Kiel. Schleswig-Holstein erlaubt Öffnung unter wissenschaftlicher Begleitung. Niedersachsen ist wagemutiger. Die Bedingungen und Hintergründe.
In diesem Jahr wird er 60, aber in die Disco würde er dennoch gern mal wieder gehen. „Aber ich werde dieses Feld den jungen Leuten überlassen, ich will da nicht stören“, sagt Wirtschaftsminister Bernd Buchholz (FDP) – der Mann, der jetzt in Schleswig-Holstein dafür sorgt, dass sich die Discokugel wieder dreht.
Seit 15 Monaten sind Clubs und Diskotheken geschlossen. Nur Staubflocken tanzen dort. Haben die Boxen noch Wumms? Können die Stroboskoplampen noch Blitze schleudern? Ein Modellprojekt soll all dies und noch einiges mehr austesten. Am 20. Juli, in rund einem Monat, soll es losgehen, landesweit drei Diskotheken werden für das Modellprojekt ausgewählt.
Modellprojekt im Norden ohne Einschränkungen
„Disco Fever“ wird dort wieder fast wie früher möglich – ohne Maske, ohne Einlassbegrenzung, ohne Alkoholverbot. „Es geht da natürlich um eine Wirtschaftsbranche“, sagt der Minister, „aber es geht auch um junge Leute, die seit vielen Monaten nicht mehr legal feiern konnten.“ Wie sehr ihnen das fehle, könne man jetzt auf vielen öffentlichen Plätzen und in Parks beobachten. Da sei nachts viel los – „beispielsweise im Hamburger Stadtpark“.
Aber wie geht Feiern ohne Vakzin? Denn die meisten jungen Leute sind noch nicht gegen Corona geimpft. Sicherheitsmaßnahmen müssen her. Buchholz: „Wir wollen mit dem Neustart bei den Diskotheken nicht warten, bis alle geimpft sind.“ Deshalb müssen diejenigen, die an dem Modellprojekt teilnehmen wollen, einiges beachten. Ein Lüftungskonzept muss vorgelegt werden, am Eingang darf es nicht zu Staus kommen. Die Discobesucher müssen sich anmelden, sie müssen ihre Kontaktdaten hinterlassen.
Partylocations im Norden gesucht
Wichtigste Maßnahme: Wer nicht geimpft oder genesen ist, der muss sich vorher testen lassen. Und zwar in einem sehr engen Zeitraum, der Test darf beim Eintritt nicht älter als sechs Stunden sein. Hinterher folgen vier weitere Tests am zweiten, vierten sechsten und zehnten Tag nach dem Abend in der Disco. „Es wird schwierig sein, diese Bedingungen zu erfüllen“, ahnt Buchholz.
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Dennoch hofft er auf Bewerbungen. Gesucht werden Partylocations mit bis zu 200, bis zu 500 und bis zu 2000 Gästen. In jeder Klasse wird ein Bewerber ausgewählt, in einem Zeitraum von drei bis vier Wochen können sie dann maximal drei Veranstaltungen durchführen.
Modellprojekte werden wissenschaftlich begleitet
Es ist also ein Start mit beschränkter Tanzkraft. Aber er liefert vielleicht die Blaupause für einen späteren Start der gesamten Branche. Damit diese Blaupausen-Idee funktioniert, wird jedes der drei Modellprojekte wissenschaftlich begleitet. Die Begleitung wird vom Ministerium bezahlt, das auch bei der Suche nach Fachleuten hilft. Wichtigste Aufgabe: Sammlung und Auswertung der Testdaten. „Unter anderem soll im Fall eines Ausbruchs geklärt werden, ob es ein Cluster gibt, ob also bestimmte Bereiche der Disco gesperrt werden sollten“, sagt Buchholz.
Es gibt zwar schon ein paar Erschwernisse, die die Partylaune dämpfen könnten. Buchholz hält sein Konzept dennoch für richtig. „Wir stehen bei der Inzidenz gut da und haben das erreicht, weil wir zwischen ,vorsichtig sein‘ und ,mutig sein‘ einen ausgewogenen Weg eingeschlagen haben.“
Discos in Niedersachsen wieder geöffnet
Andere Bundesländer sind in Sachen Diskotheken weniger vorsichtig. In Niedersachsen können schon seit gestern (und nicht erst vom 20. Juli an) die meisten Bars und Discos wieder jeden Tag öffnen. Diese Regel gilt zwar nur in Kreisen und Städten mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von unter 10,0, allerdings liegen nur noch wenige über dieser Grenze. Wer nicht geimpft oder nicht genesen ist, muss beim Besuch zwar einen negativen Test vorweisen.
Die vier Tests nach dem Discobesuch, die Schleswig-Holstein vorschreibt, sind allerdings nicht erforderlich. Für manch einen Freund glitzernder Discokugeln – zumal für den, der im Süden Schleswig-Holsteins beheimatet ist – dürfte sich also eine Fahrt ins benachbarte Niedersachsen lohnen. Auch dort soll es schöne Diskotheken geben.
Sieben-Tage-Inzidenz in Schleswig-Holstein gesunken
Unterdessen sinkt die Zahl der Corona-Infektionen in Schleswig-Holstein weiter. Am Sonntag wurden erstmals seit vielen Monaten keine neuen Corona-Erkrankungen gemeldet – möglicherweise ein sonntagsbedingter Sondereffekt. Die Sieben-Tage-Inzidenz sank auf 4,4. Dieser Wert wurde zuletzt am 17. September vergangenen Jahres unterschritten. Damals lag die Inzidenz bei 4,0. Im Juni 2020 war sie mit 0,4 allerdings deutlich niedriger als jetzt.
Die höchste Inzidenz hat nach wie vor der Kreis Pinneberg mit 12,3 aufzuweisen. Danach folgt mit deutlichem Abstand der Kreis Herzogtum Lauenburg (7,1), ein weiterer Kreis im Hamburger Rand. Der Kreis Dithmarschen hat hingegen schon seit einigen Tagen den Inzidenz-Nullpunkt erreicht. Insgesamt haben sieben Kreise und kreisfreie Städte Inzidenzen von deutlich unter 4,0. Nur noch 37 Corona-Erkrankte mussten am Sonntag in Krankenhäusern behandelt werden.