Früher lag zwischen Schweden und Deutschland nur die Ostsee – inzwischen liegen zwischen uns Welten.
Reisen weitet den Horizont. Wer dieser Tage nach Schweden fliegt oder einfach die Grenze nach Dänemark überschreitet, kommt nicht nur in ein anderes Land, sondern in einer anderen Zeit an – der Nach-Corona-Ära. Meist benötigen die Deutschen ein paar Minuten, um zu realisieren, was bei unseren Nachbarn im Norden (beziehungsweise im Westen, Süden und Osten) anders läuft: Die Masken fehlen. Je nach Charakter, politischer Einstellung und persönlicher Disposition dauert es zwischen wenigen Sekunden und mehreren Minuten, bis auch die Deutschen die Masken fallen lassen.
Auch alle anderen Corona-Regeln verlieren in verblüffender Geschwindigkeit ihre Gültigkeit – unabhängig davon, ob man sie für richtig oder falsch hält. In der U-Bahn rücken uns plötzlich wildfremde Virenträger (früher genannt Mitmenschen) auf die Pelle, Abstand halten ist ein alter Hut, und die Leute begrüßen sich, als sei nichts gewesen. Sie geben sich die Hand oder fallen sich gleich um den Hals. Manche deutschen Corona-Eiferer würde eine Reise nach Schweden krank machen – weniger weil sie das Virus heimsucht, sondern wegen Schockschwerenot.
Während hierzulande der Streit um die Impfpflicht, die Ausrufung des Hotspots oder die Wasserstandsmeldungen über Neuinfektionen und Intensivbelegungen weiter die Schlagzeilen bestimmen, liest man in schwedischen Zeitungen nichts mehr von Corona. In Deutschland hingegen gehören lärmend-lähmende Warnungen wie „Mehr als 200 Tote jeden Tag: Die Pandemie ist noch längst nicht vorbei, Mediziner berichten von erschütternden Verläufen“, herzzerreißende Long-Covid-Tragödien oder Spekulationen über neue Mutationen zum täglich Nachrichtenbrot. Man fragt sich, wer eigentlich nicht von diesen Schreckensbotschaften lassen kann – die Journalisten oder doch die Leser? Wahrscheinlich beide. Und in der Twitter-Blase feuern sich alle gegenseitig an.
Corona ist nicht mehr Corona
Nun ist die Pandemie nicht vorbei – aber sie ist eben längst eine andere als die Pandemie der Jahre 2020 und 2021. Damals wussten wir wenig – und waren ungeschützt. Heute sind wir geimpft und haben zudem mit einer Variante zu tun, die zu deutlich weniger schweren Erkrankungen führt. Nur fällt das kaum auf, weil in den Klinik- oder Todesstatistiken die zentrale Frage verwischt: Sind die Menschen wegen Corona im Krankenhaus oder nur zufällig positiv getestet? Sterben die Toten wirklich am Virus oder mit dem Virus?
Noch immer bestimmt die aufgeregte deutsche Debatte unser Denken und Fühlen. Die Angst bleibt nicht folgenlos: Sehen Erkrankte einen zweiten Strich auf ihrem Covid-Schnelltest, wähnen sie sich in Lebensgefahr – und die allermeisten wundern sich ein paar Tage später über den leichten Verlauf.
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Auch die Statistik ist eindeutig: Seit Jahresbeginn gibt es trotz der Rekordinzidenzen keine Übersterblichkeit mehr im Land. Die Zahl der Todesfälle schmiegt sich fast an die statistische Median-Linie der Jahre 2018 bis 2021 an. Angesichts unserer Corona-Fixierung verdrängen wir, dass der Tod immer ein Teil des Lebens ist: Thomas Mann beschreibt in seinen „Buddenbrooks“ das Sterben von Johann Buddenbrook dem Älteren: „Als der Alte fortan sich weigerte, noch einen Fuß ins Kontor zu setzen, da nahm seine Apathie in erschreckender Weise zu, da genügte, Mitte März, ein paar Monate nur nach dem Tode seiner Frau, irgendein kleiner Frühlingsschnupfen, um ihn bettlägerig zu machen, – und dann, in einer Nacht, kam die Stunde.“ Heute würde er Teil einer Corona-Statistik, die uns Angst macht – oder Auslöser der Frage: Haben wir Johann Buddenbrook den Älteren ausreichend geschützt?
Corona: Kann Hamburg von Schweden lernen?
Hamburg bleibt ein Epizentrum der Aufregung und politischer Hotspot. Auf Basis der Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) – die von den Werten der Hamburger Behörde auch zwei Jahre nach Pandemiebeginn so weit weg liegen wie Uppsala von Altona – hat die Stadt die bundesweit drittniedrigste Inzidenz und die drittniedrigste Hospitalisierungsrate. Für die schärfsten Maßnahmen reichen die Zahlen dennoch.
Man muss es ja nicht gleich machen wie die Skandinavier und alle Vorsicht fahren lassen – aber zumindest strafen Dänemark und Schweden unsere Weltuntergangsprediger seit Monaten Lügen. In Schweden liegt die Inzidenz derzeit bei 40, in Dänemark bei 336. Da drängt sich dann doch die Frage auf, welches Land seltsam ist.