher war Wahlkampf ein unterhaltsamer Ideenwettstreit. Heute werden fade Parolen geklebt.

Alle Wege führen nach Moskau! Keine Experimente! Willy wählen! Es gab mal Zeiten, da entwickelten die Wahlkampfstrategen der Parteien Parolen, die zu geflügelten Worten wurden; sie entwarfen Plakate, die heute im Museum hängen. Früher war nur wenig besser – der Wahlkampf aber war es. Mit einer Mischung aus Ambitions- und Einfallslosigkeit mühen sich die Parteien derzeit auf den Straßen, sie werben vielleicht um Stimmen, aber kaum um Aufmerksamkeit, es gibt viel Einfalt, wenig Einfall.

Das Drama der SPD erzählen ihre Plakate: Welches bekennende CDU-Mitglied bitte hat Katarina Barley in einen Hoodie mit Europafahne gezwängt? Wähler unter 40 finden Berufsjugendliche peinlich, Wähler über 40 Jahre Spitzenkandidaten im Kapuzenpulli aber auch. Nur zur Erinnerung: Es geht nicht um den Stadtrat von Schlumpfhausen, sondern um das Europäische Parlament.

Der hippe Claim „#Europa ist die Antwort“ klingt zunächst einmal gut. Aber Moment, wie lautete noch mal die Frage? Immerhin ist die SPD inzwischen auch darauf gekommen und zeigt ein Bild des US-Präsidenten. „Trump? Europa ist die Antwort.“ So wird ein Schuh draus. Der CDU sind die Selbstverständlichkeiten abhandengekommen. „Sicherheit ist nicht selbstverständlich.“ „Frieden ist nicht selbstverständlich.“ „Wohlstand ist nicht selbstverständlich.“ Stimmt alles. Es ist aber auch nicht selbstverständlich, dass eine Partei ihre eigene Kanzlerin versteckt. Oder haben Sie Angela Merkel bisher irgendwo im Stadtbild entdeckt? Das muss der Kandidat Roland Heintze ganz allein erledigen.

FDP bringt Farbe in den Wahlkampf

Stolz zeigen hingegen die Grünen ihr Spitzenpersonal, das derzeit auf einer Woge des Wohlwollens reitet. Parteichef Robert Habeck grinst mit Katharina Fegebank um die Wette, dagegen schaut jedes Honigkuchenpferd griesgrämig aus der Wäsche. Über den Slogan „Kommt der Mut, geht der Hass“ kann jeder Deutsch-Leistungskurs eine hübsche Interpretation schreiben. Da ist eine Menge Selbstsuggestion mit im Spiel, der Wahrheitsgehalt wird dadurch indes nicht größer. So einfach geht der Hass nicht. Leider.

Immerhin: „Wer den Planeten retten will, fängt mit diesem Kontinent an“ ist einer der besseren Sprüche. Hoffentlich gilt das auch für die Grünen, die bislang die Rettung des Planeten vor allem in deutschen Grenzen angepeilt hatten. Was übrigens weder den Planeten noch Europa sonderlich weitergebracht hat.

Farbe bringt die FDP in den Wahlkampf – allerdings vor allem mit der seltsam-krawallschachteiligen Mischung aus Magenta, Gelb und Blau. Dazu lächelt Nicola Beer ihr schönstes Zahnpastalachen. Auch hier findet sich wieder der deutsche Führungsanspruch: „Wie soll Europa vorankommen, wenn Deutschland stehen bleibt.“

Die Linke mit Schönheitsfehler

Das große Wünsch-dir-Was beherrscht Die Linke. „Mehr Geld für Bildung Bus und Bahn“, heißt es da. Finden Sie den Fehler? Das Komma steht bei Aufzählungen, zwischen gleichrangigen Wörtern und Wortgruppen, wenn sie nicht durch Wörter wie „und“ oder „oder“ verbunden sind. Mehr Geld für Bildung ist bitter nötig.

Oder „Flucht hat Ursachen – Waffenexporte stoppen!“ Klingt gut, hat nur einen Schönheitsfehler: Hunderttausende Flüchtlinge verlassen derzeit Venezuela. Dafür war kein deutscher Waffenexport nötig, für diesen Massenexodus reicht schon ein linker Präsident Maduro. Dummerweise genau der Mann, dem Die Linke in treuer Solidarität zujubelt.

„Tu was gegen Rechts!“, fordert die Partei. Ob ein Kreuz für Die Linke da hilft? Die AfD wiederum plakatiert kaum. Offenbar ist das kein lobenswerter Beitrag zur Kampagne „Unser Dorf soll schöner werden“, sondern spiegelt Siegeszuversicht. Wer Staubsauger für die Wut sein will, benötigt weder Argumente noch Plakate. Vielleicht ist am Ende ja auch die „Lückenpresse“ an diesen Lücken schuld.

Mein Lieblingsplakat kommt indes von der MLPD, der Marxistisch-Leninistischen Partei: Sie fordert ein „Recht auf Flucht“ – und zeigt damit eine erstaunliche Lernkurve bei der dogmatischen Linken. Denn bis 1989 schossen Marxisten und Leninisten auf Flüchtlinge an der innerdeutschen Grenze. Nur die NPD, diese ungeheuerliche Zumutung auf dem Wahlzettel, lernt nichts mehr. Sie plakatiert ernsthaft „Gas geben.“

Das sollte jedem Vernunftbegabten deutlich machen: Am Sonntag sollten wir wählen gehen. Um der Demokratie willen. Und um Europas willen.