Frankfurt am Main. Eine Reihe von Doping-Sündern hätte in diesem Jahr nicht bei den Sommerspielen in Tokio starten dürfen. Jetzt laufen ihre Sperren ab.
Für Doping-Sünder kann die Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio zum Vorteil werden. Zahlreiche Athleten, die in diesem Jahr gesperrt wären, haben ihre Sanktionen bis zu den Sommerspielen vom 23. Juli bis 8. August 2021 verbüßt und könnten starten – sofern sie sich qualifizieren.
Das ist ungerecht, aber juristisch nicht anfechtbar. "Das führt zu Wettbewerbsverzerrungen, und ich hoffe, es ist einmalig", sagte der frühere deutsche Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop. "Dieses Jahr mit dem Virus hat Chancengleichheit und Wettbewerb nachhaltig verändert."
Sörgel: Doping-Sperren auf Wettkämpfe beziehen!
Deshalb hält es Fritz Sörgel, Pharmakologe und Anti-Doping-Kämpfer, für angemessener, Sanktionen auch daran zu orientieren, ob – wie in der Coronakrise – Titelkämpfe und Sportveranstaltungen stattfinden: "In solchen Zeiten sollten gültige Sperren auf Wettbewerbe und Trainingszeiten bezogen sein. Die Zeit ist angehalten."
Eine interessante Idee, die aber genauso wenig Erfolg haben dürfte wie die des Internationalen Olympischen Komitees von 2007. Das IOC hatte Doper von zukünftigen Sommer- oder Winterspielen ausgeschlossen, die zuvor eine mehr als sechsmonatigen Doping-Sperre erhalten hatten. Vier Jahre später hob der Internationale Sportgerichtshof die sogenannte Osaka-Regel wieder auf.
Das IOC wurmt das bis heute, wie in einem Frage-und-Antwort-Bericht zur Olympia-Verlegung hervorgeht. "Die Welt-Anti-Doping-Agentur hat klargestellt, dass Doping-Sperren nach den geltenden Regeln chronologisch und nicht ereignisspezifisch sind", hieß es. Das IOC habe mehrmals versucht, Regeln einzuführen, die wegen Dopings gesperrte Athleten von den nächsten Spielen ausschließen würden: "Dies wurde vom CAS nie zugelassen."
Olympia-Verlegung: Doping-Betrügerin Bulut könnte profitieren
Besonders profitieren Sportbetrüger aus der Leichtathletik. Unter den rund 500 Läufern, Springern und Werfern, die für Monate, Jahre oder lebenslang mit einem Bann belegt wurden, sind theoretisch rund 100 Athleten, deren Sperren einen Olympia-Start in diesem Jahr nicht erlaubt hätten. Dies geht aus der Statistik der Athletics Integrity Unit hervor, die für die Anti-Doping-Maßnahmen des Weltverbandes World Athletics zuständig ist. Davon dürften jedoch weniger als die Hälfte für die Tokio-Spiele 2021 infrage kommen.
Darunter ist Gamze Bulut. Der türkischen Läuferin war der Olympiasieg von 2012 über 1500 Meter wegen Dopings aberkannt und ihr eine Vierjahressperre auferlegt worden. Die 27-Jährige darf am 20. Mai 2020 wieder starten: Zu spät für den zweiten Gold-Anlauf in diesem Sommer, zeitig genug für den Versuch im nächsten Jahr.
Pech hat dagegen Schwimm-Olympiasiegerin von 2012 Rūta Meilutytė. Die Litauerin wurde wegen Dopings bis 20. Juli 2021 gesperrt und würde auch die Olympia-Neuauflage verpassen. Sie hat zwar im Vorjahr zwischenzeitlich ihr Karriereende angekündigt, wäre aber mit erst 23 Jahren jung genug für ein Comeback. Dagegen kann der zweimalige Staffel-Olympiasieger Conor Dwyer (USA), der bis zum 20. August 2020 gesperrt ist, nächstes Jahr eine Teilnahme in Tokio anstreben.
"Die Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio spielt damit vielen Doping-Sündern in die Karten. Eine bittere Pille, die die sauberen Athleten immer wieder schlucken müssen, wenn diese ehemaligen Doping-Verbrecher an den Start gehen", sagte Thomas Kurschilgen, Leistungssportdirektor des Deutschen Schwimm-Verbandes.
Gewichtheber profitieren nicht
Die gesperrten Betrüger im viele Jahre durch Doping in Misskredit geratenen Gewichtheben werden keine Nutznießer des Tokio-Neustarts 2021 sein können. Für den eigentlichen Olympia-Termin wären 76 Gewichtheber (Männer und Frauen) gesperrt gewesen. Im Sommer 2021 sind es nach aktuellem Stand nur noch 61 – also 15 Heber weniger.
Ein Sportler, der nach einer persönlichen Sperre im nächstes Jahr wieder startberechtigt wäre, hätte "mit Sicherheit nicht die notwendigen Punkte", weil ihm die vorgeschriebene Anzahl von mindestens zwei Qualifikationsstarts pro Halbjahr fehlen würden, erklärte Michael Vater, Anti-Doping-Beauftragter des deutschen Verbandes. "Ohne die aktualisierten Festlegungen zu kennen, gehe ich davon aus, dass aufgrund der Olympia-Verschiebung nicht die bisher wegen Dopings Gesperrten in Tokio auftreten können."
Nationen, denen seit 2008 mehr als zehn Dopingfälle nachgewiesen worden sind, müssen ohnehin mit weniger Startplätzen bei Olympia vorliebnehmen. Schlimmstenfalls dürften höchstens ein Mann und eine Frau antreten.