Hamburg. Die Pandemie ist längst nicht mehr so gefährlich – viele haben es noch nicht gemerkt. Die Sieben-Tage-Inzidenz dramatisiert das Bild.
Es war lange Zeit töricht, die Corona-Pandemie mit einer Grippe zu vergleichen. Als Sars-CoV-2 Anfang 2020 die Welt heimzusuchen begann, verharmlosten diese Vergleiche die Gefahr. Weltweit sind mehr als sechs Millionen Menschen gestorben, in Deutschland sind in zwei Jahren rund 127.000 Todesfälle zu beklagen. Das erklärt, warum wir immer noch mit Angst und Schrecken auf jedes positive Testergebnis, jeden Ausbruch und jede Inzidenzsteigerung reagieren.
Aber das macht es nicht klüger. Und auch nicht besser. Die Pandemie ist inzwischen längst in eine andere Phase getreten. Zum einen haben großartige Wissenschaftler in Rekordzeit einen Impfstoff entwickelt, der vor schweren Erkrankungen zu schützen vermag. Zum anderen ist das Virus zwar deutlich leichter zu übertragen – aber weniger gefährlich.
In Hamburg hat sich die Lage entspannt
Als die Intensivstationen Anfang des vergangenen Jahres an ihre Belastungsgrenzen stießen und in der Spitze dort 5700 Betten belegt waren, lag die Inzidenz deutschlandweit bei rund 130. Nun misst das Robert-Koch-Institut eine Inzidenz von 1734, die Anzahl der Corona-kranken Intensivpatienten liegt bei rund 2300. In der Hansestadt hat sich die Lage trotz durchgängiger hoher Infektionszahlen entspannt.
Seit einem Jahr reden wir davon, dass die Inzidenz an Aussagekraft verloren hat – da verwundert es doch, warum alltäglich die Sieben-Tage-Inzidenz die erste Zahl ist, die in den Nachrichten verlesen wird. Sie gibt aber ein schiefes Bild und dramatisiert die Lage. Entscheidend ist, dass wir die wirklich gefährdeten Gruppen schützen. Deshalb sollte der „Freiheitstag“ auch nicht bedeuten, fortan in Krankenhäuser oder Pflegeheime ohne Maske und ungetestet hineinzumarschieren. Auch der Impfeifer darf hierzulande nicht nachlassen.
Infektionen vermutlich unvermeidlich
Jüngeren Menschen aber kann und muss man heute ihre Freiheit zurückgeben: Welchen Sinn ergeben Masken noch, wenn Schüler nachweislich ein verschwindend geringes Risiko haben, schwer zu erkranken? Welche Verschwendung bedeuten regelmäßige symptomlose Testungen im Klassenzimmer? Wie klug sind unsere Quarantäne-Regeln noch, wenn wir statt unseres Verstands permanent das Gesundheitsamt einschalten?
Ja, und wie sinnvoll ist am Ende der Kampf gegen ein Virus, das sich so rasend schnell verbreitet? Vermutlich sind Infektionen unvermeidlich. Dann aber wäre mancher Kampf gegen Corona aussichtslos und manche Maßnahmen brächten nur die Verlängerung der Pandemie.
Über 50 Prozent der Dänen infiziert
Schauen wir auf einen Nachbarn: In Dänemark, von Corona-Eiferern in Deutschland zuletzt als Negativbeispiel angeprangert, stieg nach dem Ende aller Maßnahmen nun die Zahl der Corona-Toten. Damit ist aber nicht erklärt, dass sie alle an Corona starben. Wenn Inzidenzen steigen, werden automatisch mehr Menschen positiv getestet – auch kurz vor ihrem Tod. Ist dies binnen 30 Tagen vor dem Ableben der Fall, gehen die Toten als Corona-Tote in die Statistik ein.
Eine Übersterblichkeit misst man im Norden nicht. Mitte Februar empörte sich die halbe Bundesrepublik über die Leichtfüße unter dem Dannebrog, Medien sprachen von einer „Warnung für Deutschland“ und einem „Negativbeispiel“. Mit welchem Recht? Zwar haben sich inzwischen über 50 Prozent der Dänen infiziert, aber die Todesrate liegt deutlich niedriger als hierzulande. Nun fallen die Inzidenzen im Norden rasant, in Schweden liegen sie schon unter 100.
Wir müssen lernen, mit Corona zu leben
Vielleicht wäre es klug, wenn die Deutschen nicht nur Meister im Besserwissen wären, sondern auch Meister im Bessermachen. Und das bedeutet: Jetzt geht es darum, mit dem Virus verantwortungsvoll leben zu lernen – so, wie wir mit der Grippe zu leben gelernt haben.