Bargteheide. Der Musiker spricht über die gemeinsame Zeit mit Udo Lindenberg, seine erste Gitarre und einen ignoranten Musikprofessor.
Steffi Stephan ist ein Urgestein der deutschen Rock- und Pop-Szene. Der 74 Jahre alte Bassist mit dem prägnanten Rufnamen gilt als Institution, arbeitete während seiner langen Karriere mit namhaften Künstlern unterschiedlicher Sparten zusammen. Seit vielen Jahren steht er mit Udo Lindenberg auf der Bühne, war Mitbegründer des Panikorchesters und dessen künstlerischer Leiter.
Im Gespräch mit dem Abendblatt blickt er auf die bewegten Anfangsjahre und die gemeinsame Zeit mit dem Panik-Rocker zurück und gibt Einblicke in sein ganz persönliches Musiker-Universum. Wir haben Stephan am Donnerstag in Bargteheide getroffen, wo er auf Einladung von Günter Russ, Mitproduzent des Films „Lindenberg! Mach dein Ding“, zu Gast im Kino im Kleinen Theater war.
Bassist Stephan steht mit Udo Lindenberg auf der Bühne
Vor Beginn der Vorführung des Biopics, das zur Wiedereröffnung des Kinos gezeigt wurde, stimmte Stephan das Publikum vor Ort höchstpersönlich darauf ein. Wie gut der sympathische Musiker mit seiner offenen und humorvollen Art des Dialogs bei den Zuschauern ankam, zeigten die vielen Lacher und das begeisterte Klatschen im Saal.
Hamburger Abendblatt Beginnen wir mit dem Grund Ihres Besuchs in Bargteheide. Der Lindenberg-Film ist zugleich die Geschichte der Freundschaft zwischen Ihnen und Udo Lindenberg. Ihrem filmischen Pendant wird in der Handlung viel Platz eingeräumt. War Ihnen das bewusst, bevor der Film in die Kinos kam?
Steffi Stephan Nein. Ich war überrascht, dass ich so eine große Rolle spiele. Ich fühle mich dadurch sehr geehrt. Die Regisseurin hat mir erklärt, ich sei sozusagen der rote Faden, der sich durch die Handlung zieht. Ich finde, der Film ist toll und sehr sensibel gemacht. Die Ausstattung ist hervorragend und die Atmosphäre sehr gut eingefangen. Aus meiner Sicht hat er zwar hier und da einige Längen, aber das kann aus künstlerischen Gesichtspunkten durchaus stimmig sein. Und ich habe durch den Film erst die Geschichte von Udos Vater mit der Kneipe mitgekriegt, denn ich kannte den Vater nicht richtig. Außerdem mache ich in der Handlung das Konzert nicht mit und steige aus. In Wirklichkeit war das aber unser Gitarrist Karl Allaut.
Hatten Sie vor Beendigung der Produktion Kontakt zu Max von der Groeben, dem Schauspieler, der Sie im Film verkörpert?
Ich kannte ihn vorher nicht. Max von der Groeben ist ein ausgezeichneter Schauspieler, er hat das richtig gut gemacht. Das gilt übrigens gleichermaßen für die anderen Darsteller des Films.
Wann sind Sie Udo Lindenberg das erste Mal begegnet?
Das war 1964 in meiner Heimatstadt Münster. Udo war Schlagzeuger und stammte aus Gronau, das wie Münster an der B 54 liegt. Das war so etwas wie die neue Rock’n’Roll-Straße, denn die Mitglieder des ersten Panikorchesters stammten ebenfalls aus Orten entlang der Route. Als unser Trommler erkrankte und ausfiel, hörte ich mich nach Ersatz um und erfuhr von Udo, der gerade aus Tripolis zurückgekommen war. Udo war dort längere Zeit mit einer Band auf einem amerikanischen Militärstützpunkt engagiert. Gleich beim ersten Treffen hat die Chemie zwischen uns gestimmt. Er ist dann bei uns eingestiegen.
Wie kamen Sie zur Musik?
Bei mir hat das erst mit 15 Jahren angefangen. Ich absolvierte eine kaufmännische Ausbildung im zweiten Lehrjahr. Ich durfte Botengänge machen und kam dabei immer mal wieder auf der Königsstraße am Musikwarengeschäft Schneider vorbei. Dort hing im Schaufenster eine rote E-Gitarre der Marke Framus, Modell Billy Lorento, in die ich mich sofort verliebt habe. Sie kostete 395 Mark. Meine Mutter hat sie auf Raten gezahlt. Wir hatten eine große Wohnung, in der sie Zimmer vermietete. Einer unserer Untermieter war Korrepetitor beim Stadttheater, der empfahl mir den Gitarristen Gerd Geerken, der im Theater Münster im Musical „Kiss me, Kate“ mitspielte. Er hat mir das Gitarrespielen beigebracht und zusammen haben wir unsere erste Band Guitar Men gegründet, die wir dann später in Die Mustangs umbenannt haben.
Was hat für sie den Reiz des Musikerdaseins ausgemacht?
Anfangs hat mich vor allem begeistert, dass man mit so einer Gitarre gleich aussieht wie ein Rockstar. Als wir bei einem Auftritt zum ersten Mal 25 Mark pro Mann verdient haben, wurde ich sofort süchtig. Es war ein unfassbares Glück, mit etwas Geld verdienen zu können, das so viel Spaß machte. Liebe und Respekt zu dem, was Musik bewirken kann, ist später hinzugekommen. Die Musik an sich wirklich lieben gelernt habe ich erst mit dem Panikorchester.
Als Sie mit Musik zum ersten Mal Geld verdient haben, waren sie noch nicht volljährig. Wirkte sich das auf die Auftritte aus?
Das war tatsächlich ein Problem. Deshalb habe ich meine Mutter Karola jeweils um 22 Uhr mit der Taxe von zu Hause abgeholt. Sie hat sich dann mit ihrem Strickzeug vor die Bühne des Insel-Cafés gesetzt und ich durfte weiterspielen.
Ihre Mutter scheint für die damalige Zeit ungewöhnlich engagiert gewesen zu sein. Sie hat Sie offensichtlich sehr unterstützt.
Ich war ein Nachkömmling und bin praktisch schon als Onkel auf die Weltbühne gekommen. Ich bin von vorne bis hinten verhätschelt worden. Ich hatte eine tolle Mutter. Ich bin weltoffen und tolerant erzogen worden. Die Studenten, die bei uns zu Hause wohnten, kamen aus den unterschiedlichsten Regionen und Religionen. Vor dem Essen wurde gebetet, da waren alle respektvoll, egal ob ein Kreuzzeichen gemacht wurde oder nicht. So bin ich multikulturell groß geworden, das war ein großes Glück.
Wie kam es zu dem für einen Rockmusiker ungewöhnlichen Namen Steffi?
So heiße ich schon, so lange ich denken kann. Mein richtiger Name ist Karl-Georg, den kann man nicht verniedlichen, da haben sie sich im Kindergarten eben an meinem Nachnamen vergriffen. Die Einzige, die mich immer Karl-Georg nennt, ist meine Schwester, mein Bruder hat mich Charlie und mein Vater Charlie Churchin gerufen. Wie es zu diesem Namen gekommen ist, kann ich nicht sagen, denn mein Vater Karl ist gestorben, als ich neun Jahre alt war.
Nachdem Udo Lindenberg zu Ihrer Band gestoßen ist, wie ging es dann weiter?
Udo hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits an der Musikhochschule angemeldet. Ich habe dann nachgezogen und mich für das Gitarrenstudium eingeschrieben. Nach einiger Zeit kam der Direktor der Hochschule auf uns zu und fragte: „Wollen Sie weiterhin Ihre Hottentotten-Musik machen oder sich ernsthaft um Ihr Studium kümmern?“ Udo und ich haben uns dann für die „Hottentotten-Musik“ entschieden. Durch die fehlende Immatrikulationsbescheinigung wurde Udo zum Militärdienst eingezogen. Ich war ausgemustert worden. Wir, also die Band, konnten jedoch nicht so lange auf Udo warten.
Sie besetzten den Posten des Schlagzeugers neu und machten ohne Lindenberg weiter.
Richtig. Als Udo nach einem halben Jahr frühzeitig entlassen wurde, ging er konsequenterweise nach Hamburg. Er war ein ganz hervorragender Trommler und wurde von Klaus Doldinger für dessen Band Passport engagiert. Unsere Freundschaft und unser Kontakt blieben aber immer erhalten.
Wie haben Sie denn auch musikalisch wieder zusammengefunden?
Ich habe mit 21 Jahren geheiratet, wollte seriös werden und habe mit der Berufsmusik Schluss gemacht. Etwa zweieinhalb Jahre lang machte ich nur noch Barmusik am Wochenende. Als ich Udo durch Zufall in Münster wiedertraf, arbeitete ich im Wurstgroßhandel meines Bruders. Udo fragte, ob wir irgendwo zusammen Musik machen könnten. Als einziger Raum bot sich das Wurstlager an (lacht). Die Session war dann unglaublich toll. Udo erzählte mir, dass Doldinger noch einen Bassisten suche. Wir sind mit seinem Kastenwagen, einem R4, losgefahren und kamen zwei Stunden zu spät zum Vorspielen an. Doldinger war da schon weg.
Das war für Sie doch sicher sehr enttäuschend nach der ganzen Aktion?
Es hatte letztlich auch etwas Gutes. Denn wir haben dann mit den restlichen Musikern gejammt. Mit Doldingers Gitarristen Andy Marx haben wir später im Star Studio des „Tulpen aus Amsterdam“-Komponisten Ralf Arnie unsere erste Platte mit dem Titel „Lindenberg“ gemacht, die 1971 auf den Markt kam. Die Texte waren englisch, die Musik von Neil Young und Manassas beeinflusst. Die zweite LP, „Daumen im Wind“, war schon auf Deutsch. Ich habe sie im Urlaub eingespielt, bin dann wieder zurück nach Münster. Sie wurde eigentlich gemacht, damit man sich für die nächste nicht blockierte und diente nur dazu, den Vertrag bei Teldec zu erfüllen.
Unerwarteterweise war sie aber erfolgreicher als das erste Album.
Besonders der Song „Hoch im Norden“, in dessen Text erstmals „Keine Panik auf der Titanic“ auftaucht, war ein Erfolg. Aber auch eine Lüge, denn Udo stammt ja gar nicht von der Küste. Danach ging das große Gebiete der Plattenfirmen los.
Welche Plattenfirma hat dann das große Los gezogen?
Wiederum Teldec, aber nicht wegen des Geldes, sondern weil sie die besten Bedingungen geboten hat. Der große Durchbruch kam dann mit dem nächsten Album „Alles klar auf der Andrea Doria“.
Wann und wo wurde eigentlich das legendäre Panikorchester gegründet?
Das haben Udo und ich im Herbst 1973 in Münster gegründet. Mit dabei waren Gitarrist Karl Allaut, Trommler Peter Backhausen und Pianist Gottfried Böttger, den Udo mitgebracht hat. Damals war gerade Glamour à la Ziggy Stardust angesagt und wir waren dann mit Transfrau Judith Hodosi am Saxofon verhältnismäßig schnell zu fünft. Wir haben erste Gigs im Kolpinghaus in Telgte und einem Münsteraner Schwulenclub gespielt. Der Name Panikorchester geht nach meiner Erinnerung darauf zurück, dass in Telgte „Panik-Beleuchtung“ an der Wand stand, so hieß die Notbeleuchtung damals. Und ich dachte mir, mit diesem Namen haben wir gleich überall, wo wir auftreten, kostenlose Werbung. Das ist zumindest meine Version. Udo hat seine eigene. Wir haben uns darauf geeinigt, beide nebeneinander stehen zu lassen.
Ihre damalige Freundin Inge, mit der sie den gemeinsamen Sohn Marvin haben, ist Udo Lindenbergs Schwester.
Nach meiner Scheidung habe ich Inge in Gronau kennengelernt, als ich dort für meinen Bruder Ware ausgefahren habe. Als ich mich in sie verknallte, wusste ich nicht, dass sie Udos Schwester ist. Das hat sich erst später herausgestellt. Sie ist dann zu mir nach Münster gezogen. Wir haben ein sehr tolles Verhältnis mit viel Respekt und haben auch viel dafür getan. Morgen Früh werde ich mich mit ihr zum Frühstück in Hamburg treffen.
Gab es in Ihrer Freundschaft mit Udo einen Moment, der sie besonders berührt hat?
An meinem 70. Geburtstag haben wir zusammen gefeiert. Udo hat eine Flasche Champagner aufgemacht, sein Glas gen Himmel gehoben und gesagt: „Auf Karola und Karl und Hermine und Gustav.“ Hermine und Gustav sind Udos Eltern. Ich werde diese Szene nie vergessen, das war ganz großes Kino.